Bauen bei der Straßenbahn

Bauverkehr auf der Tram 12

Gutes Angebot – kaputt kommuniziert

Stand bei der letzten Sperrung der Berliner Straßenbahnlinie 12 noch die Betriebsführung im Mittelpunkt der Kritik (SIGNAL 4/2013 ), so wurde diese in der jüngsten Bauphase deutlich verbessert.

Die Einwohner der Pappelalle in Berlin-Prenzlauer Berg sind es ja inzwischen gewohnt, dass ihre Straßenbahn immer mal wieder über längere Zeit nicht fährt. Die jüngste Sperrung war dem Umstand geschuldet, dass die BVG dies ändern möchte. So wurde der bisherige Gleiswechsel am U-Bahnhof Eberswalder Straße gegen einen Flexity-tauglichen ausgetauscht. Damit kann künftig bei Störungen die Pappelallee weiterhin bedient werden.

Doch vor den Bau-Erfolg hatte der SEV-Gott erneut den Bau-Verkehr gestellt. Und hier ging die BVG neue Wege. Um die Einschränkungen für die Straßenbahnfahrgäste durch Ersatzverkehr mit Bussen so gering wie möglich zu halten, hat man erstmals eine Linie mit einbezogen, die von den Bauarbeiten eigentlich gar nicht betroffen wäre.

Haltestelle mit vielen Fahrgästen
U-Bahnhof Osloer Straße. Aufgenommen wenige Sekunden, nachdem die 50 (mit Franz. Buchholz, Guyotstr beschildert), die eigentlich eine 12 zum Pasedagplatz in Weißensee war, die Haltestelle mit sehr wenigen Fahrgästen verließ. Fast alle der hier gezeigten Kunden hätten diese Bahn jedoch nutzen können. Sie warteten stattdessen auf die volle M 13 Richtung Warschauer Straße, die übrigens auch nicht dort hinfuhr, sondern bereits drei Stationen nach dem Abzweig der 12 zur Linie 16 nach Ahrensfelde wurde. Foto: Holger Mertens

Aufgrund fehlender Übereck-Weichenverbindungen an der Kreuzung Schönhauser Allee/Bornholmer Straße hat die BVG die beiden Linien 50 und 12 miteinander verknüpft. Beide bogen somit nicht ab, sondern fuhren geradeaus über die Kreuzung und bedienten damit den jeweils nicht bedienten Abschnitt der anderen Linie. Damit die Taktzeiten zusammenpassten, hatte man sogar die Linie 12 von einem 15-Minuten-Takt auf einen 10-Minuten-Takt verdichtet.

Damit entstand für die Fahrgäste beider Linien zwar ein Umsteigezwang, aber durch die jeweils parallel fahrenden Metrolinien M 1 und M 13 ergab sich rechnerisch ein 5-Minuten-Takt auf allen Abschnitten – und somit optimale Anschlüsse am Knotenpunkt. Dadurch waren für einen Teil der Fahrgäste sogar Fahrzeitverkürzungen trotz Umstieg möglich.

„Ich fahr da hin, wo Sie hin wollen. Bitte nicht einsteigen!”

Fahrverbindung auf BVG.de
Damit auch wirklich niemand die alle 10 Minuten verkehrende Direktverbindung nutzt, hat Fahrinfo bei Verbindungsanfragen die Fahrgäste über Umwege geschickt. Gleiches betraf die Fahrten von Französisch Buchholz zum Kupfergraben. Auch hier wurden die alle 10 Minuten stattfindenden Direktfahrten verschwiegen. bvg.de

Leider haben aber nur die Wenigsten diese Vorteile nutzen können. Denn die BVG hatte einen riesigen Aufwand betrieben, damit auch ja niemand herausfindet, wie tatsächlich gefahren wurde. Auf allen Abschnitten wurde den Fahrgästen gemäß eigener „Fahrgastdesinformationsrichtlinien“ das Standardprogramm vorgegaukelt. Resultat: Überall warteten Fahrgäste auf „ihre” Bahn und ließen die andere Linie, die ebenfalls ihr Ziel ansteuerte, fahren. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass durch diese Desinformation im gesamten Bauzeitraum von 4 Wochen weit über 10 000 Fahrgäste unnötig lange auf falsch beschilderte Züge gewartet haben.

Liniengrafik
So wurde gefahren … Grafik: Holger Mertens
Liniengrafik
und so wurde geschildert. Grafik: Holger Mertens

Äußerst schade und vor allem überaus unnötig. Um an jeder Haltestelle den Umsteigezwang von einer Linie in dieselbe Linie zu erklären, wurden viele komplizierte Schilder gedruckt – mal mit erklärenden Grafiken, aber meist mit umständlichen Texten. Dabei hätte es so einfach sein können! Auf den Fahrplänen und allen Anzeigern erfolgt die korrekte Beschilderung, ergänzt um folgenden leicht verständlichen Hinweis: „Linie … Richtung … : Bitte mit jedem Zug bis Schönhauser Allee/Bornholmer Straße vorfahren und dort umsteigen!” Fertig!

Schade. Chance vertan. Das bemerkenswerte und löbliche Betriebskonzept konnte somit von kaum einem Fahrgast genutzt werden. Ein erkennbarer 5-Minuten-Takt für vier Wochen zwischen Pankow und Kupfergraben sowie zwischen Weißensee und Wedding hätte durchaus seine Fans finden und damit mehr Fahrgäste von den Leistungen der Berliner Straßenbahn überzeugen können. (hm)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 5/2013 (November 2013), Seite 11

 

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