Schienenverkehrswochen 2004

Entwicklungen im BVG-Schienenverkehr

Unter diesem Motto stand der erste Fahrgast-Tag der Schienenverkehrs-Wochen 2004 bei der IGEB im Bahnhof Jannowitzbrücke. Der Schwerpunkt lag auf der Entwicklung der Infrastruktur und des Fahrzeugparks, wo der Schienenverkehr bekanntlich höhere Investitionen als der Bus benötigt.

In einem faktisch insolventen Land Berlin und bei einer BVG mit einem Schuldenberg in dreistelliger Millionenhöhe ist es keine leichte Aufgabe für die Herren Kutscher von der U-Bahn und Sember von der Straßenbahn, im Auftrag ihres Betriebsdirektors Dr. Predl zu versuchen, das Beste aus den knappen Mitteln zu machen. Mit ihnen standen kompetente Mitarbeiter zur Verfügung, die mit viel Geduld und umfangreichem Detailwissen die Fragen der anwesenden ÖPNV-Nutzer beantworteten.

Die Berliner U-Bahn besitzt das teurere der beiden BVG-Schienennetze und das hohe Alter der meisten Bauwerke wird uns auch in den nächsten Jahren umfangreiche Streckensperrungen für die Grundsanierung bescheren. In diesem Jahr sollen den Arbeiten an der Kreuzberger Hochbahn punktuelle Baustellen auf der U 1 an wenigen Wochenenden sowie der zweite Teil der U 5-Sanierung folgen. Dazu wird es vom 26. Juni bis 1. Oktober 2004 eine Totalsperrung zwischen Frankfurter Allee und Tierpark geben. Besonders der Bahnhof Lichtenberg soll sich anschließend viel geräumiger, heller und auch behindertenfreundlich zeigen. Der Bahnsteig wird unter Ausnutzung von Platzreserven in den angrenzenden Tunnelstücken cirka 30 Meter nach Osten verschoben und die Decke zum heute sehr unansehnlichen Zwischengeschoss zum Teil durchbrochen, so dass hier eine Art Galerie entstehen wird. Zwar ist an diesem wichtigen Punkt der Einbau eines Aufzuges geplant, allerdings nur ins Zwischengeschoss. Ein zweiter Fahrstuhl wird vom Zwischengeschoss zu einem Fernbahnsteig und weiter zum Gehsteig auf die Lichtenberger Brücke gebaut werden. Ein für Rollstuhlfahrer akzeptabler, direkter Umsteigeweg zwischen U- und S-Bahnsteig wird somit nicht möglich, denn nur über den Fernbahnsteig und die Rampen am Mitteltunnel ist dann der S-Bahnsteig erreichbar.

Größere Veränderungen wird die Bahnsteigverschiebung am westlichen Ende nach sich ziehen: der Ausgang Richtung Hubertusstraße wird dann geschlossen, dafür wird die Unterführung unter der Lichtenberger Brücke zum westlichen Hauptausgang mit neuer Gestaltung versehen - und eventuell der Umsteigeweg zu den Straßenbahn- und Buslinien durch eine neue Treppenanlage zur Siegfriedstraße verkürzt. Einzelne Wochenendbaustellen mit Schienenersatzverkehr (SEV) am Bahnhof Frankfurter Allee sind unvermeidbar, weil diese Station bei allen Bauphasen als Endbahnhof dienen muss und deshalb nicht komplett in einer längeren Sperrung saniert werden kann. Auch hier ist der Einbau eines Aufzuges geplant. Wegen der Treppenlage im U-Bahnhof unter den Autofahrbahnen ist es leider nicht möglich, den Lift durchgehend bis auf den Bürgersteig zu bauen; stattdessen wird vom Bahnsteig das Zwischengeschoss erreicht, von wo man während der Ladenöffnungszeiten einen Durchgang durch das Ringcenter zur Oberfläche hat. Der zweite Aufzug direkt unter die S-Bahn-Brücke wird so gebaut, dass er im Falle einer umsteigefreundlichen Verschiebung des S-Bahnhofs nach oben auf den Bahnsteig verlängert werden kann. Damit ist aber mittelfristig nicht zu rechnen.

Teure Aufzüge

U5 auf Strecke
U-Bahn-Linie 5 im Berliner Stadtbezirk Hönow. Foto: Alexander Frenzel

Das Thema Aufzüge ist in ein eigenes; der Einbau kostet genau so viel wie die Komplettsanierung einer Station. Verständlich, dass deshalb konsequent die Prioritätenliste abgearbeitet wird und nicht alle Bahnhöfe einer Sanierungsstrecke ohne Ansehen ihrer Bedeutung ausgerüstet werden, wenn andere, wichtigere Umsteigepunkte noch ohne Aufzug sind. So wird auch der sanierte Abschnitt der U 5 auf Jahre einige reine Treppenbahnhöfe behalten. Die behindertenfreundliche Ausrüstung des Bahnhofs Alexanderplatz wird dagegen noch dieses Jahr in Betrieb gehen.

Schon in diesem Jahr wird an einigen Bahnhöfen der U8 gearbeitet, im nächsten Jahr wird diese Linie ein Schwerpunkt der Arbeiten sein, neben der Oberbau- (speziell Schwellen-) sanierung der U 1 nach Krumme Lanke. Im Hinblick auf die Fensterdurchbrüche am U-Bahnhof Spittelmarkt, aber auch auf die U 8-Sanierung bezeichnete Herr Kutscher die Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz als entspannt - die Behörde sei großzügiger mit ihren Auflagen geworden.

Die Ausführungen zeigen: Schon die Unterhaltung und Sanierung des bestehenden U-Bahn-Netzes ist eine Mammutaufgabe, neue Strecken mit ihren Folgekosten rechnen sich darum in Berlin kaum, denn die Verkehrsströme stehen in keinem Verhältnis zum Bauund Betriebsaufwand. Herr Kutscher verwies auf die Metros von Paris, London und anderen Millionenstädten, die trotz teilweisem 2 Minuten-Takt Kapazitätsprobleme haben. Dagegen sind die Verhältnisse in Berlin weit weniger dramatisch. Damit wird die IGEB-Position bestätigt, dass das bestehende Schnellbahnnetz aus wirtschaftlichen und verkehrlichen Gründen mit der Straßenbahn zu ergänzen ist.

Sportliche U 55

Aber eine Neubaustrecke konnte er dennoch ankündigen: die U 55 soll ab 2006 den neuen Hauptbahnhof, Lehrter Bahnhof mit dem Reichstag und dem Brandenburger Tor verbinden. Den Inbetriebnahmetermin nannte er „sportlich", denn einen komplett neuen Bahnhof unter dem Pariser Platz in nur zwei Jahren zu planen und zu bauen, ist eine technische und logistische Meisterleistung. Die eine zunächst benötigte Tunnelröhre wird von Beginn an für das Großprofil ausgebaut, so dass nach der spätestens bis 2020 erfolgten Durchbindung zur U5 am Alexanderplatz keine weiteren Umbaukosten entstehen. Abgestimmt auf den vorgesehenen Einsatz eines 4 Wagen-Zuges (ein zweiter soll auf einem separaten Gleis unter dem Lehrter Bahnhof in Reserve stehen) wird die Station „Brandenburger Tor" zunächst als Zwei-Drittel-Bahnhof mit Übergang zur S-Bahn gebaut, der Rest mit dem zweiten Ausgang folgt mit der Durchbindung; für Notfälle wird es aber von Anfang an eine zweite Fluchtmöglichkeit geben.

Bei der Fahrzeugverjüngung geht es nach der Auslieferung der H-Züge etwas ruhiger zu, im Moment gibt es im Kleinprofil eine gespannte Situation, weil viele verschiedene Serien nicht untereinander kuppelbar sind und dadurch ein erhöhter Reservebestand vorzuhalten ist. Hier soll eine erste Serie von 20 HK-Zügen (Halbzüge) die größte Not lindern, zudem sollen im planmäßig laufenden Ertüchtigungsprogramm Wagen verschiedener Serien miteinander kompatibel gemacht werden, so dass sich nach Lieferung der HK-Wagen die Ausmusterung der ältesten A 3-Einheiten abzeichnet.

Straßenbahn bleibt im Osten

Die Straßenbahn hat es seit 1990 in Berlin nicht leicht - obwohl billiger als die U-Bahn, rechnen sich nach Aussage von Herrn Sember durch die ausbleibende wirtschaftliche Erholung der Stadt auch viele Straßenbahn-Neubauprojekte nicht. (Der unvoreingenommene Betrachter stimmt sicher zu, dass die wenigen Strecken in die westlichen Zentren, die sich rechnen würden, nicht an fehlendem Geld, sondern an straßenbahnfeindlicher Politik gescheitert sind). Mittelfristig wird die Berliner Straßenbahn somit bis auf zwei Ausnahmen ein Dasein als Regionalangebot im Osten der Stadt fristen.

Die Netzsanierung ist bei der Straßenbahn wesentlich weiter fortgeschritten als bei der U-Bahn, aber es bleibt auch für die zweite Hälfte 2004 noch genug zu tun. Neben Arbeiten im Köpenicker und Pankower Netz (Umbau Pastor-Niemöller-Platz) soll auch die Neubau-Strecke über den Alex grundsaniert werden; wie weitreichend sich die politisch motivierte mangelhafte Bauausführung auswirkt, ist erschreckend. Schließlich ist die Erneuerung der Straßenbahn in der Warschauer Straße erwähnenswert. Der schon vorbereitete Treppenausgang von der U-Bahn am Frankfurter Tor nach Süden auf die Mittelpromenade der Warschauer Straße soll errichtet werden und in diesem Zusammenhang auch eine linksseitige Haltestellenanlage für die Zweirichtungswagen der Linie 20 direkt auf der Promenade, für Berlin eine absolute Neuheit.

Dabei stellt sich aber die Frage nach den Wagen der dort auch verkehrenden Linie 21, die links keine Türen haben und nach der Fahrzeugparkentwicklung der Straßenbahn allgemein. Dazu führte Herr Sember aus, dass der derzeitige Wagenbestand durch die massiven Einschnitte in das Leistungsangebot schon zu groß ist und deshalb kurzfristig nicht mit Neubestellungen zu rechnen ist. Die BVG ist aber weiterhin bestrebt, die vorgesehene Nutzungsdauer der Tatrawagen nach ihrer Modernisierung nicht zu überschreiten. Auch weil damals ein partieller, teilniederfluriger Umbau der Flotte nicht erfolgte und langfristig alle Leistungen behindertengerecht erbracht werden sollen. So ist für die Zeit 2010 bis 2014 mit dem Ersatz der Tatras durch neue Fahrzeuge zu rechnen. Obwohl das Wort Combino nicht fiel, wurde betont, bei einem Neukauf ein bewährtes Modell zu bevorzugen, selbst wenn der NF-Anteil nur 70 Prozent betragen sollte. Siehe dazu auch den Artikel „Nachfolger der Tatrawagen" in diesem Heft.

Wenig Neubaustrecken

Straßenbahnprellbock
Straßenbahn-Verlängerungen in die Westbezirke sind für den Senat immer noch ein Tabuthema. Foto: Alexander Frenzel

Bezüglich der Neubaustrecken gibt es von einem ehrgeizigen Terminplan für die 2. Neubaustrecke in den ehemaligen Westteil zu berichten: Bis zur Inbetriebnahme des Hauptbahnhofs/Lehrter Bahnhof 2006 soll die Linie 20 über Bernauer Straße zum Nordbahnhof und dann weiter über Invalidenstraße bis dorthin verlängert werden. Erst nach diesen Netzerweiterungen soll die zweite Tramstrecke zum Alexanderplatz über Prenzlauer Tor - Karl-Liebknecht-Straße in Betrieb gehen. Hier hat die BVG noch Bedenken durch die vorgesehenen Änderungen im Endstellenbereich Alexanderplatz: Es soll eine zweigleisige Stumpfendstelle für Zweirichtungszüge entstehen, die wegen des Prellbocks keine Gleisverbindung zur Bestandsstrecke bekommen wird. Mit einer Fertigstellung rechnet die BVG nicht vor 2007. Damit sind leider auch schon alle Neubauten im mittelfristigen Horizont genannt, die weiteren Planungen in die Wissenschaftsstadt Adlershof, zum Zwickauer Damm, zum Hermannplatz, zum Ostbahnhof, zum Potsdamer Platz und Zoologischen Garten, nach Moabit und ins Märkische Viertel sind auf unbestimmte Zeit verschoben (auf deutsch: abgesagt).

Fazit: Die Verkehrspolitik dieser Stadt, die von der BVG leider viel zu brav mit exekutiert wird, hat wieder einmal ihr übliches Opfer gefunden: einen kostengünstigen, schienengebundenen öffentlichen Nahverkehr. Dafür freuen sich die Politiker über die bevorstehenden Eröffnungsfeiern der Prestige-Objekte Hauptbahnhof/Lehrter Bahnhof und U 55 mit anschließender Buddelei bis zum Alex. Alle Befürchtungen über Haushaltskonsolidierungen auf Kosten der vielen kleinräumigen Vernetzungen haben sich bestätigt. Die Unternehmensbereiche der BVG tun vielfach ihr Bestes, um die negativen Auswirkungen von Senatsentscheidungen zu mildern und den Kunden auch weiterhin einen verlässlichen ÖPNV zu bieten. Lachender Sieger bleibt allerdings trotzdem wieder einmal der Kraftverkehr. Mit der Inbetriebnahme der Teltowkanalautobahn bis Adlershof im kommenden Jahr und des Innenstadtrings Nord sowie des B 96-Tunnels 2006 werden aus der Hauptstadt deutliche Zeichen gesetzt. Auch wenn Berlin die Autobahnen nicht unmittelbar bezahlt: Der verstärkte Zubringerverkehr und der Ausbau der Anschlussstellen ins Bestandsnetz werden Mittel im Straßenbau binden, von denen die Fahrgäste nur träumen können!

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 3/2004 (Juni/Juli 2004), Seite 11-12

 

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