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Ende des 19. Jahrhunderts vollzog das Deutsche
Reich unter seinem vergleichsweise
jungen Kaiser Wilhelm II. eine außenpolitische
Neubestimmung. Für das Reich wurde
„ein Platz an der Sonne" beansprucht,
Deutschland suchte wirtschaftlich und politisch
nach Weltgeltung. Ausbau der Handels-
und Kriegsflotte, Erwerb von Kolonien,
Suche nach Bündnis- und Handelspartnern
standen auf der Tagesordnung. Das Osmanische
Reich, das damals die Türkei und
den gesamten vorderen Orient umfaßte,
geriet ins Blickfeld deutscher Politik. Die
Sultane suchten nach Wegen, ihr labiles
Vielvölkerreich zusammenzuhalten und zu
entwickeln. Deutschland interessierte sich
für Absatzmärkte deutscher Produkte, Handelswege
und schon für das Öl. Das Ziel der
osmanischen Regierung, durch zwei Eisenbahnstrecken
das große Land besser zu erschließen
und notfalls auch militärisch
gegen den sich regenden
arabischen Nationalismus besser
im Griff zu halten, fand bei der
deutschen Eisenbahnindustrie,
deutschen Banken und der Regierung
wohlwollendes Interesse.
So konnte deutsche Gründlichkeit
demonstriert und Geld verdient
werden.
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Station (Typenbau) auf der Hedjazbahn, fotografiert um 2000. Foto: Archiv DB-Museum |
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Den rivalisierenden Mächten
Großbritannien und Rußland, die
ihre kolonialen und wirtschaftlichen
Interessen im Nahen Osten
gefährdet sahen und eher an einer
Schwächung des Osmanischen Reichs
interessiert waren, gefiel diese Entwicklung
dagegen überhaupt nicht. Der Bau der
Bagdadbahn aus der inneren Türkei Richtung
Bagdad und der Hedjazbahn über das heutige
Syrien und Jordanien bis nach Medina
wurde so ein weiterer Schritt auf dem Weg
zum Ersten Weltkrieg. Viele der damaligen
politischen und wirtschaftlichen Hintergründe
erscheinen erschreckend aktuell.
Die Bahnstrecken selbst, durch Wüsten
und Gebirge unter schwierigsten Bedingungen
vorangetrieben, verlangten das Äußerste
von Arbeitern und Material. Die Ingenieure
standen vor großen Herausforderungen in
einem Teil der Erde, wo es zu wenig Wasser
und keine Industrie für die Herstellung von
Schienen und Brücken gab.
Die vom DB Museum Nürnberg gestaltete
Ausstellung zeigt in so umfangreicher wie
anschaulicher Form die Hintergründe des
Baues, die technischen Lösungen und das
Schicksal, das die Bahnen nahmen. Nicht
nur der Eisenbahnfreund kommt auf seine
Kosten. Das ethnologische und archäologische
Umfeld des Bahnbaues - arabische
Lebenskultur und antike Ausgrabungsfunde
- werden ebenso anschaulich demonstriert
wie Lokomotivmodelle, Fotos vom Bau oder
Pläne der Bahnhöfe. Auch der britische Offizier
T. E. Lawrence, der im Ersten Weltkrieg
die Hedjazbahn angriff und die Araber zum
Aufstand gegen die türkische Vorherrschaft
aufwiegelte, wird nicht vergessen.
Kurz: So wie diese Ausstellung sollte jede
Präsentation zur Bahngeschichte sein: Technik,
Betrieb und gesellschaftliche Hintergründe
miteinander verbindend. Udo Dittfurth, Berliner S-Bahn-Museum
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