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Der S-Bahnhof Olympiastadion mit seinen 10 Gleisen konnte zur WM seine Leistungsfähigkeit beweisen. Foto: Florian Müller (Juni 2006) |
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Beide großen Verkehrsbetriebe der Stadt
konnten ihre Muskeln spielen lassen, und
beide lieferten eine meistens gelungene
Vorstellung. Beim Busverkehr waren
naturgemäß eher Umleitungen als
Ausweitungen zu bemerken, aber die
Nutzung des Tiergartentunnels durch
den M 41 hat sich als Ausweichroute
bewährt und trug zur Fahrplanstabilität
bei. Für die An- und Abreise zur
Fanmeile wurden die Buslinien zum
Großen Stern, wo sich der Hauptzugang
befand, erstaunlich gering genutzt.
Die Fans verließen sich lieber auf
den Schienenverkehr und die eigenen
Füße.
Die U-Bahn zeigte sich gut gerüstet
und bot außer den erwarteten zusätzlichen
Zügen auch mehrsprachige
Ansagen in Zoo und Olympiastadion.
Dort standen an den Spieltagen auch
Zusatzkräfte mit Infomaterial in der
Vorhalle bereit. Ein kleiner Wermutstropfen
waren zuweilen die Daisy-Anzeigen,
die bei der Rückfahrt nicht immer wussten,
welcher der zwei Züge am selben Bahnsteig
zuerst fährt.
Verkehr ohne Baustellen
Die Straßenbahn hatte zwar keine direkte
Berührung mit den Spielen, aber ein Monat
ohne jede Baustelle war für die Stammfahrgäste
eine schöne Erleichterung. Ebenso
ungewohnt flüssigen Verkehr gab es bei der
S-Bahn. Da auch hier keinerlei Baustellen die
Leistungsfähigkeit des Netzes einschränkten,
rollte der Verkehr fast zuverlässiger als
vor der WM. Nur zu den Spielen, besonders
denen mit deutscher Beteiligung, waren die
Züge merklich mehr belastet. Einige Probleme
gab es vor einem Spiel am S-Bahnhof
Olympiastadion, als eine Fehlbedienung im
Stellwerk den Verkehr für 20 Minuten lahm
legte. Ebenso hatte die S-Bahn mit ungerechtfertigten
Betätigungen der Notbremsen
und Polizeinsätzen wegen übermütiger
Fahrgäste zu kämpfen.
Fanmeile unterschätzt
Unterschätzt hatten die Organisatoren offenbar
den Zulauf zur Fanmeile auf der Straße
des 17. Juni. Während zum Olympiastadion
knapp 1000 zusätzliche S-Bahnzüge
unterwegs waren und zahlreiche Schilder
und Ansagen zum Stadion wiesen, waren
Hinweise zur Fanmeile gar nicht zu finden.
Die Fanmeile besuchten nach Schätzungen
der S-Bahn an Spitzentagen ca. 250 000 bis
300 000 Menschen. Damit hatte die Fanmeile
täglich bis zu vier mal so viele Besucher
wie Zuschauer in das Olympiastadion passen.
80 bis 90 % der Besucher nutzten nach
Angaben der BVG den ÖPNV für die An- und
Abreise. Pro Tag beförderte die BVG 155 000
zusätzliche Fahrgäste.
Dennoch haben BVG und S-Bahn den
unerwarteten Ansturm zur Fanmeile gut
gemeistert, größtenteils sogar ohne das reguläre
Verkehrsangebot auf der Stadtbahn
und der U 9 zu stärken. Das beweist, wie leistungsfähig
das Berliner Schnellbahnnetz
ist. Diese Leistungsfähigkeit darf keinesfalls
durch kurzsichtige Kürzungen der Finanzierung
beschnitten werden.
Der durchgehende Nachtverkehr auf allen
S-Bahnlinien in allen Nächten während
der WM wurde nach einer Eingewöhnungszeit
durch die Fahrgäste besonders auf der
Stadtbahn sehr gut angenommen. Auf den
meisten anderen Strecken, auch auf der
Ringbahn, blieb die Besetzung allerdings
sehr übersichtlich. Die BVG bot in den Nächten
nach Spielen in Berlin einen durchgehenden
U-Bahnverkehr an.
Besonders gut bewährt haben sich nach
Angaben der S-Bahn die Kombitickets. Damit
galten Eintrittskarten fürs Olympiastadion
gleichzeitig als Tageskarte für den ÖPNV.
Diese Regelung sollte nach Auffassung der
IGEB künftig bei allen Großveranstaltungen
gelten, insbesondere dann, wenn ein hoher
Anteil auswärtiger Besucher zu erwarten ist.
S 21 im Fernbahntunnel
Ein besonderes Schmankerl hatte sich die
DB für den neuen Tiergartentunnel ausgedacht:
Sie ließ vom 8. Juni bis 10. Juli zwei
Münchner S-Bahnzüge (Baureihe 423, siehe
Titelbild SIGNAL 3/2006 ) auf der Strecke
Gesundbrunnen—Hauptbahnhof (tief)—Potsdamer
Platz—Südkreuz im angenäherten
20-Minutentakt pendeln. Sie waren als S 21
geschildert. Allerdings wurden diese Fahrten
von den Fahrgästen nicht gut angenommen.
Mehr als 15 Fahrgäste pro Fahrt (darunter
etliche „Tunneltouristen") konnten kaum
beobachtet werden.
Leider wurde dieses Zusatzangebot nur
sehr zögerlich beworben. Aushangfahrpläne
der S 21 waren rar und auch erst nach
mehreren Tagen im Internet zu finden. Aufgrund
der eingeschränkten Erschließungswirkung
durch die Bedienung nur
der vier Bahnhöfe ist die geringe
Nutzung nicht verwunderlich. Das
war auch der DB nach eigenen Angaben
von vornherein bewusst. Immerhin
führte sie die Fahrten auf eigene
Rechnung ohne Bestellung und Bezahlung
durch den Besteller aus. Die
regulären RE-Züge aus Brandenburg
waren im Tunnel hingegen durchweg
gut besetzt.
U 55 nochmals verschoben
Die BVG ersparte den Berlinern und
Gästen eine Peinlichkeit: Die verschobene
Eröffnung der Stummel-U-Bahn
U 55 zwischen Hauptbahnhof und
Bundestag ist für die Fahrgäste kein
Verlust. Allerdings blieb die BVG der
Öffentlichkeit die offizielle Begründung
für die erneute Verzögerung, nun bis
Ende 2007, bisher schuldig.
DB Regio setzte mehrere nächtliche Zusatzzüge
für heimkehrende Fans nach verschiedenen
Städten Brandenburgs ein. So
konnten auch die Einwohner Brandenburgs
ohne Auto das Olympiastadion und die Fanmeile
besuchen.
Fazit
Der öffentliche Nahverkehr in Berlin ist so
leistungsfähig, dass er Fahrgastzuwächse
bis zu 25 % verkraften kann. Das setzt aber
voraus, dass die Verkehrsunternehmen bei
Personal und Fahrzeugen über eine Reserve
verfügen, die sie bei Bedarf mobilisieren
können. Dieser Aspekt muss vom Berliner
Senat bei der Planung von Strecken und
bei den Verkehrsverträgen mit S-Bahn, BVG,
DB Regio und künftigen Wettbewerbern berücksichtigt
werden.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB dankt
allen Mitarbeitern insbesondere bei S-Bahn,
BVG und DB Regio für ihren erhöhten Einsatz
und den Beweis ihrer Leistungsfähigkeit.
(af,fm) Berliner Fahrgastverband IGEB
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