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Anlass für Ärger gab und gibt es reichlich. Das
beginnt schon beim Termin. In den letzten
Jahren fanden die Tarifänderungen, die bekanntlich
überwiegend Tariferhöhungen waren,
in der Regel zum 1. August statt, so auch
2003. In diesem Jahr wurden sie nun auf den
1 .April vorgezogen, offiziell begründet mit der
schwierigen wirtschaftlichen Situation der
Verkehrsunternehmen im VBB. Die inoffizielle
Version lautet, dass die brandenburgische
Landesregierung das Vorziehen gewünscht
habe, um den Abstand zur Landtagswahl am
19. September zu vergrößern. Doch den Fahrgästen
ist die Ursache letztlich egal, denn es
ändert nichts am Ärger über die Verteuerung.
Als „Trostpflaster" bleibt ihnen lediglich die
Ankündigung von Landrat Peer Giesecke, Vorsitzender
des VBB-Aufsichtsrates, dass es
2004 keinesfalls eine weitere Erhöhung geben
werde und dass die Landkreise wegen
des Schuljahres künftig zum Termin 1. August
zurückkehren wollten.
Die 3,3 Prozent Mogelpackung
„Die Fahrpreise beim VBB bleiben moderat
und werden durchschnittlich nur um 3,3 Prozent
angehoben." Diese erstmals nach der Tarifentscheidung
am 17. Dezember 2003 verbreitete
und in letzter Zeit regelmäßig wiederholte
Behauptung des VBB ist nicht nur
falsch, sondern zynisch. Die Mehrzahl der Fahrgäste
fahren bekanntlich mit Zeitkarten. Diese
kosten zum Beispiel für bisherige AB-Standard-Kunden
in Berlin 64,00 statt 58,50 Euro,
also + 9,4 Prozent. In Potsdam und Frankfurt
sind es + 6,9 Prozent und in Brandenburg an
der Havel sowie Cottbus sogar + 10,2 Prozent.
Demgegenüber wird der Einzelfahrausweis
für zwei Stunden in Berlin von 2,20 auf
2,00 Euro verbilligt und deshalb in der VBB-Statistik
mit - 9,1 Prozent berechnet. Dass in
den zwei Stunden nur noch in eine Richtung
gefahren werden darf und somit für nicht wenige
Fahrgäste eine Verteuerung von 2,20 auf
4,00 Euro (+ 82 Prozent) eintrat, wurde nicht
berücksichtigt. Ebenfalls vernachlässigt wurde,
dass Käufer der jetzt abgeschafften preiswerten
Berlin-Karte statt des bisher 1,50
Euro teuren ermäßigten Einzelfahrscheins nun
einen Normalfahrschein zu 2,00 Euro erwerben
müssen (+ 33 Prozent).
Geradezu dramatisch sind die Verteuerungen
in Berlin für bisherige Nutzer von ermäßigten
Zeitkarten. Wer bisher berechtigt war,
mit der Sozialkarte für 20,40 Euro, der Arbeitslosenkarte
für 23,50 Euro oder der Seniorenkarte
für 39,50 Euro zu fahren, muss nun
64,00 Euro zahlen, also +214 Prozent,
+ 172 Prozent bzw. + 62 Prozent. Selbst bei
einer Gegenüberstellung zur neuen 10-Uhr-Karte
für 49,50 Euro betragen die Preiserhöhungen
+ 143 Prozent, + 111 Prozent bzw.
+ 25 Prozent. Angesichts solch extremer, aber
rechnerisch nicht berücksichtigter Verteuerungen
ist es unlauter und eine Verhöhnung der
Betroffenen, von „durchschnittlich nur
3,3 Prozent" Fahrpreiserhöhung zu sprechen.
Der Streit um die Sozialkarte
Als Folge dieser unsozialen Tarifpolitik werden
sich viele Berliner Fahrgäste eine Monatskarte
nicht mehr leisten können und in
ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt. Zugleich
könnte es dennoch für das Land Berlin
teurer werden, weil ein Teil der Betroffenen
berechtigt ist, sich eine teure Monatskarte zu
kaufen und von den Sozialämtern erstatten zu
lassen. Dass eine solche Entwicklung auch bei
den Regierungsfraktionen für möglich gehalten
wird, zeigt der nachfolgend abgedruckte
(geringfügig gekürzte) Beitrag der Abgeordneten
Jutta Matuschek (PDS), verteilt auf einem
Verkehrsforum ihrer Fraktion. Demnach, so
ihre Argumentation, sei es dem SPD/PDS-Senat
aus finanzrechtlichen Gründen nicht möglich,
wie bisher Zuschüsse des Landes Berlin direkt
an BVG und S-Bahn zu zahlen, damit diese
eine preiswerte Sozialkarte anbieten. Das mag
sein, ändert aber nichts an der Grundsatzposition
des Berliner Fahrgastverbandes, dass die
Verantwortung für diese unsoziale Berliner
Fahrpreispolitik nicht bei den Verkehrsbetrieben
liegt, sondern allein beim Berliner Senat
bzw. beim Abgeordnetenhaus.
Der Senat zwingt S-Bahn und BVG mit verminderten
Zahlungen dazu, einerseits alle
Einsparpotenziale und andererseits alle Einnahmepotenziale
auszuschöpfen. Somit sind
beide Unternehmen gezwungen, ihr Handeln
vor allem anderen an der Wirtschaftlichkeit
auszurichten, so dass sie verständlicherweise
zumindest nicht freiwillig ermäßigte Sozialtarife
anbieten werden. Natürlich fordert der
Berliner Fahrgastverband IGEB preiswerte
VBB-Tarife, damit aus sozialen, verkehrlichen
und umweltpolitischen Gründen möglichst
viele Menschen Bahnen und Busse nutzen,
aber dafür muss die Politik sorgen, indem die
Länder als Besteller des ÖPNV mit den Verkehrsunternehmen
attraktive und sozial gerechte
Tarife aushandeln - und auch bezahlen!
Es ist ein Armutszeugnis für die Berliner
Politik und ein Schlag ins Gesicht der betroffenen
Fahrgäste, dass es erst ab 1. Januar
2005 einen Ersatz für die zum 1. Januar 2004
abgeschaffte Sozialkarte geben soll. Hinzu
kommt, dass selbst das Datum 1. Januar 2005
noch ungewiss ist, da der Senat auf seiner Position
beharrt, dass die Verkehrsbetriebe ein
solches Angebot selbst finanzieren müssten -
ohne jeden Zuschuss des Landes. Warum aber
sollten BVG und S-Bahn das tun, nachdem sie
vom Finanzsenator weniger Geld bekommen
und deshalb 2004 kein ausgeglichenes Ergebnis
schaffen werden?
Sollte der Senat jedoch vorhaben, S-Bahn
und BVG (wie auch immer) zum Angebot einer
Sozialkarte ohne zusätzliche Zahlungen des
Landes Berlin zu zwingen, dann bleiben den
Verkehrsunternehmen im Wesentlichen nur
zwei Möglichkeiten: Einsparungen durch Angebotsabbau
bei Bahnen und Bussen oder Mehreinnahmen
durch noch höhere Tarife für die
„Normalzahler". Beides würde die Abwärtsspirale
für den öffentlichen Nahverkehr in
Berlin beschleunigen.
Deshalb fordert der Berliner Fahrgastverband
IGEB nachdrücklich, dass das Angebot
sozialer Tarife nicht allein von den ÖPNV-Kunden,
sondern von allen Berlinerinnen und Berlinern,
auch den Auto fahrenden, finanziert
wird, also aus dem Landeshaushalt.
Konfliktpotenzial Einzelfahrschein
Aus Sicht der Verkehrsbetriebe ist es verständlich,
dass sie aus dem Einzelfahrschein
mit zweistündiger uneingeschränkter Benutzbarkeit
einen Fahrschein „für eine Fahrt in
Richtung auf das Fahrtziel" gemacht haben.
So konnten sie den Fahrpreis senken (siehe
oben) und dürfen dennoch auf Mehreinnahmen
hoffen. Zugleich konnten sie darauf verweisen,
dass diese Handhabung auch in anderen
Städten üblich sei („Harmonisierung" der
Nahverkehrstarife in Deutschland). Und
schließlich sieht Berlin beim Tarifvergleich mit
anderen Städten nicht mehr ganz so schlecht
aus. Ein echter Coup also, aber zu Lasten der
Fahrgäste. Denn das Berliner Nahverkehrsnetz
ist so komplex, dass es hier häufiger als
in anderen Städten mehrere Fahrmöglichkeiten
zwischen zwei Orten gibt, so dass Streitfälle
vorprogrammiert sind, ob der Fahrgast
eine den Tarifbestimmungen entsprechende
Route gewählt hat.
Hinzu kommt, dass in Berlin, vor allem bei
der BVG, die Schwarzfahrer-Kontrollen längst
nicht mehr unter den Vorzeichen von Erziehung
bzw. Abschreckung durchgeführt werden,
sondern vorrangig zur Erzielung zusätzlicher
Einnahmen. Kulanz seitens der Kontrolleure
ist deshalb kaum noch zu erwarten, weil
sie ihre Fall-Zahlen sonst nicht erreichen bzw.
dafür länger arbeiten müssen (siehe Artikel
Seite 11 in diesem Heft). Flankiert wird das
von einer Öffentlichkeitsarbeit, die den Eindruck
erweckt, dass jeder Schwarzfahrer ein
Kleinkrimineller ist, der sich die Beförderungsleistung
auf dem Rücken ehrlicher Fahrgäste
erschleicht. Dass viele der Schwarzfahrer
zum Beispiel versehentlich einen falschen
Fahrausweis gelöst, versehentlich die Zeitkarte
nicht eingesteckt oder versehentlich die
neue Marke noch nicht aufgeklebt haben, wird
unterschlagen. In solch einem Klima Tarifangebote
wie den neuen Einzelfahrausweis einzuführen,
bei denen es Interpretationsspielraum
gibt, ist falsch und kundenfeindlich.
Preiswertere Fahrradmitnahme
Nicht alles wurde zum 1. April schlechter. So
bewertet der Berliner Fahrgastverband IGEB
die Zusammenlegung von Standardkarte und
Premiumkarte zur einstigen Umweltkarte als
Verbesserung. Die Reduzierung des Angebotes
auf nur noch eine Monatskarte bzw. Jahreskarte
macht das Angebot attraktiver und
übersichtlicher. Und immerhin kann man jetzt
mit einer normalen Monatskarte abends ab
20 Uhr und am Wochenende einen weiteren
Erwachsenen und bis zu drei Kinder kostenlos
mitnehmen. Dass Zeitkarteninhaber nun eine
Zusatzmarke erwerben müssen, um ihr Fahrrad
weiterhin mitnehmen zu können, ist zumutbar,
da sie für Berlin AB nur 5 Euro und für
den gesamten VBB-Verbundraum nur 9 Euro
im Monat bezahlen müssen. Erfreulich auch,
dass auf den Zeitkarten für Schüler, Auszubildende
und Studenten das Rad weiterhin kostenlos
mitgenommen werden kann. Und die
neue Regelung, dass Fahrgäste ohne eine solche
Zeitkarte für ein mitgeführtes Fahrrad
künftig einen Ermäßigungsfahrschein (bisher
Normalfahrschein) erwerben müssen, ist
ebenfalls eine Verbesserung.
Zu teure 10-Uhr-Karte
Ein Fortschritt ist auch die Einführung einer
Berliner 10-Uhr-Monatskarte. Mit dieser Karte,
die montags bis freitags erst ab 10 Uhr
sowie am Wochenende ganztägig gilt, wird
eine jahrelange IGEB-Forderung erfüllt. Die
10-Uhr-Karte ist insbesondere auch ein gutes
Angebot für Senioren, die in Berlin bisher nur
bei sehr geringem Einkommen eine verbilligte
Monatskarte bekamen. Allerdings ist das neue
Angebot mit 49,50 für Berlin AB erheblich zu
teuer, zumal es nicht einmal die Sparmöglichkeit
durch Kauf einer Jahreskarte gibt. Außerdem
müssen sich die Verantwortlichen fragen
lassen, warum das Ziel einerTarif-Harmonisierung
nur für den Einzelfahrausweis galt, nicht
aber für diese Karte? Denn bundesweit und
auch in den brandenburgischen Städten gibt
es die allgemein übliche 9-Uhr-Karte, nur Berlin
hat jetzt eine 10-Uhr-Karte.
Fazit
Der Berliner Fahrgastverband IGEB begrüßt,
dass bei der Tariferhöhung 2004 wichtige
strukturelle Verbesserungen im VBB-Tarif vorgenommen
wurden, insbesondere in Berlin.
Richtig sind die Einführung einer 10-Uhr-Monatskarte,
die Zusammenlegung von Premium-
und Standardkarte bei den Monats- bzw.
Jahreskarten, aber auch die Preissenkung
beim Einzelfahrschein. Scharf zu kritisieren ist
jedoch, dass die Tariferhöhung für die meisten
Fahrgäste erneut deutlich über der Inflationsrate
und der allgemeinen Einkommensentwicklung
liegt. Mit der Abschaffung aller Sozialtarife
bei den Berliner Monatskarten traf es
gerade die ärmeren Fahrgäste in beispielloser
und unverantwortlicher Weise. Ausgerechnet
die SPD und die PDS, die das Wort „sozial" in
ihren Parteinamen führen, entfernen sich in
Berlin mit großen Schritten von einer sozial
gerechten Verkehrspolitik.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB kritisiert
ferner, dass den ständigen überdurchschnittlichen
Tariferhöhungen für die Fahrgäste
bei gleichzeitigem Abbau des Verkehrsangebotes,
insbesondere beim BVG-Busverkehr,
keine entsprechenden Einsparmaßnahmen bei
den Verkehrsbetrieben gegenüberstehen und
dass viele Einsparpotenziale durch die Verkehrspolitik
verhindert werden. Dass kurz vor
der Tariferhöhung ein Bericht des Berliner
Rechnungshofes bekanntwurde, in dem die
Gehälter der BVG-Führungsebenen als viel zu
hoch bewertet wurden, hat das Klima in der
Stadt erheblich vergiftet. Ob zurecht oder
nicht zurecht hatten nun jedenfalls viele Fahrgäste,
insbesondere die Nutzer der bisherigen
Sozialtarife, das Gefühl, „bei uns wird abkassiert,
damit die da oben ihre dicken Gehälter
behalten können".
Der Berliner Fahrgastverband IGEB hat sich
jeglicher Kommentierung, welches Gehalt um
wie viel zu hoch sein könnte, enthalten. Aber
äußerst verwerflich ist das Ausmaß von persönlichen
Dienstwagen für leitende BVG-Mitarbeiter,
nicht nur aus finanziellen Gründen,
sondern vor allem wegen der Außendarstellung.
Das ist etwa so, als ob alle Vorstandsmitglieder
des Nichtraucherbundes auf Kosten
ihres Verbandes Zigaretten bekämen und öffentlich
rauchten. Dass man es besser machen
kann, zeigen DB Regio und S-Bahn. So gibt es
bei der S-Bahn nur drei persönliche Dienstwagen.
Und fast alle Führungskräfte trifft
man immer wieder in ihren eigenen Bahnen.
IGEB
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