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Manche Verkehrsunternehmen geben Brief und Siegel auf ihre Fahrzeiten. Wir haben einige dieser Garantien getestet. Foto und Montage: Holger Mertens |
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Vor gut 15 Jahren, am Freitag dem 21. November
1997, startete die BVG ihre Service-Offensive.
Zehn Punkte hatte sich das Landesunternehmen
auf die Fahnen geschrieben:
Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft
des Personals als oberstes Gebot, die unverzügliche
Beseitigung von Störungen an
Fahrtreppen und Aufzügen, keine Verfrühungen
mehr, Automaten sollen jederzeit
ausreichend Wechselgeld besitzen und Haltestellen
deutlich angesagt und angezeigt
werden, bessere und frühzeitige Information
bei Bauarbeiten und Störungen sowie
mehr Reisekomfort und zügige kulante Bearbeitung
von Beschwerden, um die wichtigsten
Punkte einmal zusammenzufassen.
Viel ist davon nicht übrig geblieben.
Ruppige Kontrolleure machen einen zum
Straftäter, wenn man nicht 6,70 Euro für das
Tagesticket passend in Münzen für den Automaten
in der Straßenbahn bereit hält. Die
Informationen bei
Bauarbeiten und Störungen
werden immer schlechter und unverständlicher,
so es sie denn überhaupt gibt.
Selbst in modernisierten U-Bahn-Zügen
können die Stationen noch immer nicht angezeigt,
sondern nur angesagt werden, was
oft nicht zu verstehen ist. Mehr Reisekomfort
definiert die BVG mit Hartschalensitzen
und verklebten Fenstern. Und auf Kundenbeschwerden
wird zeitnah oft nur mit „Wir
benötigen noch etwas Zeit” oder nichtssagenden
Textbausteinen geantwortet.
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Grafik: Holger Merten, Idee: EVAG |
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Doch eines hat überdauert: Herausragender
Bestandteil war die damals neue Kundengarantie.
Diese besteht zum einen aus
der Saubere-Sachen-Garantie, nach der die
BVG Reinigungskosten für Kleidung übernimmt,
wenn die Verschmutzungen im Verschulden
der BVG liegen. Zum anderen aus
der Fahrzeit-Garantie. Nach dieser soll ein
Fahrgast einen Gratis-Fahrschein erhalten,
wenn er durch BVG-Verschulden sein Fahrziel
mit mehr als 20 Minuten Verspätung
erreicht.
Für einen Test lassen sich solche
Bedingungen nicht künstlich
herstellen. Wir mussten also warten,
bis sich im Laufe der Jahre
ausreichend Garantieansprüche
einstellten, um den Service umfassend
bewerten zu können. Für
die Saubere-Sachen-Garantie ist
uns dies selbst über den Zeitraum
von 15 Jahren nicht gelungen.
Daher beschränkt sich
dieser Test auf Erfahrungen mit
der Fahrzeit-Garantie.
Fahrzeitgarantie – die Regeln
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Das Garantieformular der BVG zum Ausfüllen und Einschicken per Brief. Ein Online-Formlar gibt es leider nicht BVG |
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Die Regeln sind seit der Einführung
identisch geblieben: „Sollten
Sie aus Gründen, die wir zu
vertreten haben, mehr als 20
Minuten später als der aktuelle
Fahrplan vorgibt, erst Ihr Ziel
erreichen, erhalten Sie von uns
einen Gratisfahrschein. Passiert
Ihnen dies in der Nachtzeit zwischen
23.00 Uhr und 5.00 Uhr,
erstatten wir Ihnen Taxikosten bis maximal
50 DM [heute 25 Euro]. Unsere Garantie gilt
grundsätzlich nur für Fahrten, die ausschließlich
mit BVG-Verkehrsmitteln erfolgen. […]
Als Abo-Kunde haben Sie den Vorteil, anstelle
eines Gratisfahrscheins auch eine Abbuchungsermäßigung
zu vereinbaren.”
Die Beanspruchug der Garantie hat die
BVG recht einfach und komfortabel gestaltet.
Dazu wurden Flyer mit dem Garantieformular
gedruckt, welches ausgefüllt und
zusammengeklebt einen Brief bildet, den
der Kunde unfrei einsenden kann. Gibt man
alle Angaben aus dem Garantieantrag auch
vollständig in einer E-Mail an, so wird diese
in der Regel ebenfalls akzeptiert. Dies muss
innerhalb von 14 Tagen nach dem Vorfall
geschehen. Der Kunde erhält dann nach der
Bearbeitung ein Schreiben, das entweder
den Gratisfahrschein oder eine begründete
Ablehnung enthält.
Fahrzeitgarantie – die Idee damals…
Die BVG verstehe sich als richtungsweisendes,
kundenorientiertes Dienstleistungsunternehmen,
so der damalige BVG-Chef
Rüdiger vorm Walde. Die damals einzigartige
Selbstverpflichtung sollte Vorreiter
für Deutschland sein. Es bestehe zwar kein
Rechtsanspruch, die BVG gehe aber davon
aus, dass sich die Berliner an die Regeln halten
werden, und sie wolle kundenorientiert
und kulant reagieren. Um Missbrauch vorzubeugen,
werde man aber in Einzelfällen
genauer hinsehen, hieß es damals.
BVG-Chef vorm Walde sagte anlässlich
der Einführung dazu: „Es wird sicher nicht
umsonst sein. Aber ein zufriedener Kunde
ist uns das wert. Wir lassen uns diese Aktion
gern etwas kosten.“
… und heute
Vom damaligen Wirbel ist heute nicht mehr
viel übrig geblieben. Seit Jahren muss man
die Flyer zur Kundengarantie schon sehr gezielt
suchen oder sich als Bückware im Kundenzentrum
aushändigen lassen. Geworben
wird mit dieser kundenfreundlichen Garantie
schon lange nicht mehr. Von der Website
ist das Angebot ebenfalls fast vollständig
verschwunden. Bemüht man das Suchfeld
auf bvg.de mit dem Begriff „Fahrzeit-Garantie”,
so liefert dies keine Treffer, obwohl
die Seite existiert. Das lässt vermuten, dass
das ungeliebte Kind nur deshalb noch fortbesteht,
weil es 2008 Bestandteil des BVG-Verkehrsvertrags
wurde. Somit schlummern
darin ungenutzte Marketingpotenziale, obwohl
die Kosten für die bearbeitende Abteilung
vertragsbedingt weiterbestehen.
Die Garantiefälle
Im Grunde wird heute wie damals gleichermaßen
kulant entschieden. Erstmalige
oder selten in Anspruch nehmende Kunden
erhalten den Gratis-Fahrschein (immer
Berlin ABC) innerhalb weniger Tage
per Post. Wie von der BVG angekündigt
schaut man bei den „Wiederholungstätern”
aber genauer hin. Zu genau, wie
unser Test offenbart hat. Berücksichtigt
man, dass alle von unseren Testern eingereichten
Garantiefälle sorgfältig ausgewählt
waren und jeder Prüfung standhalten müssten, dann
war die Ablehnungsquote doch zu hoch.
Ein Fallbeispiel
In einem Fall fuhr im September 2012 eine
Straßenbahn der Linie 60 verfrüht von einer
Haltestelle in Adlershof ab: statt 9.36 Uhr bereits
um 9.34 Uhr. Der betroffene Fahrgast,
der seine Bahn nur noch von hinten sehen
konnte, erreichte sein Ziel deshalb erst mit
20-minütiger Verspätung und stellte einen
Antrag gemäß BVG-Fahrzeitgarantie. Das
Unternehmen antwortete kurz und knapp:
„Eine Auswertung der Daten unseres rechnergesteuerten
Betriebsleitsystems bestätigt
die planmäßige Abfahrtzeit der Tram.”
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Der Screenshot der Echtzeit-Abfahrtzeiten aus dem Internet zeigt: Die erste Abfahrt ist zwei Minuten zu früh erfolgt. mobil.bvg.de |
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Aus der Erfahrung des Fahrgastes mit einem
früher schon einmal abgelehnten Antrag
fertigte er dieses Mal sofort nach dem
Verpassen der Bahn einen Screenshot der
Ist-Abfahrtzeiten einige Haltestellen weiter
an. Mit diesem konnte der Fahrgast nachweisen,
dass eine Verfrühung tatsächlich
vorlag, denn die IST-Abfahrtzeiten werden
aus demselben „rechnergesteuerten
Betriebsleitsystem” bezogen, auf das die
BVG ihre Antwort stütze. Der Fahrgast
übersandte das Bildschirmfoto
an die BVG mit der Bitte um Stellungnahme.
Diese führte eine erneute Überprüfung
durch und teilte dem Kunden mit:
„Alle von Ihnen angegebenen
Daten wurden vom Betriebshof
geprüft und es wurde eine planmäßige
Abfahrt bestätigt. Ihr Screenshot ist für eine
Auswertung leider nicht aussagefähig.” Eine
Erklärung, warum der Screenshot nicht aussagefähig
sei, fehlte.
Leider kein Einzelfall
Ähnliche Erfahrungen haben auch andere
Tester machen müssen. Mal wurde abweichend
von der Garantieregel behauptet,
dass eine dreiminütige Verfrühung zu akzeptieren
sei, ein anderes Mal wurde mit
einer ebenfalls angeblich aus dem Betriebsleitsystem
stammenden erfundenen Durchfahrzeit
mit Sekundengenauigkeit argumentiert,
die das System technisch gar nicht
liefern kann. Einmal haben sogar zwei Tester
unterschiedliche Bescheide für denselben
Vorfall bekommen. Dem einen Antrag wurde
stattgegeben, der andere abgelehnt.
Die ausgewerteten Fälle zeigen, dass die
BVG zur Ablehnung eines Kundenanliegens
oft einen Aufwand betreibt, der betriebswirtschaftlich
durch nichts zu rechtfertigen
ist. Es werden Mitarbeiter beschäftigt,
mehrere Briefe geschrieben und verschickt,
nur um einen Fahrschein im Gegenwert
von inzwischen 3,20 Euro zu verwehren,
der ohnehin nur für sowieso stattfindende
Fahrten im eigenen Unternehmensverbund
genutzt werden kann. Nicht zuletzt
verkehrt sich so auch noch die mit der
Kundengarantie angestrebte Marketingwirkung
ins Gegenteil.
Anscheinend wird aus der eingangs erwähnten
„genauen Prüfung in Einzelfällen”
eine Ablehnung, wenn ein gewisses Kontingent
überschritten ist.
Fazit
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Von der BVG gibt es bei einem berechtigten Garantieanspruch einen freundlichen Brief und einen Gratis-Einzelfahrschein der Tarifstufe Berlin ABC frei Haus. Foto: Holger Mertens |
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Im Großen und Ganzen bietet die BVG mit
ihrer Fahrzeitgarantie ein gutes Element der
Kundenbindung an. Der Antrag ist unkompliziert
und der Zeitraum, der dem Kunden
zur Beanstandung gelassen wird, ausreichend.
Die Beantragung per E-Mail nicht zu
forcieren, aber zuzulassen, ist akzeptabel –
sowohl unter ökologischen, als auch unter
ökonomischen Gesichtspunkten. Denn es
spart Papier, Porto und Transport.
In der Regel erhält der Antragsteller seinen
Garantiefahrschein zügig. Dass es sich
hierbei, egal welcher Weg zurückgelegt
wurde, immer um einen hochwertigen
Einzelfahrschein Berlin ABC für Erwachsene
handelt, ist ebenfalls positiv. Die Erstattung
von Taxikosten, auch wenn dies nicht
repräsentativ getestet werden konnte, lief
problemlos.
Einen überregionalen Vergleich braucht
die BVG nicht zu scheuen. Zwar ist woanders
die Verspätungsgrenze meist geringer
als 20 Minuten, aber die Regeln und Erstattungsbedingungen
sind in der Regel komplizierter.
Die BVG-Garantie kann hingegen
selbst ein Tourist wahrnehmen und erhält
mit dem Fahrschein die Motivation, die
Stadt bald wieder zu besuchen. Also auch
gut für Berlin. Schade nur, dass man die Garantie
nicht mehr offensiv bewirbt und anscheinend
nur als Kostenpunkt sieht, aber
nicht als preiswertes Marketinginstrument
zur Aufpolierung des eigenen Images. Hier
ist bei der BVG ein Umdenken erforderlich.
Aber ebenso ist das Land Berlin gefordert,
die Einhaltung des Verkehrsvertrages mit
der BVG auch hinsichtlich der Kundengarantie
zu kontrollieren. (hm) IGEB Stadtverkehr
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