Strategische Netzplanung
Die Analyse-Ergebnisse hatten der BVG -
räumlich gesehen - Handlungsbedarf außerhalb
des S-Bahn-Ringes gezeigt. Auch die auf
der ersten Stelle der Kunden-Prioritäten hinsichtlich
Verkehrsmittel-Wahlentscheid gelandete
Forderung nach dichten Takten gab die
Richtung zu einem „Kernnetz" an. Bisher werden
in Berlin U- und S-Bahnen als Kernnetz
verstanden. Damit ist der Kern des Nahverkehrs-Angebots
für schnelle und weite Wege
jedoch in etlichen Teilgebieten der Stadt überhaupt
nicht oder nur mit einer radialen Linie
vorhanden. Künftig will die BVG das Kernnetz
als schnelle, übersichtliche und immer präsente
Linien definieren - unabhängig ob Schiene
oder Gummibereifung. Das Kernnetz der
Schnellbahnen, auch flächenmäßig erweitert
um „MetroTram" und „MetroBus", soll dem
Kunden wettbewerbsfähige Reisezeiten im
Vergleich zum Pkw bieten. Seine Linien bilden
die großen Verkehrsströme Berlins ab. Für Metrolinien
wird ein Produktversprechen gegeben,
d.h. eine Qualität geboten, die insbesondere
die zeitliche Verfügbarkeit betrifft. Metrolinien
sind ein „immer-da-Angebot" an allen
Tagen, ca. 20 Stunden (also den gesamten Tagesverkehr)
und tagsüber mindestens im
10-Minuten-Takt. Auch an den Wochenenden
und Feiertagen wird von ca. 9 bis 20 Uhr ein
10-Minuten-Takt geboten.
Bus- und Straßenbahn-Linien des Ergänzungsnetzes
werden für notwendige Zubringerdienste
sorgen und die Flächenerschließung
nach den Standards des Nahverkehrsplans
weiterhin sicherstellen. Mit dieser Kernnetz-Strategie
realisiert die BVG nichts geringeres
als die vom Senat im Stadtentwicklungsplan
Verkehr anvisierte Vorstellung, dass künftige
Verkehrspolitik nicht mehr Infrastrukturausbau,
sondern Um- oder Neuorganisation des
Verkehrs ist.
Weniger visionäre Vorstellungen entwickelten
sich entlang altbekannter Fragestellungen.
Gehören die ExpressBus-Linien zum Kernnetz
oder nicht? Bedingt durch die vom Senat getragenen
unternehmenspolitischen Vorstellungen
der S-Bahn GmbH, aber auch vom Ziel einer
klareren Produkt-Definition als der heutigen,
fiel die Entscheidung, dass ExpressBusse nicht
zum Kernnetz gehören. Sie sind ein auf Nachfrage-Spitzen
zielendes Produkt, das nicht an
allen Wochentagen und nicht zu allen Verkehrszeiten
angeboten wird. Insgesamt wird das von
den Kunden (und der IGEB) gut bewertete Produkt
ExpressBus weitgehend beibehalten. Untypische
X-Busse wie zum Beispiel der X 83
können in anderen Produkten aufgehen.
Fahren Metrolinien nur tangential oder auch
radial? Hier verbietet die an der Nachfrage
orientierte Planung ein apodiktisches Vorgehen:
Wo starke Verkehrsströme sind, aber kein
Schnellbahn-Angebot existiert, können Metrolinien
auftreten - unabhängig vom radialen
oder tangentialen Verlauf. Weniger logisch herzuleiten
ist ein Verlauf von zwei oder gar mehreren
Metrolinien auf dem gleichen Streckenabschnitt.
Dies kann im Zulauf auf einen Aufkommensschwerpunkt
vorkommen oder auch auf
längeren Straßenbahn-Streckenabschnitten.
Insgesamt ist es das Ziel der BVG, aus Gründen
der Verständlichkeit eher „linienrein" zu
fahren und weniger Linienbündel anzubieten,
die sich in ihrem weiteren Verlauf verzweigen
oder Über-Eck-Verbindungen herstellen.
Parallelverkehre werden überprüft, unerwünschte
Parallelverkehre werden vermieden
bzw. in Zubringerverkehre zur Schiene umgewandelt.
Metrobusse in anderen Großstädten
Mit der Strategie von Kern- und Ergänzungsnetz
bzw. der Herausbildung von klaren Produkten
orientiert sich die BVG an europäischen
und deutschen Vorbildern. London hat bereits
ein BusPlus-Netz, mit ca. 30 Linien, sein Ausbau
ist vorgesehen; Kopenhagen hat sein Busnetz
in drei Linien-Arten gegliedert. Hamburg
hat im Jahr 2001 22 Metro-Bus-Linien eingeführt,
die sich an bereits bestehenden nachfragestarken
Buslinien orientierten. Dabei wurde
in Folge des Produktversprechens die angebotene
Betriebsleistung (in Nutzwagenkilometern)
um ca. 3 % erhöht. Die ermittelten Kundenzahlen
stiegen im Hamburger MetroBus-
Netz, das ca. die Hälfte aller Busfahrgäste befördert,
um rd. 6 %, im anderen Netz um ca.
1 %.
München plant ebenfalls Metro-Bus-Linien
einzuführen, zielt dabei aber stark auf Einsparung
von Betriebsleistung. Es sollen ca. 6 %
der gesamten Omnisbusleistung eingespart
werden, in den Spitzenstunden sogar bis zu
10 %. Angebotsverbesserungen finden nur in
geringem Ausmaß auf wenigen, gezielt ausgewählten
Linien statt und sollen in Summe aller
Maßnahmen 1 % mehr Fahrgäste erbringen.
Die BVG wird zwischen diesen beiden Polen
liegen. Es ist Ziel des BVG-Projektes, 3 % mehr
Fahrgäste zu gewinnen und einen zweistelligen
Millionen-Betrag bei den Betriebskosten einzusparen.
Planung von Netz- und
Fahrplanangebot
Dies ist der originale Titel des Arbeitspaketes,
in dem sich das Projekt derzeit befindet. Berlin
wird in sechs Teilgebieten überplant, die sich
aus den Schwerpunkten ergaben, wo Handlungsbedarf
zur Gewinnung neuer Nachfrage
ermittelt wurde. Dabei erfolgen mehrere Iterationsschleifen,
insbesondere auch mit der Beteiligung
der Senatsverwaltung und der Bezirke.
Mit dem Kundendialog betritt die BVG
Neuland. Die Kunden erhalten Gelegenheit,
ihre Präferenzen für verschiedene Planungsvarianten
zu äußern. Dabei sind verschiedene
Wege möglich: An zahlreichen Infoständen, Infomobilen
vor Ort, über das Internet und bei
Befragungen auf betroffenen Linien.
Damit hat die BVG das alte Verfahren der
Erarbeitung ihrer Angebotsplanung verlassen.
Dieses war charakterisiert durch intensive Planungsarbeiten
im Haus, nach denen die BVG
die Ergebnisse der Öffentlichkeit quasi mitteilte,
jedoch kaum noch Änderungsmöglichkeiten
bestanden. Dann wurde die Planung umgesetzt
oder geriet „unter Beschuss". Im zahlenmäßig
geringen letzteren Fall hat die BVG dann eine
Planung entweder „durchgestanden" oder sie
„kippte". Mit dem Kundendialog, vor allem
aber mit der Einbeziehung der Bezirke geht die
BVG neue Wege. Den Bezirksämtern und den
Verkehrsausschüssen der Bezirksverordnetenversammlungen
werden das Konzept und sämtliche
Maßnahmen detailliert vorgestellt und
entsprechendes Material überreicht. Dann haben
die Bezirke Zeit zum Nachdenken und zur
Rückmeldung. Parallel wird die Diskussion der
Maßnahmen mit Aufgabenträger, S-Bahn, VBB
und Verbänden durchgeführt. Danach muss
noch einmal eine Gesamtüberarbeitung auch
unter Berücksichtigung der Ergebnisse der in
den Bürgerdialog gegebenen Varianten erfolgen.
Wie leicht zu erkennen ist, stellen Zeitbedarf
und Iterationsschleifen eine Schwäche des
neuen Verfahrens dar. Eine regelrechte Gefahr
besteht in der Vorstellung, die umfangreiche
Beteiligung könne letztendlich bei allen Beteiligten
Konsens über alle Maßnahmen herstellen.
Dass dies nicht der Fall sein kann, ist bei
näherem Nachdenken klar und wohl auch unumstritten.
Aber nicht bei jeder konkreten
Sparmaßnahme vor Ort wird letztlich ein Kompromiss
oder gar ein Konsens gefunden werden
können. Die BVG ist dennoch entschlossen,
den Kundendialog und die umfassende
Beteiligung insbesondere der Bezirke an der
Angebotsplanung dauerhaft zu institutionalisieren.
Es herrscht Spannung über die noch zu machenden
Erfahrungen, sie werden dazu dienen,
am Ende eine gute Form der öffentlichen Beteiligung
an Angebotsplanungen zu finden. BVG
Heinz Krafft-Neuhäuser, BVG-Projektleiter
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