Das Projekt Angebotsoptimierung unterscheidet
sich von der Mehrzahl der Lenkrad - Vorhaben
dadurch, dass es auch Erlössteigerungen
zum Ziel hat. Dass die Angebotsoptimierung
gleichzeitig auch Kostensenkungen erzielen
soll, zeigt den ehrgeizigen Anspruch des
Vorhabens. Das Projekt gliedert sich im Wesentlichen
in die drei Teile Analysen, strategische
Netzplanung und Detailplanung, wobei
unter Letzterem die konkrete Neuplanung von
Netz und Fahrplan verstanden wird. In diesem
Artikel sollen die Ergebnisse der Analysen
vorgestellt werden, ein zweiter wird im nächsten
SIGNAL die Planungen vorstellen.
Analysen
Mit Analysen zu Kunden-Anforderungen an
den ÖPNV, zur Wettbewerbssituation OPNV -
MIV (Motorisierter Individualverkehr) in Berlin
und zur Auslastung der von ihr betriebenen
Verkehrsmittel erweiterte die BVG ihre Datengrundlagen,
die von Experten im bundesweiten
Vergleich bereits heute als gut eingeschätzt
werden.
Im Bereich Marktforschung verfügt die BVG
über Daten allgemeiner Art (zum Beispiel
BVG-Marktmonitor) und über eine Vielzahl
von SpezialUntersuchungen zu Einzelthemen
wie die Bewertung von verschiedenen Expressbussen.
Nun wurde der Ansatz betrieben,
einerseits die allgemeinen Fragestellungen
zu vertiefen und andererseits die Spezialuntersuchungen
zu ergänzen, so dass insgesamt
ein „rundes Bild" an für die Verkehrsplanung
verwendbaren systematischen Aussagen
gewonnen werden konnte. Unterstützt
wurde die BVG dabei durch Roland Berger
Market Research. Roland Berger war darüber
hinaus mit der Begleitung weiterer Aufgaben
im Vorhaben betraut, während mit der Unterstützung
im ingenieurplanerischen Bereich die
Berliner Firma IVU AG beauftragt ist.
Bei den für die Auslastungsanalyse zu Grunde
liegenden Nachfragedaten wurden zum ersten
Mal in größerem Umfang die Ergebnisse
der Senatszählung 2002 verwendet, deren
Zählungen sich vorher noch in der Auswertung
befunden hatten. Eine Verwendung dieser
Senatszählungen wurde möglich, da der
Senat der BVG einen Auftrag erteilte, den gesamten
Berliner ÖPNV mit den Fragestellungen
des Projekts Angebotsoptimierung zu betrachten.
Dieser Auftrag konnte aber noch
nicht in Angriff genommen werden, da die
S-Bahn GmbH bisner ihre Mitarbeit abgelehnt
hat.
Bei der Wettbewerbsanalyse konnte die
BVG auf die Verkehrsmodellierung des ÖPNV
und des MIV zurückgreifen, die auch die
Grundlage für die Ist-Modellierung zum Stadtentwicklungsplan
Verkehr des Senats bildete.
Die IVU AG nat bei dieser Gelegenheit im Auftrag
der BVG die Modellierung auf das Jahr
2002 aktualisiert.
Analyse-Ergebnisse
Kunden-Anforderungen
Der Wunsch nach kurzen Reisezeiten steht mit
über 80 Prozent der Nennungen alleinig an
der Spitze bei den Kunden-Anforderungen
zum ÖPNV in Berlin. Kurz ist dabei im Sinne
eines günstigen Reisezeit-Verhältnisses der
ÖPNV-Kunden zum MIV zu verstehen. Da hinter
der Reisezeit alle anderen Faktoren völlig
zurücktreten, wurde untersucht, welche der
verschiedenen Komponenten der Haustür-zu Haustür-Reisezeit
von den befragten am
stärksten gewichtet wird. Es wurden die Prioritätssetzungen
der Berliner abgefragt hinsichtlich:
- dichtem Takt (das heißt der Zugangs- und
Umsteigewartezeiten),
- hoher Haltestellendichte (das heißt Entfernung
von Wohnung/Zielen zur nächstgelegenen
Haltestelle) und
- hoher eigentlicher Fahrgeschwindigkeit des
öffentlichen Verkehrsmittels.
Von einer Mehrheit der Befragten wurde dabei
die höchste Priorität auf einen dichten
Takt gelegt. Eine etwas geringere Anzahl der
Berliner zog die hohe Haltestellendichte vor,
während die mit Abstand kleinste Zahl der
Befragten die eigentliche Fahrgeschwindigkeit
an erste Stelle setzte. Dieses Ergebnis
deckt sich mit Alltagswahrnehmungen, zum
Beispiel, dass die verlorene Zeit bei einem
verpassten Anschluss (also Takt) auch durch
eine anschließende schnelle Fahrt zum Beispiel
auf einer Busspur nicht wieder wettgemacht
werden kann.
Interessant ist dieses Ergebnis insofern, als
bei konkreten Netzplanungen sowohl unter
den Verkehrsplanern als auch in der öffentlichen
bzw. veröffentlichten Meinung Berlins
die hohe Haltestellendichte als nahezu tabuisierte
Gegebenheit behandelt wird. Auch der
von Roland Berger durchgeführte Vergleich
mit anderen Städten, ja selbst der Vergleich
der beiden Stadthälften Berlins zeigt eine außerordentlich
hohe Haltestellendicnte insbesondere
im Westteil der Stadt.
Weniger überraschend für die Planer war
eine weitgehende Akzeptanz für das Umsteigen
in Berlin. Das positiv besetzte Gefühl, in
einer Großstadt zu leben, zeigte hier wohl seine
Wirkung. Wegen einer trotzdem vorhandenen
gewissen Zahl deutlich schlechter Bewertungen
für Umsteigesituationen wurde noch
vertieft untersucht. Hier wird die BVG die sich
im Rahmen der Angebotsoptimierung bietenden
Möglichkeiten, wie verbesserte Anschlussgewährung
oder Kommunikation bestehender
Anschlüsse, nutzen.
Gar nicht überraschend war schließlich für
die Planer die völlig fehlende Zahlungsbereitschaft
der Berliner für Komfortsteigerungen,
die insbesondere für den Fahrzeugkomfort
abgefragt worden war. Bei diesem wie auch
bei den anderen Themenkomplexen zeigten
sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen
Kunden und Nichtkunden des ÖPNV.
Wettbewerbsanalyse
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Verkehrströme mit Handlungsbedarf (MIV + ÖPNV über 4000 Fahrten je Werktag, ÖPNV-Anteil unter 50 Prozent). Grafik: BVG |
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Mit einer Wettbewerbsanalyse wurde ein auf
der Verkehrsmodellierung basierender umfassender
räumlicher Vergleich der Reisezeiten
im ÖPNV mit denen im MIV vorgenommen. Die
dabei untersuchten räumlichen Einheiten bildeten
die Verkehrsdistrikte Berlins. Die Untersuchung
ermittelte gezielt aufkommensstarke
Nachfrageströme des MIV, die heute
ein schlechtes Reisezeit-Verhältnis aus Sicht
der ÖPNV-Kunden und einen niedrigen Marktanteil
des ÖPNV aufweisen. Sie werden als
Relationen mit Gewinnchancen hinsichtlich
neuer Fahrgäste, das heißt mit Handlungsbedarf
gesehen. Die Verkehrsmenge (werktägliche
Fahrten MIV und ÖPNV) der in der Abbildung
1 dargestellten Relationen drückt sich in
der Balkenstärke aus. Die stärksten Relationen
finden sich auf der Abbildung zwischen
den Ortsteilen Steglitz, Lichterfelde, Zehlendorf/Dahlem
und Zehlendorf-Süd. Dort finden
sich auch die Relationen mit niedrigem Marktanteil
des ÖPNV, dargestellt in dunklerer
Schattierung der Balken dargestellt und finden
sich zum Beispiel zwischen den Ortsteilen/Verkehrsdistrikten
Steglitz, Lichterfelde,
und Zehlendorf/Dahlem. Relationen mit einem
schlechten Reisezeit-Verhältnis für ÖPNV-Kunden
sind mit weit gestrichelter Linie im
Balken, zum Beispiel zwischen Neu-Tempelhof
und Nord-Neukölln dargestellt.
Auf den ermittelten Relationen mit Handlungsbedarf
werden Möglichkeiten für Fahrgast-Gewinne
gesehen, die mit gezielten Angebotsmaßnahmen
(zum Beispiel mit Express-Bussen) bei
geringer Steigerung des Betriebsaufwands
realisiert werden können. Die
Gewinn versprechenden Relationen finden
sich ganz überwiegend außerhalb des S-Bahn-Rings
mit Schwerpunkten im Süden und Norden
Berlins, aber auch in Spandau, Pankow
und Köpenick; sie sind nicht nur tangential,
sondern auch radial ausgerichtet. Eine zusätzliche
feine räumliche Untersuchung zeigte,
dass auch bei benachbarten Verkehrsdistrikten
die Stärke der Verkehrsströme meist nicht
durch Aufsummieren mehrerer kleinere Ströme
entsteht, dass heisst ihr Potenzial zum
Beispiel für eine Linienbildung ist ebenfalls
gegeben.
Das gesamte Potenzial auf den Relationen
mit Handlungsbedarf ist beachtlich. Wenn es
gelingt, nur einen kleinen Teil dieses Potenzials
für den ÖPNV zu gewinnen, sind Steigerungen
der Fahrgast-Zahlen in Millionen-Höhe
möglich. Damit bestätigte die Wettbewerbsanalyse
die eingangs aufgestellte These, dass
das Projekt Angebotsoptimierung für die BVG
signifikante Ergebnisverbesserungen auch auf
der Erlös-Seite erzielen kann. Hierzu wurde im
Projekt ein konkretes Zahlengerüst erarbeitet.
Im weiteren Fortgang der Arbeiten wird
sich das Interesse nun auf zwei Fragen konzentrieren:
- Inwiefern gelingt es in der Detailplanung
der Linien und des Fahrplanangebotes auf
den ermittelten Relationen konkrete Verbesserungen
des Reisezeit-Verhältnisses
auch wirklich zu realisieren?
- Wie gut waren die getroffenen Annahmen,
dass heisst wieviel Verlagerungen im Modal
Split werden nach der Umsetzung der
Maßnahmen wirklich erreicht?
Auslastungsanalyse
Während die Wettbewerbsanalyse also nach
Gewinnpotenzialen hinsichtlich neuer Fahrgäste
suchte, zielte die Auslastungsanalyse auf
Sparpotenziale. Vergleiche der Auslastung
zwischen den öffentlichen Verkehrsmitteln in
Berlin und in anderen deutschen Städten hatten
schon vor der Auflassung des Projekts Angebotsoptimierung
gezeigt, dass die Auslastung
bei der BVG relativ niedrig ist. Da nicht
klar war, ob bei den Vergleichen immer die
Rechenmethode des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen
(VDV) zu Grunde gelegen
hatte, gab es eine gewisse Spannung hinsichtlich
der genauen Werte bei den Verkehrsmitteln
der BVG. Die Berechnung der
Auslastung für das Projekt erfolgte exakt
nach derVDV-Methode, das heißt Platzkilometer
durch Personenkilometer ausgedrückt in
Prozent. Die Stehplätze wurden mit vier Personen
pro m2 Stehplatz-Fläche zu Grunde gelegt.
Die U-Bahn weist eine durchschnittliche
Auslastung über Montag bis Freitag (werktags)
einen Wert knapp unter 20 Prozent, über
alle Tage (Montag bis Sonntag) von knapp
19 Prozent auf. Der Nachtbetrieb ist in beiden
Zahlen nicht enthalten, dürfte jedoch wegen
seines geringen Gesamtumfangs die Werte
nicht verändern. Bei Betrachtung der einzelnen
U-Bahn-Linien zeigen sich werktags gute
Auslastungen auf der U 9 (fast der gesamten
Linie) und der U 7 auf der Teilstrecke von
S+U Neukölln bis Fehrbelliner Platz. Ebenfalls
gut ausgelastet - vielleicht für den einen
oder anderen überraschend - ist das
Kernstück der U 6 von Mehringdamm bis
Wedding.
Erwartungsgemäß sind die Linien-Enden
schwach (das"heißt unter 10 Prozent) ausgelastet,
auch die U 15 von Uhlandstraße bis
Wittenbergplatz. Die U 4 fällt nicht in den
schwachen Bereich, weil dort ein Einsatz von
kurzen Zügen erfolgt, also passable Auslastungswerte
bei schlechten Belastungswerten
gegeben sind. Insgesamt ist bei der U-Bahn
ein mehr oder weniger erwartetes Gesamtbild
zu verzeichnen.
Ähnliches kann von der Straßenbahn gesagt
werden. Deren Gesamtwerte liegen Montag
bis Freitag bei 15 Prozent und Montag bis
Sonntag bei 14 Prozent. Gute Auslastungen
zeigen die Strecken/Linien auf den Hauptradialen
Prenzlauer Allee, Greifswalder Straße und
Landsberger Allee innerhalb des S-Bahn-Rings,
aber teilweise auch bis in die Außenbereiche.
Gut ausgelastete Tangentialen sind die Linie
20 und die Linien im Bereich Osloer Straße.
Ebenfalls gute Werte sind auf der Allee der
Kosmonauten zu verzeichnen sowie auf der
Linie 50 zwischen den S-Bahnhöfen Pankow
und Pankow-Heinersdorf. Schlechte Auslastungen
zeigt die Straßenbahn in Bereichen
des Köpenicker Netzteils und an Linienenden.
Das komplizierteste Bild weist der Unternehmensbereich
Omnibus auf, bei dem die
durchschnittlichen Auslastungen Montag bis
Freitag zwischen 16 und 17 Prozent und Montag
bis Sonntag bei etwas über 15 Prozent liegen
(wieder ohne Nachtverkehr). Gute Auslastungen
weisen viele Strecken/Linien auf,
bei denen der Omnibus auf wichtigen Straßenachsen
eine Rückgratfunktion hat, wie
dem Hindenburgdamm (Linie 185), dem Mariendorfer
Damm (X 76, 176), Buckower und
Marienfelder Chaussee (X 11, 172), Sonnenallee
(141, 241), Kochstraße/Oranienstraße
(129) oder in Nordberlin der Straßenzug
Ollenhauerstraße/Oranienburger Straße mit den Linien
X 21, 121 und 225. Gut ausgelastet sind
auch Strecken mit Rückgratfunktion und Nähe
zu Schnellbahn-Linien, die in der politischen
Diskussion oft mit dem Verdikt „Parallelverkehr"
versehen sind. Zu nennen sind hier die
Strecken Heerstraße/Kantstraße (X 34, X 49,
149), Unter den
Eichen/Schloßstraße/Hauptstraße/Potsdamer Straße (unter anderem 148,
185), Hermannstraße (144), aber auch der
Kurfürstendamm u.a. mit den Linien 110, 119
und 129. Darüber hinaus finden sich gute Auslastungen
dort, wo Buslinien auf städtische
Zentren wie die Altstadt Spandau oder den
Hermannplatz zulaufen.
Schwache Auslastungen zeigen die Omnibus-Linien
in vielen Randgebieten Berlins wie
Frohnau, Altglienicke/Bohnsdorf oder Mahlsdorf.
Besonders bemerkenswert sind die
schwachen Auslastungen der Buslinien in der
gesamten östlichen Innenstadt, einem Gebiet,
das teilweise über die Grenzen des ehemaligen
Bezirks Mitte hinaus reicht.
Insgesamt zeigt sich beim Omnibus also ein
sehr Fieterogenes Bild, das für verschiedene
Gebiete aucn sehr unterschiedliche Herangehensweisen
zur Erhöhung der Auslastungswerte
erwarten lässt. Generell liegen die Bus-Auslastungswerte
im Ostteil deutlich niedriger als im Westteil
der Stadt. Dies kann auf
die Präsenz der Straßenbahn im Ostteil zurückgeführt
werden, die hier neben den
Schnellbahnen in weiten Bereichen die Rückgratfunktion
besitzt, die im Westteil durch
wichtige gut ausgelastete Buslinien wahrgenommen
wird. Ein weiterer Teil der Differenz,
darauf weist auch die im Vergleich zum Bus
schlechtere Auslastung der Straßenbahn hin,
dürfte aber auch dem Einbruch der ÖPNV-Nachfrage
in der Mitte der 1990er Jahre geschuldet
sein. Bekanntlich war damals im Ostteil
der Pkw-Bestand sprunghaft angestiegen.
Tageszeiten und Wochentage weisen bei
allen drei Unternehmensbereiche sehr unterschiedliche
Auslastungen auf. In den Abendstunden,
gegen Mitternacht und im Nachtverkehr
sinken die Auslastungen deutlich. Allerdings
weist die U-Bahn seit Einführung des
erweiterten Wochenend-Nachtverkehrs eine
deutlich gestiegene Nachfrage auf. Samstage
und Sonntage liegen unter den Auslastungswerten
für den durchschnittlichen Wochentag.
Sie haben als Besonderheit einen sehr
schlecht ausgelasteten Frühverkehr in der Zeit
bis 9 bzw. 10 Uhr.
Insgesamt bestätigten sich in der Auslastungsanalyse
die früher lediglich pauschal ermittelten
Gesamtwerte für die drei Unternehmensbereiche
auch mit den linienfeinen
Daten. Selbst nach Berücksichtigung solcher
Faktoren wie Lastrichtung und Unbequemlichkeit
bei vier Personen pro m2 Stehplatz-Fläche
ist festzustellen, dass die Auslastung der Verkehrsmittel
der BVG in einem Bereich liegt,
der aus der Perspektive eines angeschlagenen
Unternehmens und seines Zuschussgebers
nicht akzeptabel ist. Andererseits liegt in
diesem Fakt aber auch eine Chance: Es existieren
tatsächlich Sparpotenziale in Größenordnungen
und sie sind genau identifizierbar.
Wenn diese Potenziale gehoben werden können,
kann die BVG aus ihnen gleichzeitig gezielte
Angebotsverbesserungen zur Kundengewinnung
speisen und „unterm Strich" dennoch
Betriebsleistung einsparen.
Dafür ist eine umfassende Neuplanung des
Netzes erforderlich über deren strategische
Ansätze und konkrete Ausformung im zweiten
Teil dieses Artikel sowie auf einer Veranstaltung
während der Schienenverkehrs-Wochen
2004 berichtet werden wird.
BVG, Heinz Krafft-Neuhäuser, BVG-Projektleiter
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