Berlin

Da kann man wirklich nicht meckern!

Die neuen Berliner Doppeldecker vom Typ DN 03

Ach, wie oft habe ich schon über die BVG geklagt und sie heftig kritisiert! Da ist es umso schöner, sie auch einmal loben zu können: Ihre neuen Doppeldecker sind - von der Ästhetik wie vom Fahrkomfort her - das Beste, was mir jemals im Berliner Bus-Wagenpark untergekommen ist.

Die als DN03 oder auch DL bezeichneten Fahrzeuge strahlen um so heller, als das Vorgängermodell - von dem glücklicherweise nicht allzu viele Exemplare gekauft wurden - ein Tiefpunkt in der Gestaltungsgeschichte der Berliner Doppeldecker war. Die Fehler, welche bei diesen DN95 insbesondere im Innenraum gemacht wurden, sind bei den neuen Wagen praktisch alle korrigiert worden, wie man gleich beim Eintreten merkt: Kein chaotisches Auf und Ab der Sitze im Unterdeck mehr, keine Einzelplätze, welche in den vorderen Bereich hineingestopft wirken. Stattdessen: Erstmals seit dem Verschwinden der Plattformen wieder ein großer Auffangraum und endlich viel Platz für Kinderwagen, Rollstühle, Traglasten und Fahrgäste, die nur eine kurze Strecke zurücklegen und sich dafür nicht extra hinsetzen wollen. Dazu zwei organisch eingefügte Einzelplätze. Die Trennung zwischen diesem und dem hinteren Bereich, in dem die „normalen" Sitze untergebracht sind, wirkt umso klarer, als letzterer durchgängig hinter der Mitteltür beginnt, was auch „Rangiervorgänge" vermeidet oder zumindest vereinfacht. Die Sitze, welche noch in den DN95 gegenüber dem Ausgang angeordnet wurden, waren unsinnige Nachfolger der in den Vorgängermodellen an gleicher Stelle mündenden Treppe.

Doppeldecker
Schon von außen als eine Art Stretch-Limo unter den Doppeldeckern erkennbar: Der DN 03 misst unglaubliche 13,7 Meter Foto: Thomas Billik

Möglich wurde diese Aufteilung vor allem dadurch, dass die BVG mit den DN03 erstmals seit über 50 Jahren wieder dreiachsige Doppeldecker beschafft hat und diese eine nie dagewesene Länge aufweisen: Fast zwei Meter mehr als die DN95, so dass trotz des „multifunktionalen" vorderen Bereichs das Unterdeck neun Sitzplätze mehr zählt als bei den Vorläufern. Insgesamt ist der Bus für 128 Personen zugelassen. Zudem wurde im Inneren ein Gewinn an durch die Fahrgäste nutzbarem Raum durch Außenschwenktüren erzielt: Vor dem Öffnen braucht man nicht mehr die bislang gewohnte Distanz zu halten. Darüber hinaus gibt es auch keine laut klackende Kontaktstufe mehr.

Im Oberdeck beeindruckt in erster Linie die Deckengestaltung: Wie das ganze Fahrzeug wirkt sie sehrelegant und ist dabei doch ganz funktional. Gleich der ungewohnten Anordnung des Leuchtbandes zum Mittelgang hin ist sie der erstmals in BVG-Doppeldecker eingebauten Klimaanlage geschuldet. Auf die albernen, da nutzlosen Luken der DN95 hat man verzichtet. Neuartig auch die Installation der Sitze auf langen Kragarmen: Was sicher vor allem einer leichteren Reinigung dient, erweckt den Eindruck, als würden die Sitze schweben. Zu diesem Freiraum gesellt sich der größere Abstand der Reihen zueinander: Sie soll vor allem durch eine recht dünne Polsterung erzielt worden sein, doch negative Auswirkungen habe ich selbst bei einer mehr als halbstündigen Fahrt nicht feststellen können.

Derweil die DN95 nervtötend knattern, ist die Schalldämpfung beim neuen Typ ohrenscheinlich viel besser, und das bei erheblich stärkerer Motorisierung (228 statt 162 kW). Vielleicht gibt es deshalb einen bemerkenswert großen „Maschinenraum" an der Rückseite, der allerdings auch durch die Klimaanlage verursacht sein dürfte, sowie durch den niedrigen Wagenboden, der in beiden Decks nie gekannte Stehhöhen ermöglicht. Neuartig mutet auch der Fahrkomfort an: Man gleitet fast so ruhig und sanft dahin wie in einer Straßenbahn - optimale Straßenverhältnisse und Fahrkünste natürlich vorausgesetzt.

Doppeldecker
Schicke Front! Aber das Gestänge hinter der oberen Frontscheibe fällt unangenehm auf und erinnert an einen Käfig. Foto: Thomas Billik

Wie im Inneren alles sehr gediegen wirkt, hauptsächlich in ruhigen, relativ schmutzresistenten Grautönen gehalten ist (und dennoch nicht so trübsinnig, fast schäbig, wie das Interieur der DN95), so zeigt auch das Äußere eine sehr bündige, schnittige Gestaltung. (Nicht mehr allzu viel bleibt von dessen Wirkung natürlich, wenn der Bus zu einer Art fahrender Plakatwand umfunktioniert wird.) Die gegenüber dem Vorgängermodell deutlich größeren Frontscheiben sind an den Seiten und vorderen unteren Ecken abgerundet, das Dach erscheint von der Straße aus nur noch als ganz dünne weiße Linie und ist von vorne gar nicht zu sehen, Fenster und Außenwände wirken wie eine einheitliche glatte Fläche. Im Unterdeck sind auch die Seitenscheiben ungewohnt groß. In eine von ihnen wurde die seitliche Linien- und Zielangabe sinnvoll integriert statt wie zuvor in den Wagenkasten hineingefräst. Außen wie innen sind die Anzeigen deutlich besser lesbar als bisher. Der untere graue Streifen am Wagenkasten ist schmaler ausgefallen als bei den DN95, die eben in vielerlei Hinsicht unförmig und unbeholfen gestaltet wurden.

Das gilt auch für die Rückseite: Heckmotor und hintere Abgangstreppe hatten ja dafür gesorgt, dass erstmals das untere Heckfenster weggefallen war. Die Rückansichtweckte deshalb Erinnerungen an einen Möbelwagen. Nun gibt die BVG bekanntlich genügend Grund zu der Vermutung, dass ihr fensterlose Fahrzeuge am liebsten wären - endlich nichts mehr zum Zerkratzen (und, neuerdings, Zerschießen), dafür ein Optimum an Reklamefläche! Dennoch besitzen die DN03 statt einer solchen nun Lamellen, wo früher das Heckfenster war. Eine sicher technisch bedingte, aber auch ästhetisch sehr befriedigende Lösung.

Doppeldecker
Die Außenhaut wirkt ganz glatt, die Rückseite lässt - anders als beim Vorgängermodell - nicht an einen Möbelwagen denken. Foto: Thomas Billik

Die dahinter liegende Treppe hat einen etwas ungewohnten Verlauf, endet jedoch im rechten Winkel zur Ausgangstür, auch dies eine sinnvolle Verbesserung. Einer der wenigen Minuspunkte, der sich aber bei Gelegenheit korrigieren lassen dürfte: Um im Oberdeck zu der Treppe zu gelangen, muss man sich hinter der letzten Sitzreihe im Seitwärtsgang hindurchquetschen. Zudem springt die Haltestange in der oberen Frontscheibe von außen ungewohnt ins Auge. Die BVG sollte überlegen, ob sie die Rohre auf dieser Seite nicht weniger auffällig lackieren könnte. Und schließlich kräuselt der erfahrene BVG-Benutzer natürlich die Stirn, wenn er die blanke Rückseite der Sitze sieht: Wie lange wird es wohl dauern, bis diese - mutwillig oder auch durch simple Abnutzung - zerkratzt und damit unansehnlich sind? Generell wäre weniger simpler (Thermoplast-) Kunststoff wünschenswert gewesen, der immer billig anmutet und, statt Patina anzusetzen, rasch nur noch schäbig wirkt.

Aber selbstverständlich weiß ich, dass nicht nur die Zeiten des Holzes im Fahrzeugbau vorbei sind, sondern auch Metall oder Kunstleder soweit wie möglich verschwinden, dass es dabei um Produktionskosten ebenso geht wie um die größtmögliche Reduzierung des Fahrzeuggewichtes. Im Rahmen dieser Vorgaben ist mit den DN03 etwas geschaffen worden, das einen ganz hervorragenden Eindruck macht. Eine wahre Freude, wenn ich sehe, dass der Bus, auf den ich warte, ein DN03 ist, ein solcher Genuss, damit zu fahren, dass ich am liebsten gar nicht mehr aussteigen möchte. Mit ihrer Größe wie ihrer Gestaltung sind diese Wagen hervorragende Repräsentanten des hauptstädtischen ÖPNV, endlich mal wieder etwas, mit dem Berlin wirklich glänzen kann. Im Frühsommer hat die BVG beschlossen, weitere hundert dieser Busse zu beschaffen. Dazu kann man nur gratulieren. Und sich wünschen, es mögen noch mehr werden.

aus SIGNAL 5/2006 (Oktober/November 2006), Seite 16-17

 

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