Bahn und Bund haben sich im Juli über die
Prioritäten bei der Realisierung der Projekte
zum Ausbau der Schieneninfrastruktur verständigt.
In der Tabelle sind die 66 Teilprojekte
zusammengestellt, die in den Jahren 2004
bis 2008 verwirklicht werden sollen. Die dabei
vorgenommene Unterteilung täuscht einen
umfassenden Infrastrukturausbau leider
nur vor. So sind die Baumaßnahmen allein im
Knoten Berlin in acht Einzelprojekte aufgeteilt.
Auch sind in der Mittelfristplanung Projekte
enthalten, bei denen der Bund keine Finanzierung
übernimmt. Hierzu zählen zum
Beispiel die Neu-/Ausbaustrecke Nürnberg -
München, bei der die restlichen Baumaßnahmen
aufgrund einer Höchstpreisvereinbarung
nunmehr aus Eigenmitteln der DB AG finanziert
werden müssen, weiterhin das Projekt
„Neu Ulm 21", wo das Bundesland Bayern
die Vorfinanzierung übernimmt. Bei acht Maßnahmen
sind lediglich Restleistungen, bei einer
Maßnahme Vorleistungen mit vergleichsweise
geringem finanziellen Aufwand von
maximal 1 Million Euro zu erbringen.
|
Massive Kürzungen bei den Schieneninfrastruktur-Projekten einerseits, weiterhin großzügige Straßenbaumaßnahmen (im Bild die autobahnähnlich ausgebaute B 101 in Brandenburg) andererseits: Eine Gleichbehandlung der Verkehrsträger Schiene und Straße kann so nicht funktionieren. Foto: Christian Schultz |
|
Der vom Bundestag verabschiedete Bundesverkehrswegeplan
2003 dürfte damit -
selbst bei Berücksichtigung, dass es sich hierbei
lediglich um einen Investitionsrahmenplan
handelt - zumindest für den Schienenbereich
Makulatur sein, da die Umsetzung der bis
2015 geplanten Maßnahmen wegen der massiven
Einschnitte bei den Verkehrsinvestitionen
völlig unrealistisch ist.
Angesichts der beschlossenen Mittelfristplanung
ist weiterhin fraglich, wie das verkehrspolitische
Ziel, künftig einen deutlich höheren
Anteil am Verkehrsaufkommen über die
Schiene abzuwickeln, eigentlich erreicht werden
soll.
Die Folgen der Investitionsplanung sollen
nachfolgend anhand der Relation Berlin -
Leipzig - München verdeutlicht werden.
Verkehrspolitische Zielsetzungen
gemäß Bundesverkehrswegeplan 2003
Dem Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2003
liegen unter anderem folgende zentrale verkehrspolitische
und gesellschaftliche Ziele zugrunde:
|
Trotz erheblicher Kürzungen bei den Schieneninfrastruktur-Projekten gesichert: VDE-Projekt 8.3 Berlin - Halle/Leipzig. Aufnahme in Genshagener Heide, Bauzustand September 2004. Foto: Christian Schultz |
|
- Gewährleistung einer dauerhaft umweltgerechten
Mobilität
- Schaffung fairer und vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen
für alle Verkehrsträger
- Verbesserung der Verkehrssicherheit für
Verkehrsteilnehmer und Allgemeinheit
- Verringerung der Inanspruchnahme von
Natur, Landschaft und nicht erneuerbaren
Ressourcen
- Reduktion der Emissionen von Lärm, Schadstoffen
und Klimagasen (vor allem Kohlendioxid)
- Förderung der europäischen Integration.
Weiterhin wird den Verkehrsprojekten Deutsche
Einheit (VDE-Projekte) Vorrang bei der
Realisierung eingeräumt, da sie für den Aufbau
Ost und das Zusammenwachsen von neuen
und alten Bundesländern herausragende
Bedeutung haben. Die VDE-Projekte zählen
deshalb im BVWP 2003 auch zu den laufenden
und fest disponierten Vorhaben.
Bei einem Vergleich bezüglich der Umsetzung
der beschlossenen VDE-Maßnahmen für
die Verkehrsträger Straße und Schiene werden
allerdings Unterschiede hinsichtlich der
Prioritäten deutlich. Während die Straßenbauprojekte
bis auf wenige Reststrecken im Jahr
2005 fertig gestellt sein werden bzw. die Gesamtfertigstellung
bis 2007/2008 erfolgen
soll, sind zwar auch insgesamt sechs der neun
Eisenbahnvorhaben (zum Beispiel Helmstedt
- Magdeburg - Berlin) praktisch abgeschlossen,
für die Inbetriebnahme der VDE-Projekte
8.1 und 8.2 Nürnberg - Erfurt - Halle/Leipzig
ist dagegen mittlerweile selbst das Jahr 2015
unrealistisch. In den vorliegenden Fällen kann
weder von einer vorrangigen Realisierung der
VDE-Projekte noch von der Schaffung fairer
und vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen
die Rede sein.
Berlin - Nürnberg - München: Das
Bahnangebot 2004 im Vergleich zu
den Wettbewerbern
Der Ausbau der Autobahn A 9 zwischen Berlin,
Nürnberg und München ist mittlerweile weit
vorangeschritten, so dass dem Personen- und
Güterverkehr auf der Straße - als wichtigstem
Konkurrenten der Bahn - in weiten Abschnitten
sechs Fahrspuren ohne jegliche Restriktionen
bezüglich der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
zur Verfügung stehen.
Für die Bahn sieht die Situation dagegen
deutlich schlechter aus. Die Ertüchtigung der
Strecke Berlin - Bitterfeld - Leipzig für eine
Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h ist noch
immer nicht abgeschlossen, ebensowenig die
Arbeiten an der Neu-/Ausbaustrecke Nürnberg
- Ingolstadt - München. Letztere Infrastrukturmaßnahme
ermöglicht nach Inbetriebnahme
allein eine Reduzierung der Fahrzeit um
rund 40 Minuten auf dann rund 60 Minuten.
|
Verkehrsbündelung der Neubaustrecke Halle - Leipzig, Abschnitt Knoten Gröbers - Leipzig im Bereich des Flughafens Leipzig/Halle mit der Autobahn A 14 Magdeburg - Dresden, im Vordergrund eine Rollfeldbrücke zur Verbindung der beiden Flughafenbereiche Nord und Süd über beide Verkehrsträger (VDE 8.2 Neubaustrecke 130 km Erfurt - Leipzig/Halle (ca. 23 km Gröbers - Leipzig mit Flughafenbahnhof Leipzig/Halle in Betrieb). Foto: DB AG/Busse |
|
Wenngleich die benannten Projekte voraussichtlich
in 2006 beendet sein werden, wird
das verkehrsstrategisch wichtige Mittelstück
Leipzig - Nürnberg auch danach eine Langsamfahrstrecke
bleiben. Speziell südlich von
Saalfeld sind die Windungen der Trasse besonders
ausgeprägt mit engen Radien und Steigungen
bis zu 29 Promille. Geschwindigkeitseinbrüche
für konventionelle Züge auf 70 km/h bzw.
selbst für den Neigetechnik-Zug ICE-T
auf 80 km/h sind die Folge - für eine Autobahntrasse
unvorstellbar!
Ferner muß das bogenschnelle Fahren mit
dem ICE-T zumindest in dieser Relation kritisch
gesehen werden. Bedingt durch die unzähligen
Bogenwechsel der Strecke beschweren
sich regelmäßig Fahrgäste über Reiseübelkeit
und weitere Beschwerden - ein bislang
in der Öffentlichkeit völlig verschwiegenes
Problem. Angesichts der Häufigkeit der
Klagen kann dabei von Einzelfällen kaum
mehr gesprochen werden.
Fazit
Das Ziel einer Verbesserung der Wettbewerbssituation
des umweltfreundlichen Eisenbahnverkehrs
kann auf diese Weise nicht erreicht
werden; die vorhandenen Infrastrukturmängel
können wirkungsvoll nur mittels einer
Neutrassierung behoben werden.
Bei Beurteilung der VDE-Projekte 8.1 und
8.2 muß weiterhin beachtet werden, dass die
in Bau befindlichen Autobahnabschnitte A 71
(Erfurt - Schweinfurt) bzw. A 73 (Suhl - Lichtenfels)
voraussichtlich in 2006 größtenteils
fertiggestellt werden und somit das Raum-Zeit-System
des Straßenverkehrs auch hier
wieder enorm verbessern - und zwar einmal
mehr zu Lasten des Schienenverkehrs! Die
Gesamtlänge des Vorhabens A 71/A 73 beträgt
dabei allein rund 222 km und weist - ähnlich
wie die Eisenbahn-Neubaustrecke Erfurt -
Ebensfeld - zahlreiche Tunnel und Talbrücken
auf, wie zum Beispiel den fast acht Kilometer
langen Rennsteigtunnel (Baukosten hierfür
170 Millionen Euro). Nennenswerte Finanzierungsprobleme
gibt es offensichtlich bei diesen
beiden Straßenprojekten nicht.
Neu/Ausbaustrecke Leipzig - Erfurt -
Nürnberg: Zügige Realisierung in
Teilabschnitten zum Nutzen des
Kunden
In die VDE-Projekte 8.1 und 8.2 sind bis Ende
2002 bereits Mittel in folgender Höhe investiert
worden:
- Neu-/Ausbaustrecke (NBS/ABS) Nürnberg -
Erfurt: 475,69 Millionen Euro!
- Neu-/Ausbaustrecke Erfurt - Leipzig/Halle:
450,13 Millionen Euro!
Der Baubeginn für die 107 km lange NBS Erfurt
- Ebensfeld erfolgte am 16. April 1996 in
Arnstadt, eine Inbetriebnahme ist im Fall der
Beibehaltung der derzeitigen Rahmenbedingungen
selbst im Jahr 2015 unwahrscheinlich.
Volkswirtschaftlich völlig inakzeptabel ist bei
der NBS/ABS Nürnberg - Erfurt die Tatsache,
dass Steuergelder in beträchtlicher Höhe eingesetzt
werden, die günstigstenfalls erst in
20 Jahren nach dem „ersten Spatenstich"
dem Kunden sowohl im Personen- als auch
Güterverkehr Nutzen bringen (zwischen Leipzig
und Gröbers ist seit 30. Juni 2003 ein erster
23 km langer Neubauabschnitt in Betrieb,
der für die ICE der Relation Berlin - München
allerdings derzeit nicht relevant ist). Zum Vergleich:
Mit dem Bau der NBS Köln - Frankfurt/Main
(Länge 177 km) wurde im Dezember
1995 begonnen, der Shuttlebetrieb mit dem
ICE 3 wurde am 1. August 2002 aufgenommen!
Fragwürdig ist weiterhin die vorgesehene
Aufsplittung der Mittel bei den VDE-Projekten
8.1 und 8.2 mit der Folge, dass ein zügiger
Baufortschritt nunmehr in beiden Teilprojekten
verhindert wird.
Dringend erforderlich ist daher einerseits
die Bereitstellung ausreichend finanzieller
Mittel, andererseits eine stufenweise Realisierung
mit dem Schwerpunkt auf diejenigen
Teilabschnitte, die dem Kunden den größten
Nutzen bringen. Dies kann letztlich nur folgendermaßen
geschehen:
- 1 a) Realisierung der ABS, Teilabschnitt Nürnberg
Hbf - Fürth (3. Streckengleis zur Kapazitätserhöhung)
- 1b) Realisierung der NBS Erfurt - Ebensfeld
(mit Fertigstellung dieser Maßnahme werden
deutlich attraktivere Fahrzeiten möglich
im Vergleich zur heutigen Trasse durch
das Saaletal)
- 2) Realisierung der ABS, Teilabschnitt Fürth
- Forchheim (Bau des 3. und 4. Streckengleises
im Rahmen der Erweiterung des
S-Bahn-Netzes Nürnberg)
- 3) Realisierung der NBS/ABS Erfurt - Halle/Gröbers
- 4) Realisierung der ABS, Teilabschnitt Forchheim
- Ebensfeld (Bau des 3. und 4. Strekkengleises
als letzte Realisierungsstufe)
Grundsätzlich trägt der Bund gemäß Art. 87e
Abs. 4 GG für Ausbau und Erhalt des Schienennetzes
der Bundeseisenbahnen Sorge.
Dazu gehört auch die Verantwortung bezüglich
einer zügigen Realisierung von Verkehrsinfrastrukturvorhaben,
ggf. verbunden mit der
Zurückstellung neuer Projekte. Dabei darf
auch die Reduzierung der Neu- bzw. Ausbaupläne
von Autobahnen bzw. Bundesstraßen
kein Tabu-Thema sein, um eine ausreichende
Finanzierung bzw. Umsetzung wichtiger
Schieneninfrastruktur-Planungen - wie unter anderem
zwischen Berlin und München - in einem
volkswirtschaftlich akzeptablen Zeitraum zu
gewährleisten. Die verkehrspolitischen Ziele
zum Beispiel bezüglich Ressourcenschonung
und Flächenverbrauch lassen sich mit den im
Bundesverkehrswegeplan enthaltenen Bahnprojekten
ohnehin wesentlich besser erreichen
als mit der Umsetzung der unzähligen
Straßenvorhaben.
Auch Folgendes ist zu bedenken: Was nutzt
die Beschaffung moderner, teurer Hochgeschwindigkeitszüge,
wenn diese auf dem verfügbaren
Schienennetz ihren Wettbewerbsvorteil,
nämlich dem Bahnkunden eine attraktive,
hohe Reisegeschwindigkeit zu bieten,
nicht oder nur sehr eingeschränkt ausspielen
können! IGEB Fernverkehr
|