Eine von ihnen ist die hier beschriebene Strecke.
Jindrichuv Hradec ist eine historische
Stadt in Südböhmen, bekannt durch ihr weiträumiges
Rennaisanceschloß und ihre malerische
Lage in einer für Touristen attraktiven
Landschaft mit Wäldern, Bergen und Teichen.
Hier ist der Sitz des umfangreichen tschechischen
Schmalspurbahnsystems, das seit seiner
Entstehung nahezu unverändert geblieben ist.
Die Stadt ist die Mitte dieses Systems, von
dem eine Strecke nach Süden, die andere
nach Norden führt. Die ältere Südstrecke, die
über 33 Kilometer nach Nova Bystrice an der
österreichischen Grenze führt, wurde am 1.
November 1897 eröffnet. Neun Jahre später,
am 24.12.1906 wurde die 46
km lange Nordstrecke nach
Obratan eröffnet. Beide Strecken
haben eine Spurweite
von 760 mm, was damals die
normale österreichische
Schmalspur war.
Der Schmalspurbahnhof in
Jindrichuv Hradec (im folgenden
„JH" genannt) liegt neben
dem CD-Bahnhof an der
eletrifizierten Hauptbahn Veseli
nad Luznici - Jihlava. Von
hier führen beide Schmalspurstrecken
gemeinsam in einem
Dreischienengleis auf dem
Gleis der Hauptbahn in Richtung
Osten. Etwa zwei Kilomter
stadtauswärts zweigen die
beiden Strecken ab.
An der Strecke nach Nova Bystrice befinden
sich zwei Kreuzungsbahnhöfe, zwei Ladestellen
sowie drei weitere Haltepunkte. An der
Strecke nach Obratan gibt es sechs Kreuzungsbahnhöfe,
zwei Stationen mit Ladestellen
sowie weitere acht Haltepunkte. Es wird
ohne Signale und Bahnhofspersonal nach vereinfachtem
Nebenbahnbetrieb gefahren; das
Kreuzen der Züge und die Weichenstellung
erfolgen durch die Zugführer. Lediglich in JH
werden die Aus- und Einfahrten auf die
Hauptstrecke vom Fahrdienstleiter in JH durch
Lichtsignale geregelt.
Der Lokschuppen und der Sitz des Zugleiters
befinden sich in JH, ein weiterer Lokschuppen
in Kamenice nad Lipou. Beide Bahnstrecken
wurden als Privatbahnen gegründet,
den Betrieb übernahmen jedoch von Anfang
an die österreichischen Staatsbahnen. Erst
1924 wurden beide Bahnen verstaatlicht und
den Tschechischen Staatsbahnen (CSD) zugeordnet.
Die Verkehrsleistungen auf dem Nordabschnitt
blieben in hundert Jahren seiner Existenz
nahezu konstant. Auf dem Südabschnitt
wurde 1902 eine Verbindungsbahn zur österreichischen
Schmalspurbahn Gmünd - Litschau
projektiert, die aber nie zustande kam. Während
des zweiten Weltkrieges kam die gesamte
Bahnstrecke zusammen mit den österreichischen
Anschlußgebieten zur Reichsbahndirektion
Wien. In Folge der Aussiedlung der
deutschen Bevölkerung aus diesem Gebiet
nach Ende des Krieges wurde der Personenverkehr
auf der Südstrecke 1949 eingestellt.
Erst 1957 wurde dieser Streckenteil als Pioniereisenbahn
wieder in Betrieb genommen.
Ein halbes Jahr später wurde dieser Abschnitt
wieder als reguläre Bahn betrieben. Dadurch
konnte sich diese als „Tschechisches Kanada"
- wegen der vielen Seen - bezeichnete Landschaft
schnell zu einem beliebten Ausflugsund
Wandergebiet entwickeln. Allerdings
wurde auch dieses Gebiet in den achtziger
Jahren durch das strenge Grenzregime zum
nahen Österreich beeinträchtigt. Gegenwärtig
verkehren in der Saison 4 Zugpaare, zusätzlich
in den Ferienmonaten montags, sonnabends
und sonntags ein Dampfzugpaar mit
historischen Wagen..Ganzjährig verkehren
zwei Zugpaare am Nachmittag, dazu auf einer
Teilstrecke ein Frühzug.. Alle Züge sind in
der Regel gut besetzt.
Auf dem Nordabschnitt, der überwiegend
mit Diesel-Triebwagen bedient wird, fahren
ganzjährig auf der gesamten Strecke 8 Zugpaare;
hinzu kommen 3 Zugpaare auf Teilstrecken.
Bemerkenswert ist, daß der erste
Zug bereits früh 3.47 Uhr in JH abfährt und
abends der Letzte 22.58 Uhr! Auf diesem Abschnitt
gibt es kaum saisonbedingte Schwankungen.
Er dient hauptsächlich dem Berufsverkehr
und der Verbindung zwischen den
einzelnen Orten der Region.
Auf beiden Abschnitten findet auch Güterverkehr
statt, überwiegend mit Normalspurwagen
auf Rollböcken. Im Jahre 1996 wurden
2800 Wagen transportiert, 1990 waren es noch
12310.
Der Fahrzeugpark beider Bahnabschnitte
bestand bei Aufnahme des Betriebes überwiegend
aus Lokomotiv- und Wagenstandardreihen
öffentlicher Schmalspurbahnen in Litauen
vor dem ersten Weltkrieg. So gab es 6 Lokomotiven
der Baureihe „U" (U 37.0 CSD),
zahlreiche zweiachsige Personen- und Güterwagen
sowie bereits seit Aufnahme des Verkehrs
auch Rollböcke. Durch die Wirren des
ersten Weltkrieges verschwanden zahlreiche
Fahrzeuge, Anfang der zwanziger Jahre kamen
andere hinzu. Vier ehemals serbische Lokomotiven
der Bauart „Maltet" wurden damals als
Baureihe U 47 eingesetzt. Bereits 1929 lieferte
das Werk Tatra Koprivnice die ersten Diesel-Triebwagen
der Baureihe M 11.0. Damit
konnten die Fahrzeiten bis auf ein Drittel verkürzt
und neue Haltepunkte in Betrieb genommen
werden. Aus dem gleichen Werk kamen
bis 1948 weitere fünf größere - vierachsige -
und leistungsstärkere Triebwagen, die als
Baureihe M 21.0 eingestellt wurden. Gleichzeitig
wurden zur Ablösung der Dampftraktion
im Güterverkehr Diesellokomotiven der Baureihe
T 47.0 beschafft. Damit konnte die
Dampftraktion eingestellt und der gesamte
Fahrzeugpark mit Druckluftbremse ausgerüstet
werden. Mit diesen Lokomotiven wird
gegenwärtig die gesamte Last des Normalverkehrs
auf beiden Streckenabschnitten bewältigt.
Heute werden diese Loks als Baureihe
705.9 bezeichnet; sie sind die ältesten Diesellokomotiven
auf tschechischem Gebiet.
Für den Personenverkehr wurden bis Ende
der sechziger Jahre die ursprünglich vorhandenen
alten Wagen genutzt. Ab 1966 lieferte
das Werk Tatra Smichov neue vierachsige
Wagen vom Typ „Balm", die bis heute - und
auch künftig - eingesetzt werden. Neu sind
übrigens auch Rollböcke, die in den Jahren
1987 bis 90 im Waggonwerk Poprad rekonstruiert
wurden.
Einige der alten Personenwagen wurden in
den letzten 10 Jahren gerettet und modernisiert,
so daß sie jetzt für planmäßige Nostalgiefahrten
zur Verfügung stehen. Außerdem
kehrte 1992 aus dem Prager Technik-Museum
die Mallet-Lok U 47.001 nach 30 Jahren Stillstand
mit eigener Kraft nach JH zurück und
befördert seit 1993 die erwähnten Nostalgiezüge.
Allerdings wurde sie im Juli 2003 dabei
in Doppeltraktion von einer Diesellok unterstützt.
Es ist zu hoffen, daß diesen tschechischen
Schmalspurbahnen die Zukunft offen steht
und mancher Leser unserer Zeitschrift die Gelegenheit
nutzt, ihnen einen Besuch abzustatten. DBV International
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