Berlin

So nicht! Fahrausweis-Kontrolleure beschädigen das Ansehen Berlins

„Guten Tag, die Fahrausweise bitte”. Viele tausend Mal am Tag ist dieser Spruch in Berlin bei S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn und, eher selten, auch im Bus zu hören. Ein Routinevorgang. Aber leider nicht immer. Daher bescheren diese so genannten „Schwarzfahrer-Kontrollen” dem Berliner Fahrgastverband IGEB seit einiger Zeit außergewöhnlich viel Arbeit.

Sie kommen per Post, Fax oder E-Mail, auf IGEB-Kummerkarten oder formlos: Beschwerden über Fahrausweiskontrollen. Meistens sind es Fahrgäste der U-Bahn oder der Straßenbahn. Gibt es mit den BVG-Kontrolleuren heute mehr Probleme als früher oder liegt es am gewachsenen Bekanntheitsgrad des Fahrgastverbandes, dass verärgerte Fahrgäste sich an die IGEB wenden?

Die BVG wiegelt ab und antwortet mit Zahlen: Angesichts der vielen Kontrollen sei die Zahl der Beschwerden über Kontrolleure verschwindend gering. Rechnerisch hat die BVG Recht. Aber sie verkennt dabei, wie viel menschliches Leid sich hinter zahlreichen der so genannten Einzelfälle verbirgt. Die dem Berliner Fahrgastverband IGEB geschilderten Fälle sind zum Teil erschütternd und unentschuldbar. Menschenunwürdiges Verhalten der Kontrolleure ist auch nicht im Einzelfall hinnehmbar, vollkommen unabhängig davon, ob ein Fahrgast ein „Schwarzfahrer" ist oder nicht.

Häufigster Beschwerdefall sind jedoch „Graufahrer", also Menschen, die entweder nicht den richtigen Fahrausweis gekauft haben oder nicht entwertet haben, teils aus Unkenntnis, teils aus Versehen.

U-Bahnhof
Das Auftreten und Verhalten einiger BVG-Kontrolleure gegenüber den Fahrgästen gab in der Vergangenheit Anlass zu Kritik. Foto: U-Bahnhof Leopoldplatz, Marc Heller

Auffällig ist, dass die weitaus meisten der an die IGEB geschickten Beschwerden die BVG und nur ein kleiner Teil die S-Bahn betreffen. Zum einen sind die S-Bahn-Kontrolleure bei „Graufahrern" offensichtlich sehr viel häufiger kulant. Während zum Beispiel Touristen mit einem nicht entwerteten Fahrausweis bei der S-Bahn meist „nachstempeln" durften, wurden sie bei der BVG in der Regel mit 40 Euro zur Kasse gebeten. Zum anderen hat die S-Bahn auf Beschwerden fast immer schneller und einfühlsamer reagiert, selbst dann, wenn sich ein Fahrgast zu Unrecht über die Kontrolleure beschwert hatte.

Da das Verhalten der BVG-Kontrolleure, meist Privatfirmen im Auftrag des Verkehrsbetriebes (wie auch bei der S-Bahn!), das Ansehen des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin und damit letztlich das Ansehen der Stadt beschädigt, hat sich der Berliner Fahrgastverband IGEB inzwischen an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses gewandt. Er sieht sich darin durch Berlins neue Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer bestätigt, die am 7. Juni äußerte, der öffentliche Nahverkehr sei die Visitenkarte einer Stadt.

Zwar hat die BVG die für sie kontrollierenden Firmen inzwischen abgemahnt, doch das reicht nicht. So lange für die BVG bei den Kontrollen nicht die Vorbeugung und die Erziehung im Vordergrund stehen, sondern das Erzielen zusätzlicher Einnahmen, so lange wird das Wort Kulanz für die Kontrolleure ein Fremdwort bleiben. Außerdem muss die BVG-Verwaltung lernen, schneller und einfühlsamer auf Beschwerden zu reagieren. Und nicht zuletzt müssen die Beförderungs- und die Tarifbestimmungen dringend geändert werden. Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass beispielsweise Menschen, die keine Beförderungsleistung in Anspruch nehmen, sondern ein Kind oder einen gebrechlichen Menschen bis zum S- oder U-Bahn-Zug begleiten, als „Schwarzfahrer" abkassiert werden können.

IGEB

aus SIGNAL 3/2004 (Juni/Juli 2004), Seite 14

 

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