Auf der Grundlage der im vorstehenden Artikel
dargestellten Untersuchungen werden zum
19. April 2004 bei der BVG einige Veränderungen
im Buslinien-Verkehr vorgenommen, die
offensichtlich Versuchscharakter für den zum
Dezember 2004 vorgesehenen Umbau des
Gesamtverkehrsangebotes haben, der von
der BVG euphemistisch als „Angebotsoptimierung"
bezeichnet wird. Beispielgebend
dafür ist offenbar das in Hamburg vor zwei
Jahren eingeführte Konzept der „Metrobuslinien",
welche auf ausgewählten stark nachgefragten
Hauptachsen ein dichtes Fahrtenangebot
während des gesamten Tages anbieten
- bei gleichzeitigem Rückzug aus der Flächenerschließung
und zu Lasten von lokalen
Verkehrsbeziehungen.
Die von der BVG beabsichtigten Linienmaßnahmen
im Bereich Hindenburgdamm (185,
285,283) sowie in Neu-Tempelhof (140,184)
gehen in diese Richtung und sind als Versuch
zu verstehen, die Reaktion der betroffenen
Fahrgäste zu testen - ohne den Fahrgästen
die Entscheidung transparent und nachvollziehbar
darzulegen oder sie etwa sogar am
Meinungsbildungsprozess zu beteiligen. Die
Planungen erfolgten im „stillen Kämmerlein"
von Beraterbüros und BVG-Verwaltungsetagen,
die Öffentlichkeit wurde wieder mal vor
vollendete Tatsachen gestellt. Und es zeigte
sich wieder, dass man einzelne Bausteine im
Nachhinein korrigieren musste.
|
Obwohl der Bus 283 am Steglitzer Klinikum im 10-Minuten-Takt stets gut ausgelastet war, fährt die neue Linie 280 nur noch halb so oft. Foto: Klaus-Jürgen Ulbrich |
|
Vorgesehen ist die Verkürzung der Omnibus-Linie
110 bis nach Zehlendorf-Süd, Andreezeile.
Die Goerzallee wird dann durch die
bisher nur Einzelfahrten im Berufsverkehr anbietende
Linie 285 ganztägig bedient werden.
Sie wird zu einer tagsüber im 10-Minuten-Takt
verkehrenden Linie aufgewertet und eine
schnelle Anbindung zum S- und U-Bahnhof
Rathaus Steglitz herstellen. Sicherlich wird
die veränderte Anbindung der südlichen
Goerzallee für einzelne Fahrgäste Nachteile
bringen, aber insgesamt ist diese Maßnahme
- auch durch das erheblich verdichtete Taktangebot
- als sehr sinnvolle und positive Veränderung
zu werten. Im Hindenburgdamm soll
durch die Überlagerung mit der bisher dort
bereits verkehrenden Linie 185 ganztägig ein
5-Minuten-Takt angeboten werden; abends
und am Wochenende immerhin ein durchgehender
10-Minuten-Takt. Der Abschnitt der Linie
185 zwischen Rathaus Steglitz und Wittenbergplatz
wird aber weiterhin zum Teil nur im
20-Minuten-Takt bedient. Der guten Bedienung
des Hindenburgdamms mit dem (allerdings
400 Meter vom Klinikum entfernt liegenden)
Haupteingang des Klinikum Steglitz
sollte die ersatzlose Einstellung der Linie 283
im Abschnitt Steglitzer Kreisel -Augustaplatz
gegenüberstehen. Unter den Tisch fiel dabei,
dass neben dem Wegfall des tatsächlich äußerst
schwach ausgelasteten Astes zum Augustaplatz
auch die von der Linie 283 bediente
Haltestelle Klingsorplatz und damit die eigentlich
bedeutendere, weil wesentlich näher
am Klinikum liegende Haltestelle wegfallen
sollte. Dieser Nebeneingang zum Klinikum
liegt wesentlich zentraler und wird von vielen
Besuchern und Mitarbeitern genutzt. Die bisherige
Linie 283 bediente deshalb auch ganztägig
im 10-Minuten-Takt den Nebeneingang
und war nicht nur während der Hauptverkehrszeit
ab Klingsorplatz gut ausgelastet.
Fahrgastprotest bewirkt Umdenken
Der vorgesehene ersatzlose Wegfall der Bedienung
des Klinikum-„Nebeneingangs" führte
dann auch zu einer Welle von Protesten -
schließlich sind allein 5.000 Mitarbeiter und
Studenten am Klinikum Steglitz betroffen. Der
Personalrat des Klinikums sammelte binnen
weniger Tage tausende von Unterschriften.
Diese Proteste haben nun zu einer Überarbeitung
des ursprünglich vorgesehenen Konzeptes
geführt, so dass die Klingsorstraße und
der Nebeneingang des Klinikums nun doch
wieder bedient werden sollen - und zwar
durch die Linie 280. Diese Linie macht nun aus
Lichterfelde kommend von der Birkbuschstraße
den Schlenker über die Klingsorstraße
und den Hindenburgdamm zum Zielpunkt
S- und U-Bahnhof Rathaus Steglitz. Die positive
Reaktion der BVG auf die berechtigten
Proteste betroffener Fahrgäste durchaus anerkennend
kann einen diese Lösung jedoch nicht
recht zufrieden stellen. Die Linie 280 verkehrt
nur alle 20 Minuten, gegenüber der bislang
verkehrenden Linie 283 also schlichtweg eine
Halbierung des Fahrtenangebotes. Auch die
werbewirksam publizierte Taktverdichtung der
Linie 185/285 ist nicht die ganze Wahrheit,
denn auch vorher fuhr die Linie 185 in diesem
Abschnitt nachmittags bereits alle fünf Minuten.
In genau diesen Zeiträumen gibt es daher
real eine Fahrtenausdünnung der Linien 185/285/280
gegenüber dem bisherigen Zustand
mit den Linien 185/185E/283. Auch die vollständige
Abhängung des Augustaplatzes mit
der Meldestelle bleibt weiterhin Fakt.
Die IGEB hatte eine andere Variante zur
Bedienung des Klinikum-Nebeneingangs vorgeschlagen,
nämlich die neue Linie 285 vom
Hindenburgdamm kommend über die Klingsor- und
Birkbuschstraße zum Steglitzer Kreisel
verkehren zu lassen. Sowohl der Haupteingang
des Klinikums am Hindenburgdamm als
auch der Nebeneingang in der Klingsorstraße
wären durch diesen Schlenker der Linie 285
weiterhin im 10-Minuten-Takt bedient worden,
der Hauptteil der Wegführung wäre ebenfalls
gemeinsam mit der Linie 185 gebündelt
(und damit wäre das angestrebte Grundkonzept
der Linienbündelung auf einer Achse zumindest
weitgehend erreicht) und die um ca.
drei Minuten verlängerte Fahrzeit wäre für die
Fahrgäste des 285ers akzeptabel. Fahrzeugmehrumläufe
wären gegenüber der durchgeführten
Variante nicht erforderlich. Lediglich
die Haltestelle Manteuffelstraße am Hindenburgdamm
würde nur von der Linie 185 allein
im 10-Minuten-Takt, anstelle des jetzigen
5-Minuten-Taktes, bedient. Eine Einschränkung
die hinnehmbar scheint. Die weitaus
wichtigere Haltestelle am Händelplatz (Arbeitsamt)
ist in jedem Fall immer zusätzlich
durch die Linie 283 neu (277 alt) erreichbar,
behält gemeinsam mit der Linie 185 also einen
5-Minuten-Takt.
Statt Direktverbindung
nun zweimal Umsteigen
|
Viele Dirketverbindungen entfallen durch das Zurückziehen der Linie 140 aus Neu Tempelhof. Foto: Matthias Horth |
|
Im Zusammenhang mit dieser Maßnahme
steht die Rücknahme der Linie 110 zur Zehlendorfer
Andreezeile (Ersatz 285) und der Linie
283 neu (statt bisher 277) zur Appenzeller
Straße. Durch beide Änderungen entsteht eine
gravierende Verschlechterung des ÖV-Angebotes
für Fahrgäste aus dem Bereich
Goerzal-Iee/Carstenn-/Appenzeller Straße in Richtung
Lichterfelde-Süd/Thermometersiedlung und
S-Bahnhof Osdorfer Straße, die nunmehr statt
bisher ohne Umsteigezwang ihr Fahrtziel nur
noch mit zum Teil zweimaligem Umsteigen erreichen.
Diese reine Sparmaßnahme, die auch
durch keine Taktverdichtung abgemildert
wird, ist eine für die Fahrgäste nicht akzeptable
Einschränkung. Mindestens die 283 neu
sollte daher über den vorgesehenen Endpunkt
Appenzeller Straße hinaus bis zum S-Bahnhof
Osdorfer Straße fahren.
Weiterer Nebeneffekt des neuen Konzeptes
ist die Reduzierung der Linie 180 auf eine reine
Schülerverkehrslinie. Die jetzt in den
Hauptverkehrszeiten auf einen 5-Minuten-Takt
und auch in der Spätverkehrszeit auf einen
10-Minuten-Takt verdichtete Linie 186
stellt zwar die neue Hauptachse mit recht guter
Bedienung im Bereich Ostpreußendamm
her. Fahrgäste aus dem Ostpreußendamm in
Richtung Albrechtstraße/Steglitzer Damm
müssen nun aber sogar in der nachmittäglichen
Hauptverkehrszeit eine erhebliche Umwegfahrt
über Rathaus Steglitz mit zusätzlichem
Umsteigezwang hinnehmen. Da die
IGEB dies als unattraktiv erachtet und die
Einrichtung von reinen Schülerverkehrslinien
auch im Hinblick auf das Ziel eines neu strukturierten,
für die Fahrgäste klar nachvollziehbaren
Angebotes wenig sinnvoll ist, hatte der
Fahrgastverband angeregt, das Angebot der
Linie 180 mindestens im bisherigen Umfang
beizubehalten. Die entsprechenden Verkehrsleistungen
könnten im Interesse der Kostenneutralität
durch eine etwas geringere Verdichtung
des Taktes während der Hauptverkehrszeit
der Linie 186 (zum Beispiel 6/6/7
Minuten) erbracht werden. Leider wurde auch
dieser Vorschlag von der BVG und von der Senatsverkehrsverwaltung
ignoriert.
Lokale Busverbindung zwischen
Tempelhof-Nord und Kreuzberg
gekappt
Auch die Einstellung der Linie 140 auf ihrem
Tempelhofer Abschnitt und die damit verbundene
Verlegung der Endstelle zum Platz der
Luftbrücke gibt Anlass, das Konzept der Konzentration
von Linien auf lediglich eine Hauptstrecke
kritisch zu hinterfragen. Es geht eine
wichtige lokale Verkehrsverbindung zwischen
westlichem Kreuzberg und Neu-Tempelhof
verloren. Viele Fahrgäste müssen längere
Fußwege wegen aufgelassener Haltestellen
und auf kurzen Wegestrecken zwischen den
benachbarten Ortsteilen zum Teil mehrfache
Umsteigezwänge innerhalb des Buslinien-Netzes
hinnehmen. Der Verweis auf die nunmehr
auch in der Normalverkehrszeit im
10-Minuten-Takt verkehrende Linie 184 ist nur
bedingt geeignet, da sie keine akzeptable Verbindung
nach Kreuzberg herstellt und zumindest
in der Hauptverkehrszeit durch Verspätungsanfälligkeit
für Fahrgäste unberechenbar
ist. So müssen zum Beispiel Fahrgäste aus
Kreuzberg mit dem Fahrtziel St. Joseph-Krankenhaus
jetzt zum Teil mehrfach umsteigen
(zum Beispiel U 7/U 6/184).
|
Auch im 10-Minuten-Takt kann die Linie 184 nicht den Wegfall der Linie 140 in Neu-Tempelhof ersetzen. Foto: Matthias Horth |
|
Wie beim Klinikum sammelte eine lokale
Bürgerinitiative („Neue Wege für Neu-Tempelhof")
viele Unterschriften - doch die BVG
ließ sich hiervon ihrer Entscheidung nicht abbringen.
Besonders ärgerlich ist dies vor dem
Hintergrund, dass diese Maßnahme nicht in
ein Gesamtkonzept eingebettet ist und schon
in absehbarer Zeit neue Linienänderungen erforderlich
werden: Denn im Zusammenhang
mit der bevorstehenden Schließung des Flughafens
Tempelhof und der Inbetriebnahme des
künftigen Fernbahnhofs Südkreuz mit der
neuen Straßendurchbindung vom Werner-Voß-Damm
zum Sachsendamm muss das Busnetz
im Bereich westliches Kreuzberg und Tempelhof-Nord
(119,140,184,341) im Gesamtzusammenhang
betrachtet und neu strukturiert
werden. Spätestens nach Schließung des Flughafens
wird der Platz der Luftbrücke als Zielpunkt
für Fahrgäste und daher als Endpunkt
für Buslinien nur noch eine völlig untergeordnete
Rolle einnehmen. Bedeutsam ist zukünftig
vielmehr eine umsteigefreie Erreichbarkeit
des Bahnhofs Südkreuz aus möglichst vielen
Bereichen der Stadtteile Neu-Tempelhof und
westliches Kreuzberg. Bis zum Vorliegen eines
Gesamtkonzeptes für diesen Bereich stellt
sich die Verkürzung der Linie 140 als nicht integrierte
wenig durchdachte Einzelmaßnahme
und die neue Endstelle am Platz der Luftbrücke
als verkehrlich sinnlose Endstelle dar.
Fazit
Der Grundgedanke der BVG-Strategie, zu
Lasten einer optimalen Flächenerschließung
ehereine Linienbündelung auf Hauptachsen
vorzusehen, ist angesichts der finanziellen
Lage zwar nachvollziehbar und findet im
Grundsatz auch unsere Zustimmung. Gerade
aber die beschriebenen Probleme am Klinikum
Steglitz und in Neu-Tempelhof zeigen deutlich,
dass man mit Augenmaß an die Umsetzung
neuer Konzepte rangehen muss. Es ist
eben nicht möglich, nur einen neuen Markennamen
einzuführen (vielleicht Metrobus?),
Nebenlinien ersatzlos und ohne vertretbare
Alternativen zu streichen oder nur noch im
Schülerverkehr zu bedienen und dichtere Taktfolgen
auf den verbleibenden Hauptstrecken
anzubieten. Die von der Politik gerne in
Schlagworten geforderten einfachen und kostensparenden
Lösungen (zum Beispiel Abbau
von „Parallelverkehr" oder „Bus ausschließlich
als Zubringer zu den Schnellbahn-Linien")
sind für die polyzentrische Stadtstruktur und
dem daraus resultierenden komplexen System
der Verkehrsbeziehungen nicht realisierbar,
ohne bestimmte Fahrgastgruppen (ältere und
vor allem behinderte Menschen, Fahrgäste
mit Kindern, soziale Randgruppen) nachhaltig
in ihrer täglichen Mobilität einzuschränken.
Und damit ist klar, dass der erste Versuch der
BVG-Angebotsoptimierung - trotz einiger positiver
Aspekte - insgesamt wohl kaum als
solche im Sinne einer Verbesserung des Verkehrsangebotes
für die Fahrgäste zu bewerten
ist. Die Diskussion um die für Dezember
2004 für das Gesamtnetz vorgesehene „Angebotsoptimierung"
verspricht spannend zu
werden. IGEB Stadtverkehr
|