Berlin - Siemens - S-Bahn. Diese drei Namen
bildeten über Jahrzehnte einen engen
Zusammenhang. Berlin war Wiege und Zentrum
der deutschen Elektroindustrie. Für
Siemens, den größten Elektrokonzern, war
die Stadt lange der größte und wichtigste
Standort; die Bahn war ein wichtiger Auftraggeber.
Ab 1898 entstand auf den damals
noch nicht zu Berlin gehörenden „Nonnenwiesen"
eine neue Stadt für die Industrieanlagen
und Wohnquartiere des expandierenden
Elektrounternehmens; seit 1914 heißt
sie offiziell „Siemensstadt". Gebaut wurden
auch Straßen, eine eigene Werkbahn und
ein Hafen. Weitblickend kaufte Siemens bis
1911 zusätzliche Flächen, die die Expansion
der verschiedenen Betriebszweige bis nach
Gartenfeld hin sichern sollten.
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Titel einer Festschrift zur Eröffnung der Siemensbahn im Dezember 1929. Sammlung Sigurd Hilkenbach |
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1928 hatte die Firma am neuen Standort,
der 1920 Teil Groß-Berlins geworden war,
rund 60 000 Mitarbeiter - und sie wuchs
weiter. Schon Mitte der 20er Jahre war
klar geworden, daß die Siemensstadt eine
leistungsfähige und direkte verkehrliche
Erschließung braucht. Mit dem Haltepunkt
Siemensstadt-Fürstenbrunn an der Strecke
Jungfernheide—Spandau konnten die Spitzenbelastungen
im Berufsverkehr nicht mehr
bewältigt werden. Siemens und Deutsche
Reichsbahn verständigten sich auf den Bau
einer S-Bahn-Strecke vom Bahnhof Jungfernheide
nach Gartenfeld.
Am 13. Dezember 1929 wurde im Beisein
der Spitzen von Siemens und DR, Dr. Carl
Friedrich von Siemens und Dr. Julius Dorpmüller,
die Siemensbahn nach rund zwei Jahren
Bauzeit feierlich der Presse vorgestellt,
am 18. Dezember wurde sie dem Verkehr
übergeben. Für rund 25 000 Mitarbeiter der
Firma Siemens sollte die Bahn den Berufsverkehr
deutlich verbessern.
Der Bau der Siemensbahn war aufwendig,
er erforderte wegen zum Teil schlechter
Tragfähigkeit des Bodens besondere Gründungsverfahren.
Um die bereits vielfältigen
Funktionen der Siemensstadt einschließlich
der Fabriken nicht zu stören, mußte die
Strecke überwiegend auf einem Damm und
über mehrere hundert Meter sogar auf einem
stählernen Viadukt nach Vorbild der
Hochbahn geführt werden. Drei Bahnhöfe
erschlossen die Siemensstadt. Am Bahnhof
Jungfernheide entstand ein dritter Bahnsteig,
um den optimalen Übergang auf die Ringbahn
zu gewährleisten. Eine Weiterführung
über Gartenfeld hinaus über die Havel war
zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen.
Moderne Bauverfahren, eine Ausführung
als reine Nahverkehrsstrecke und die private
Bauherrenschaft - all dies machte die Strecke
besonders modern. Der Einsatz privaten
Kapitals bei einer öffentlichen Investition,
heute würde man vom PPP-Modell sprechen
(public-private-partnership), ist angesichts
knapper öffentlicher Gelder auch jetzt wieder
für so manches Projekt die einzige Realisierungschance.
Alle Anlagen waren von der Siemens-Bauunion
errichtet worden. Die Baukosten der
rund 4,5 Kilometer langen Strecke betrugen
15 Mio. Reichsmark (RM). Nach der Fertigstellung
übernahm die DR die Anlagen für
den Betrieb. Als Ausgleich für die zu erwartenden
Gewinne aus den Fahrgeldeinnahmen
zahlte sie einmalig 3 Mio. RM an
Siemens.
Der Grundfahrplan sah eine Zugfolge von
10 bzw. 20 Minuten zwischen Gartenfeld
und Jungfernheide vor. Im Berufsverkehr
wurden weitere Züge vom Nordring auf die
Strecke geführt, so daß sich ein 5-Minuten-Takt ergab.
Mit Ausnahme kriegsbedingter Unterbrechungen
war die Siemensbahn bis zum
September 1980 in Betrieb, auch wenn sie
vom allgemeinen Niedergang der S-Bahn in
Berlin (West) ebenso betroffen war wie vom
schleichenden Abbau des Industriestandortes
Siemensstadt.
Hat die Siemensbahn eine Zukunft?
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S-Bahnhof Siemensstadt einige Jahre nach der Stillegung der Siemensbahn 1980. Foto: Sammlung S-Bahn-Museum |
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Nach rund 50 Jahren Betrieb legte die DR
die Siemensbahn im September 1980 still.
Seitdem sind die Gleise überwuchert, die
baulichen Anlagen zerstört oder verfallen.
Durch den Abriß der Spreebrücke als Folge
des Wasserstraßenausbaus besteht kein Anschluß
mehr an das übrige S-Bahn-Netz.
Im Flächennutzungsplan der Stadt Berlin
ist die Strecke weiterhin enthalten. Mehr
noch: Der Plan zeigt sogar eine Verlängerung
zur Wasserstadt Oberhavel und weiter
nach Hakenfelde mit einer Untertunnelung
der Havel. Andere glauben demgegenüber
an eine Zukunft der Strecke nach der Schließung
des Flughafens Tegel. Ist das alles ernst
zu nehmen? Wenn überhaupt, dann wohl
nur sehr langfristig.
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S-Bahnhof Wernerwerk 1984 mit Siemensbauten aus den 20er Jahren (Architekt Hans Hertlein). Foto: Udo Dittfurth |
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Zwei der drei Bahnhöfe der Siemensbahn
sind in ihrer Erschließungsfunktion seit 1980
durch die Stationen der damals vom Richard-Wagner-Platz zum Rohrdamm verlängerten
U-Bahn-Linie U 7 ersetzt worden. Kapazitätsengpässe
gibt es auf diesem U-Bahn-Abschnitt
bekanntlich nicht. Bleibt Gartenfeld
- doch dieser Bahnhof alleine rechtfertigt
noch keine Wiederherstellung der Siemensbahn,
zumal die Industriearbeitsplätze der
Firma Siemens immer weniger werden. Auch
andere Nutzungen im Umfeld sind nicht in
Sicht. Berlin wächst nicht mehr, alle Bemühungen,
die Wasserstadt Oberhavel zu entwickeln,
verlaufen zäh, die städtebaulichen
Ziele konzentrieren sich vielfach nur noch auf
Einfamilienhäuser - uninteressant für eine
S-Bahn.
Nach der für das zweite Jahrzehnt des
21. Jahrhunderts geplanten Aufgabe des
Flughafens Tegel wird es in Berlin noch eine
weitere riesige, eigentlich nicht erforderliche
Entwicklungsfläche geben. Wenn man
das Gebiet nicht einfach wieder aufforsten,
sondern baulich nutzen will, bietet sich eine
Verlängerung der U 7 vom U-Bahnhof Jungfernheide
viel eher an als eine Widerbelebung
der Siemensbahn. Die Verzweigung
der U 7 hätte man übrigens schon viel früher
realisieren und dem Flughafen eine direkte
U-Bahn-Anbindung in die West-City geben
können, da am U-Bahnhof Jungfernheide
erhebliche Vorleistungen erbracht wurden,
konzipiert für die U-5-Verlängerung vom
Alexanderplatz über Moabit und zum Flughafen
Tegel.
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Lageplan der Siemensbahn 1929. Sammlung Sigurd Hilkenbach |
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Mit etwas Fantasie ließe sich aber auch
eine Straßenbahnlinie, etwa vom Lehrter
Bahnhof über Turmstraße und Jungfernheide
(statt einer U-5-Verlängerung) durch die
Siemensstadt und über den nördlichen Teil
der Siemensbahn bis in die Wasserstadt und
von dort Richtung Spandauer Innenstadt
denken. Natürlich wäre auch das ein sehr
langfristiges Projekt.
Fazit: Die Siemensbahn ist ein wichtiges
Stück Industrie- und Eisenbahngeschichte
Berlins. Aber es gibt Projekte im Schnellbahn-Bereich, die für eine Stadt- und umweltverträgliche
Verkehrsentwicklung Berlins zur
Zeit sehr viel wichtiger sind.
Weiteres zur Geschichte und zum Zustand
der Siemensbahn finden Sie im Internet unter
www.stillgelegte-s-bahn.de Udo Dittfurth
Berliner S-Bahn-Museum
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