Wiederholt wurde über die mangelhafte
Organisation der Schienenersatzverkehre
bei der Berliner Straßenbahn berichtet, zuletzt
von der M 1 (Signal 3/2013 ). Von Pankow
nach Potsdam sind es etwa 60 Minuten.
Beim Vergleich, wie Bauzustände bei der
Straßenbahn organisiert werden, scheinen
jedoch Welten dazwischen zu liegen. Der
nachfolgende Bericht soll Senat und BVG
animieren, über den Berliner Tellerrand zu
schauen.
Die Straßenbahn muss fahren – egal wie!
Mit Blick auf die aktuellen Baustellen im
Potsdamer Stadtzentrum ist die Straßenbahn
das einzige Verkehrsmittel überhaupt,
um verlässlich von A nach B zu kommen.
Aber auch unter normalen Zuständen ist
sie
das Rückgrat des Potsdamer Nahverkehrs.
Entsprechend müssen die Betriebsunterbrechungen
möglichst kurz gehalten werden.
Bei Gleisarbeiten wird daher je nach Erfordernis
eines von zwei Verfahren angewandt:
- Bauen unter rollendem Rad
Im Zuge der Sanierung des Straßenbahnnetzes
nach der Wende wurden
die schon zu DDR-Zeiten eingebauten
Gleiswechsel, welche sich an etwa jeder
zweiten oder dritten Haltestelle befinden,
nicht entfernt. Diese „Tradition“
wurde auch bei allen Neubaustrecken
fortgeführt. So kann bei Sperrung eines
Richtungsgleises über eine Rangierfahrt
auf das Gegengleis gewechselt werden.
Für die Fahrgäste bedeutet das eine
Fahrzeitverlängerung von ca. 2 Minuten,
erspart diesen jedoch einen Umstieg in
den Schienenersatzverkehr. Durch den
dichten Abstand der Gleiswechsel kann
problemlos mindestens ein 10-Minuten-Takt
gehalten werden. Fallweise wird dieses
Verfahren auch unter Zuhilfenahme
von Bauweichen genutzt.
- Bauen unter Totalsperrung als „Hau-Ruck-Maßnahme“
Dabei werden an verlängerten Wochenenden
in Verbindung mit einem 24-Stunden-Baubetrieb
Anschlüsse an Neubaustrecken
oder Instandhaltungsmaßnahmen
durchgeführt. Wohl prominentestes Beispiel
hierfür ist der Anschluss der neuen
Bahnhofsschleife im Jahr 1999 an das Bestandsnetz
innerhalb von 72 Stunden. Für
ein vergleichbares Berliner Bauvorhaben,
den Umbau der Schleife an der Warschauer
Straße im Zuge der Verlängerung der
Straßenbahn über die Warschauer Brücke,
„genehmigte“ man sich eine Sperrung
über mehrere Wochen.
Informationskampagnen
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Mit einer umfänglichen Informationskampagne wies der Verkehrsbetrieb in Potsdam auf eine Komplettsperrung seiner wichtigsten Straßenbahnstrecke hin. Foto: Benjamin Karl |
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Aber auch eine noch so gut geplante
Baumaßnahme ist für den Fahrgast
ein Ärgernis, wenn er nichts davon
erfährt. Diesbezüglich haben die Verkehrsbetrieb
Potsdam GmbH (ViP) schon Mitte der
1990er Jahre beim Umbau der Gleisanlagen
am Platz der Einheit ihre Fähigkeiten
bewiesen. Was damals mit einem Faltblatt begann
(das Internet war zu jener Zeit
noch kein Massenmedium), wurde
sukzessive zu einer Kampagne weiterentwickelt,
mit der alle denkbaren
Kanäle (Presse, Internet,
Dynamische Fahrgastinformation
an den Haltestellen, Sonderpublikationen)
bedient werden. Dass das Starten solcher
Kampagnen auch sehr kurzfristig möglich
ist, zeigt eine Baumaßnahme im Juli 2013.
Von Null auf Streckensperrung
in zehn Tagen!
Mit gerade 10 Tagen Vorlauf wurde die Erneuerung
der Gleise im Bereich
Heinrich-Mann-Allee/Friedhofsgasse bekannt gegeben.
Es bleibt leider das Geheimnis der
Potsdamer Stadtverwaltung, warum diese
Maßnahme so kurzfristig kommuniziert
wurde. Der Streckenabschnitt ist die Hauptschlagader
des Netzes, und die Auswirkungen
dieser Baumaßnahme bedeuteten
nicht weniger als eine betriebliche Teilung
des Straßenbahnnetzes in ein Nordnetz und
ein Südnetz. Neben den Fahrgastbelangen
waren damit einige betriebliche Herausforderungen
zu meistern – nebst der Einrichtung
einer provisorischen Abstellanlage im
Bereich der Viereckremise.
Insofern verdient die vom Verkehrsbetrieb
Potsdam umgesetzte Informationskampagne
größten Respekt! Dabei wurde das gesamte
Programm abgeliefert: Dem Newsletter
am Tage der Bekanntmachung folgten
die Pressemitteilung und der Lauftext an der
Haltestelle. Innerhalb von vier Tagen wurde
ein Faltblatt erstellt, gedruckt und in Umlauf
gebracht. Dieses enthielt neben der Route
und den Fahrzeiten des SEV einen Netzplan
mit allen Umleitungen sowie einen Umgebungsplan
für den Magnus-Zeller-Platz. Hier
gab es mehrere Abfahrtpositionen, die für
SEV-Busse infrage gekommen wären.
Im Nordnetz fuhren alle Straßenbahnen
wie gewohnt und endeten am Hauptbahnhof.
Im Südnetz wurden die Linien 91 und
92 am Magnus-Zeller-Platz miteinander
verknüpft. Der SEV fuhr als Ringlinie vom
Hauptbahnhof ohne Halt über die Nuthestraße
zum Magnus-Zeller-Platz. Dort fand
die Verknüpfung mit der Straßenbahn in
Richtung Kirchsteigfeld und Bahnhof Rehbrücke
statt. Auf dem Rückweg zum Hauptbahnhof
bediente der SEV die stadteinwärtigen
Haltestellen in der Heinrich-Mann-Allee.
Unfreiwillige Generalprobe
Beginnen sollte die Sperrung am 17. Juli gegen
20 Uhr. Nicht wenige Potsdamer wunderten
sich im morgendlichen Berufsverkehr,
ob sie sich verlesen oder im Tag vertan
hätten. Der für den Abend angekündigte
Ersatzverkehr bestand bereits. Hintergrund
war jedoch ein Lkw, der sich in das schon
geöffnete Gleisbett „verirrt“ hatte. Das Gleis
an dieser Stelle wurde dabei derart beschädigt,
dass noch gerade die für das Nordnetz
benötigten Züge passieren konnten. Im Anschluss
daran erfolgte aufgrund mangelnder
Betriebssicherheit die sofortige Sperrung.
Leider konnten nicht sofort die erforderlichen
Busse für den SEV bereit gestellt
werden, sodass es in der Übergangsphase
zu längeren Wartezeiten kam. Für den weiteren
Verlauf jedoch erwies sich das erdachte
Konzept als gleichermaßen fahrgastfreundlich
und betriebssicher.
Den Fahrgast an die Hand genommen!
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Auch in den Wagen wurden die Fahrgäste vorbildlich informiert. Foto: Benjamin Karl |
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An beiden Endpunkten des SEV wurden
die Fahrgäste durch erkennbares Personal
in Empfang genommen und auf den richtigen
Weg geleitet. Ebenso gab es auffällig
platzierte Aufsteller mit den wichtigsten
Informationen. Die veränderten Fahrpläne
(einschließlich der des SEV!) waren in der
VBB-Fahrinfo abrufbar. Die Beschilderungen
der Fahrzeuge stimmten überein mit
jenen aus dem Flyer und fügten sich zu
einer Wegeleitkette zusammen, die auch
ohne Fahrgastabitur leicht verständlich ist!
Die Anschlüsse von und zum SEV wurden
jeweils abgewartet, und zwar auch so, dass
langsame Menschen eine Chance hatten.
Paralleluniversum Potsdam?
Nicht nur bei der Organisation von Bauzuständen
fallen Details auf, die aus Potsdamer
Sicht Fragen nach der tatsächlichen
Stellung des Berliner ÖPNV aufwerfen.
So fahren die neusten Straßenbahnen in
Berlin mit inzwischen über 15 Jahre alten
Fahrkartenautomaten durch die Gegend.
Geldscheinannahme, VBB-Sortiment? Fehlanzeige!
In Potsdam ist nun die dritte Generation
Fahrkartenautomaten in Betrieb, die
all das und sogar eine Zahlung mit EC-Karte
möglich macht. Seit Jahren sind in Potsdam
ebenso Fahrkartenautomaten in Bussen
Standard. Hingegen werden der BVG Gelder
für Verspätungen gekürzt, während
die Busse ausgerechnet wegen des Fahrkartenverkaufs
beim Fahrer nicht von der
Haltestelle loskommen. Als in Berlin medienwirksam
die große Beschleunigung der
Straßenbahn angekündigt wurde, war die
Bevorrechtigung an allen Ampeln in Potsdam
bereits Grundausstattung.
Warum bisher offensichtlich kein oder nur
wenig Wissenstransfer stattfand, bleibt ein
Rätsel, Ideen für Verbesserungen gab es in
der Vergangenheit genug! Und anders als in
der Schule ist hier abgucken erlaubt! (bk) DBV Potsdam-Mittelmark
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