|
In einem faktisch insolventen Land Berlin und
bei einer BVG mit einem Schuldenberg in
dreistelliger Millionenhöhe ist es keine leichte
Aufgabe für die Herren Kutscher von der
U-Bahn und Sember von der Straßenbahn, im
Auftrag ihres Betriebsdirektors Dr. Predl zu
versuchen, das Beste aus den knappen Mitteln
zu machen. Mit ihnen standen kompetente
Mitarbeiter zur Verfügung, die mit viel Geduld
und umfangreichem Detailwissen die Fragen
der anwesenden ÖPNV-Nutzer beantworteten.
Die Berliner U-Bahn besitzt das teurere der
beiden BVG-Schienennetze und das hohe Alter
der meisten Bauwerke wird uns auch in den
nächsten Jahren umfangreiche Streckensperrungen
für die Grundsanierung bescheren. In
diesem Jahr sollen den Arbeiten an der Kreuzberger
Hochbahn punktuelle Baustellen auf
der U 1 an wenigen Wochenenden sowie der
zweite Teil der U 5-Sanierung folgen. Dazu
wird es vom 26. Juni bis 1. Oktober 2004 eine
Totalsperrung zwischen Frankfurter Allee und
Tierpark geben. Besonders der Bahnhof Lichtenberg
soll sich anschließend viel geräumiger,
heller und auch behindertenfreundlich zeigen.
Der Bahnsteig wird unter Ausnutzung von
Platzreserven in den angrenzenden Tunnelstücken
cirka 30 Meter nach Osten verschoben
und die Decke zum heute sehr unansehnlichen
Zwischengeschoss zum Teil durchbrochen,
so dass hier eine Art Galerie entstehen
wird. Zwar ist an diesem wichtigen Punkt der
Einbau eines Aufzuges geplant, allerdings nur
ins Zwischengeschoss. Ein zweiter Fahrstuhl
wird vom Zwischengeschoss zu einem Fernbahnsteig
und weiter zum Gehsteig auf die
Lichtenberger Brücke gebaut werden. Ein für
Rollstuhlfahrer akzeptabler, direkter Umsteigeweg
zwischen U- und S-Bahnsteig wird somit
nicht möglich, denn nur über den Fernbahnsteig
und die Rampen am Mitteltunnel ist
dann der S-Bahnsteig erreichbar.
Größere Veränderungen wird die Bahnsteigverschiebung
am westlichen Ende nach
sich ziehen: der Ausgang Richtung Hubertusstraße
wird dann geschlossen, dafür wird die
Unterführung unter der Lichtenberger Brücke
zum westlichen Hauptausgang mit neuer Gestaltung
versehen - und eventuell der Umsteigeweg
zu den Straßenbahn- und Buslinien
durch eine neue Treppenanlage zur Siegfriedstraße
verkürzt. Einzelne Wochenendbaustellen
mit Schienenersatzverkehr (SEV) am
Bahnhof Frankfurter Allee sind unvermeidbar,
weil diese Station bei allen Bauphasen als
Endbahnhof dienen muss und deshalb nicht
komplett in einer längeren Sperrung saniert
werden kann. Auch hier ist der Einbau eines
Aufzuges geplant. Wegen der Treppenlage im
U-Bahnhof unter den Autofahrbahnen ist es
leider nicht möglich, den Lift durchgehend bis
auf den Bürgersteig zu bauen; stattdessen
wird vom Bahnsteig das Zwischengeschoss erreicht,
von wo man während der Ladenöffnungszeiten
einen Durchgang durch das Ringcenter
zur Oberfläche hat. Der zweite Aufzug
direkt unter die S-Bahn-Brücke wird so gebaut,
dass er im Falle einer umsteigefreundlichen
Verschiebung des S-Bahnhofs nach oben
auf den Bahnsteig verlängert werden kann.
Damit ist aber mittelfristig nicht zu rechnen.
Teure Aufzüge
|
U-Bahn-Linie 5 im Berliner Stadtbezirk Hönow. Foto: Alexander Frenzel |
|
Das Thema Aufzüge ist in ein eigenes; der Einbau
kostet genau so viel wie die Komplettsanierung
einer Station. Verständlich, dass deshalb
konsequent die Prioritätenliste abgearbeitet
wird und nicht alle Bahnhöfe einer Sanierungsstrecke
ohne Ansehen ihrer Bedeutung
ausgerüstet werden, wenn andere, wichtigere
Umsteigepunkte noch ohne Aufzug
sind. So wird auch der sanierte Abschnitt der
U 5 auf Jahre einige reine Treppenbahnhöfe
behalten. Die behindertenfreundliche Ausrüstung
des Bahnhofs Alexanderplatz wird dagegen
noch dieses Jahr in Betrieb gehen.
Schon in diesem Jahr wird an einigen Bahnhöfen
der U8 gearbeitet, im nächsten Jahr
wird diese Linie ein Schwerpunkt der Arbeiten
sein, neben der Oberbau- (speziell Schwellen-)
sanierung der U 1 nach Krumme Lanke.
Im Hinblick auf die Fensterdurchbrüche am
U-Bahnhof Spittelmarkt, aber auch auf die
U 8-Sanierung bezeichnete Herr Kutscher die
Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz als
entspannt - die Behörde sei großzügiger mit
ihren Auflagen geworden.
Die Ausführungen zeigen: Schon die Unterhaltung
und Sanierung des bestehenden
U-Bahn-Netzes ist eine Mammutaufgabe,
neue Strecken mit ihren Folgekosten rechnen
sich darum in Berlin kaum, denn die Verkehrsströme
stehen in keinem Verhältnis zum Bauund
Betriebsaufwand. Herr Kutscher verwies
auf die Metros von Paris, London und anderen
Millionenstädten, die trotz teilweisem 2 Minuten-Takt
Kapazitätsprobleme haben. Dagegen
sind die Verhältnisse in Berlin weit weniger
dramatisch. Damit wird die IGEB-Position bestätigt,
dass das bestehende Schnellbahnnetz
aus wirtschaftlichen und verkehrlichen Gründen
mit der Straßenbahn zu ergänzen ist.
Sportliche U 55
Aber eine Neubaustrecke konnte er dennoch
ankündigen: die U 55 soll ab 2006 den neuen
Hauptbahnhof, Lehrter Bahnhof mit dem
Reichstag und dem Brandenburger Tor verbinden.
Den Inbetriebnahmetermin nannte er
„sportlich", denn einen komplett neuen Bahnhof
unter dem Pariser Platz in nur zwei Jahren
zu planen und zu bauen, ist eine technische
und logistische Meisterleistung. Die eine zunächst
benötigte Tunnelröhre wird von Beginn
an für das Großprofil ausgebaut, so dass nach
der spätestens bis 2020 erfolgten Durchbindung
zur U5 am Alexanderplatz keine weiteren
Umbaukosten entstehen. Abgestimmt auf
den vorgesehenen Einsatz eines 4 Wagen-Zuges
(ein zweiter soll auf einem separaten
Gleis unter dem Lehrter Bahnhof in Reserve
stehen) wird die Station „Brandenburger Tor"
zunächst als Zwei-Drittel-Bahnhof mit Übergang
zur S-Bahn gebaut, der Rest mit dem
zweiten Ausgang folgt mit der Durchbindung;
für Notfälle wird es aber von Anfang an eine
zweite Fluchtmöglichkeit geben.
Bei der Fahrzeugverjüngung geht es nach
der Auslieferung der H-Züge etwas ruhiger zu,
im Moment gibt es im Kleinprofil eine gespannte
Situation, weil viele verschiedene
Serien nicht untereinander kuppelbar sind und
dadurch ein erhöhter Reservebestand vorzuhalten
ist. Hier soll eine erste Serie von
20 HK-Zügen (Halbzüge) die größte Not lindern,
zudem sollen im planmäßig laufenden
Ertüchtigungsprogramm Wagen verschiedener
Serien miteinander kompatibel gemacht werden,
so dass sich nach Lieferung der HK-Wagen
die Ausmusterung der ältesten A 3-Einheiten
abzeichnet.
Straßenbahn bleibt im Osten
Die Straßenbahn hat es seit 1990 in Berlin
nicht leicht - obwohl billiger als die U-Bahn,
rechnen sich nach Aussage von Herrn Sember
durch die ausbleibende wirtschaftliche Erholung
der Stadt auch viele Straßenbahn-Neubauprojekte
nicht. (Der unvoreingenommene
Betrachter stimmt sicher zu, dass die wenigen
Strecken in die westlichen Zentren, die sich
rechnen würden, nicht an fehlendem Geld,
sondern an straßenbahnfeindlicher Politik gescheitert
sind). Mittelfristig wird die Berliner
Straßenbahn somit bis auf zwei Ausnahmen
ein Dasein als Regionalangebot im Osten der
Stadt fristen.
Die Netzsanierung ist bei der Straßenbahn
wesentlich weiter fortgeschritten als bei der
U-Bahn, aber es bleibt auch für die zweite
Hälfte 2004 noch genug zu tun. Neben Arbeiten
im Köpenicker und Pankower Netz (Umbau
Pastor-Niemöller-Platz) soll auch die Neubau-Strecke
über den Alex grundsaniert werden;
wie weitreichend sich die politisch motivierte
mangelhafte Bauausführung auswirkt,
ist erschreckend. Schließlich ist die Erneuerung
der Straßenbahn in der Warschauer Straße
erwähnenswert. Der schon vorbereitete
Treppenausgang von der U-Bahn am Frankfurter
Tor nach Süden auf die Mittelpromenade
der Warschauer Straße soll errichtet werden
und in diesem Zusammenhang auch eine
linksseitige Haltestellenanlage für die Zweirichtungswagen
der Linie 20 direkt auf der
Promenade, für Berlin eine absolute Neuheit.
Dabei stellt sich aber die Frage nach den
Wagen der dort auch verkehrenden Linie 21,
die links keine Türen haben und nach der
Fahrzeugparkentwicklung der Straßenbahn
allgemein. Dazu führte Herr Sember aus, dass
der derzeitige Wagenbestand durch die massiven
Einschnitte in das Leistungsangebot
schon zu groß ist und deshalb kurzfristig nicht
mit Neubestellungen zu rechnen ist. Die BVG
ist aber weiterhin bestrebt, die vorgesehene
Nutzungsdauer der Tatrawagen nach ihrer
Modernisierung nicht zu überschreiten. Auch
weil damals ein partieller, teilniederfluriger
Umbau der Flotte nicht erfolgte und langfristig
alle Leistungen behindertengerecht erbracht
werden sollen. So ist für die Zeit 2010
bis 2014 mit dem Ersatz der Tatras durch
neue Fahrzeuge zu rechnen. Obwohl das Wort
Combino nicht fiel, wurde betont, bei einem
Neukauf ein bewährtes Modell zu bevorzugen,
selbst wenn der NF-Anteil nur 70 Prozent
betragen sollte. Siehe dazu auch den Artikel
„Nachfolger der Tatrawagen" in diesem Heft.
Wenig Neubaustrecken
|
Straßenbahn-Verlängerungen in die Westbezirke sind für den Senat immer noch ein Tabuthema. Foto: Alexander Frenzel |
|
Bezüglich der Neubaustrecken gibt es von einem
ehrgeizigen Terminplan für die 2. Neubaustrecke
in den ehemaligen Westteil zu berichten:
Bis zur Inbetriebnahme des Hauptbahnhofs/Lehrter
Bahnhof 2006 soll die Linie 20
über Bernauer Straße zum Nordbahnhof und
dann weiter über Invalidenstraße bis dorthin
verlängert werden. Erst nach diesen Netzerweiterungen
soll die zweite Tramstrecke zum
Alexanderplatz über Prenzlauer Tor -
Karl-Liebknecht-Straße in Betrieb gehen. Hier hat
die BVG noch Bedenken durch die vorgesehenen
Änderungen im Endstellenbereich Alexanderplatz:
Es soll eine zweigleisige Stumpfendstelle
für Zweirichtungszüge entstehen, die
wegen des Prellbocks keine Gleisverbindung
zur Bestandsstrecke bekommen wird. Mit einer
Fertigstellung rechnet die BVG nicht vor
2007. Damit sind leider auch schon alle Neubauten
im mittelfristigen Horizont genannt,
die weiteren Planungen in die Wissenschaftsstadt
Adlershof, zum Zwickauer Damm, zum
Hermannplatz, zum Ostbahnhof, zum Potsdamer
Platz und Zoologischen Garten, nach
Moabit und ins Märkische Viertel sind auf unbestimmte
Zeit verschoben (auf deutsch: abgesagt).
Fazit: Die Verkehrspolitik dieser Stadt, die
von der BVG leider viel zu brav mit exekutiert
wird, hat wieder einmal ihr übliches Opfer
gefunden: einen kostengünstigen, schienengebundenen
öffentlichen Nahverkehr. Dafür
freuen sich die Politiker über die bevorstehenden
Eröffnungsfeiern der Prestige-Objekte
Hauptbahnhof/Lehrter Bahnhof und U 55
mit anschließender Buddelei bis zum Alex.
Alle Befürchtungen über Haushaltskonsolidierungen
auf Kosten der vielen kleinräumigen
Vernetzungen haben sich bestätigt. Die Unternehmensbereiche
der BVG tun vielfach ihr
Bestes, um die negativen Auswirkungen von
Senatsentscheidungen zu mildern und den
Kunden auch weiterhin einen verlässlichen
ÖPNV zu bieten. Lachender Sieger bleibt allerdings
trotzdem wieder einmal der Kraftverkehr.
Mit der Inbetriebnahme der Teltowkanalautobahn
bis Adlershof im kommenden
Jahr und des Innenstadtrings Nord sowie des
B 96-Tunnels 2006 werden aus der Hauptstadt
deutliche Zeichen gesetzt. Auch wenn Berlin
die Autobahnen nicht unmittelbar bezahlt: Der
verstärkte Zubringerverkehr und der Ausbau
der Anschlussstellen ins Bestandsnetz werden
Mittel im Straßenbau binden, von denen die
Fahrgäste nur träumen können! IGEB Stadtverkehr
|