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Der 1. April 2004 brachte für viele Berlinerinnen
und Berliner einen „Aprilscherz" der unangenehmen
Art: Die BVG und die S-Bahn
GmbH schafften das Sozialticket (Berlin-Ticket S)
und das Arbeitslosenhilfeticket (Berlin-Ticket A)
ab, ebenso die Seniorenkarte. Der
berechtigte Personenkreis ist nunmehr auf die
Bezuschussung von Fahrten im ÖPNV durch
die Sozialämter angewiesen. Hintergrund ist
die Streichung der entsprechenden Zuschüsse
des Landes Berlin an die Verkehrsunternehmen.
Diese sind nach ihren eigenen Angaben
finanziell nicht in der Lage, die Sozialtarife
ohne Landeszuschüsse anzubieten.
Politik und Öffentlichkeit reagierten auf
diese Maßnahme teilweise mit Empörung. Es
wurde behauptet, die Verkehrsunternehmen
handelten kundenfeindlich und betriebswirtschaftlich
unklug, da sie doch mit Ermäßigungstarifen
Kunden gewinnen und damit zusätzliche
Einnahmen erwirtschaften könnten.
Mehr Einnahmen hätten einen geringeren Zuschussbedarf
aus Landesmitteln zur Folge. Der
Ärger über den Fortfall der Sozialtarife ist aus
meiner Sicht vollauf begründet, die vorgetragenen
Argumente gehen jedoch in die falsche
Richtung.
Die öffentlichen Verkehrsunternehmen stehen
unter einem erheblichen Rationalisierungs-
und Kostendruck. Sozialtarife sind für
sie uninteressant, denn die über Sozialtarife
möglicherweise erzielbaren Fahrgastzuwächse
gleichen die Mindereinnahmen nicht aus.
Gleichwohl fordern Politiker von den Nahverkehrsunternehmen,
Sozialtarife ohne ausgleichende
Zuschüsse aus dem Landeshaushalt.
Mit anderen Worten, es wird von den Unternehmen
verlangt, sich wirtschaftlich unvernünftig
zu verhalten.
Ein Problem des Berliner ÖPNV sind dessen
hohe Kosten. Das eigentliche Problem jedoch
liegt darin, dass niemand sagen kann, um wieviel
die Kosten zu hoch sind. Da im Berliner
ÖPNV zum Beispiel im Busverkehr kein Wettbewerb
zwischen verschiedenen Anbietern
stattfindet, ist die Stadt auf das alleinige Angebot
der BVG angewiesen. Unter diesen Bedingungen
sind strukturelle Kostensenkungen
kaum möglich. Da Monopolbetriebe wie die
BVG fast immer zu kostenaufwändig arbeiten,
zahlen die Nahverkehrskunden und Berlin
für den ÖPNV im Zweifel zu viel. Angesichts
der leeren Kassen Berlins ist es also kein
Wunder, dass die Nahverkehrsleistungen abnehmen,
die Beförderungsentgelte steigen
und die Sozialtarife entfallen.
Die Berliner Verkehrspolitik muss allein
schon aus Haushaltsgründen die Kosten des
ÖPNV endlich in den Griff bekommen. Nur so
können finanzielle Spielräume auch für Sozialtarife
geschaffen werden. Dazu bedarf es
einer durchgreifenden Reform des Berliner
ÖPNV.
Meine Kernforderungen dazu lauten:
-
Aufhebung des Beförderungsmonopols von
BVG und S-Bahn-GmbH. Die landeseigene
BVG ist in wettbewerbsfähige Verkehrsunternehmen
für den U-Bahn, Straßenbahnund
Busbetrieb aufzugliedern und mittelfristig
zu privatisieren. Die Verkehrsanlagen
bleiben im Eigentum Berlins und werden
den Verkehrsunternehmen für die Laufzeit
der Verkehrsverträge zur Verfügung
gestellt.
Die Stockholmer U-Bahn zum Beispiel wird
von einem Privatunternehmen betrieben.
Warum sollte dies nicht auch bei der Berliner
U-Bahn möglich sein, und später auch
bei der S-Bahn? Und wo steht eigentlich
geschrieben, dass Berlin den Busunternehmer
spielen muss? Der ÖPNV ist eine öffentliche
Aufgabe, nicht jedoch der Betrieb
selbst. Dieser ist unternehmerischer Natur
und kann von Privaten kostengünstiger
durchgeführt werden.
- Vergabe der Nahverkehrsleistungen durch
Berlin bzw. den Verkehrsverbund (VBB)
unter Wettbewerbsbedingungen und nach
dem Grundsatz „Wer bestellt, bezahlt".
Sämtliche Leistungen sind auf der Grundlage
des in Zukunft vom Abgeordnetenhaus
zu beschließenden Nahverkehrsplans öffentlich
auszuschreiben.
- Berlin muss im Interesse der Nahverkehrskunden
und Steuerzahler in die Lage versetzt
werden, die von der Politik gewünschten
Nahverkehrsleistungen zu den günstigsten
Konditionen einzukaufen. Jeder wirtschaftlich
vernünftig Handelnde überlegt,
welche Leistungen er wirklich benötigt und
kauft diese nach einem Preis-/Leistungsvergleich
auf dem Markt ein. Aus welchen
Gründen sollte sich Berlin nicht ebenso verhalten
dürfen? Ich meine, es gibt keine.
- Konsequente Trennung der Tarifpolitik von
den Verkehrsunternehmen, d.h. Verlagerung
der ÖPNV-Tarife in die alleinige Zuständigkeit
von Berlin bzw. des VBB.
Die ÖPNV-Tarife haben aus meiner Sicht mit
der Bezahlung der Verkehrsunternehmen für
die von ihnen erbrachten Verkehrsleistungen
nichts zu tun. Die Tarife sind Benutzungsgebühren
und Teil der vom Aufgabenträger des
ÖPNV festgelegten Beförderungsbestimmungen.
Sie beinhalten nicht Einnahmen der Verkehrsunternehmen,
sondern des Aufgabenträgers
des ÖPNV, der aus diesen Einnahmen die
bestellten Verkehrsleistungen bezahlt. Die
fehlenden Mittel müssen aus dem öffentlichen
Haushalt bereitgestellt werden. Daher
sollte ein Bonussystem die Verkehrsunternehmen
zu erfolgreicher Kundenwerbung anspornen.
Die Steuerung der Kosten des ÖPNV über
die Bestellungen und die Tarife dient der
Kostentransparenz. Sie eröffnet der Politik finanzielle
Gestaltungsspielräume beim „Einkauf"
der Verkehrsleistungen und beim
ÖPNV-Tarif, also auch bei den Sozialtarifen.
Eine ÖPNV-Reform nach diesem Muster ist
angesichts der Haushaltslage und der Entwicklung
auf nationaler und EU-Ebene alternativlos,
wird jedoch wegen der rechtlichen
und personellen Hürden Jahre dauern. Sie
sollte im Interesse aller Beteiligten nicht länger
hinausgeschoben werden, denn die Streichung
der Sozialtarife ist die Folge einer Politik,
die Probleme nicht löst, sondern verschleppt.
Ich komme auf meine Eingangsfrage zurück,
die sich an dieser Stelle schon fast von
selbst beantwortet: Berlins ÖPNV kann nur so
sozial sein, wie er für unsere hochverschuldete
Stadt bezahlbar ist. Bezahlbar ist ein ÖPNV
auf Dauer nur, wenn er unter wirtschaftlich
vernünftigen Rahmenbedingungen betrieben
wird. Wirtschaftlich vernünftige Rahmenbedingungen
aber beinhalten stets marktwirtschaftlichen
Wettbewerb. Sind diese Voraussetzungen
erfüllt, kann und - ich betone -
muss die Politik für ÖPNV-Tarife sorgen, die
auch für die sozial Schwachen tragbar sind. Klaus-Peter von Lüdeke
Verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin
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