Nach übereinstimmenden Berichten der
Westdeutschen Allgemeinen Zeitung
und heise.de plant der Verkehrsverbund
Rhein-Ruhr (VRR) die nächste Ausbaustufe
seines E-Ticket-Systems. Das vom Verband
Deutscher Verkehrsunternehmen
(VDV) entwickelte und von der VDV-Kernapplikations
GmbH & Co. KG betriebene
E-Ticket befindet sich auch im Verkehrsverbund
Berlin-Brandenburg (VBB) in der
Einführungsphase.
Die Planungen des VRR geben einen
Vorgeschmack auf die zukünftige Entwicklung
in Berlin und Brandenburg.
Lückenlose elektronische Erfassung
Der VRR plant in der nächsten Ausbaustufe
des E-Tickets die Erfassung von ca. 1,4
Millionen Zeitkarteninhabern an Check-In/Check-Out-Terminals in den Bussen
und Bahnen. Die bis jetzt übliche Sichtkontrolle
durch das Fahrtpersonal würde
damit entfallen. Zudem sollen die Einsatzplanung
für Busse und Bahnen verbessert
und gezielt Kundeninformationen übermittelt
werden. Was im ersten Moment
nach einer Verbesserung klingt, entpuppt
sich schnell als Trojanisches Pferd mit gravierenden
Folgen für die Fahrgäste.
Verspätungen und technische Probleme
Die bessere Planung bei den einzelnen
Strecken stellt sich schnell als Scheinargument
heraus, da es schon jetzt bessere
Möglichkeiten gibt, den Bedarf zu ermitteln.
Zudem wäre eine genaue Ermittlung
der Fahrgastzahlen auch ohne die gezielte
Speicherung jedes einzelnen Kunden
möglich. Nach den bisherigen Erfahrungen
führen solche Untersuchungen eher
zu Streckenstreichungen oder längeren
Taktfrequenzen. Ein Mehrbedarf wird
meist unter Verweis auf die Kosten nicht
berücksichtigt.
Als Folge des Erfassungsprozesses ist
mit einer gravierenden Zunahme von
Verspätungen zu rechnen. Vor allem im
Berufsverkehr besteht die Gefahr von langen
Wartezeiten beim Ein- und Ausstieg.
Die aktuellen Fahrzeiten sind unter diesen
Umständen wohl kaum zu halten.
Ein ebenso schwerwiegendes Problem
besteht bei technischen Problemen von
Lesegeräten und Chipkarten. Die BVG hatte
erst kürzlich mit fast 15 000 fehlerhaften
Kundenkarten zu kämpfen – ein Umstand,
den die Kunden zu keiner Zeit zu vertreten
hatten. Dennoch waren sie der Gefahr ausgesetzt,
als Schwarzfahrer klassifiziert zu
werden. Nach Jahren der Planung und unzähligen
Millionen an Kunden-/Steuergeldern
war das ein peinlicher Vorfall – und
vermutlich nicht der letzte.
Am Ende Fahrpreiserhöhungen
Das Hauptaugenmerk bei der Einführung
des E-Tickets scheint auf der Umstellung
des Fahrgeldmanagements zu liegen.
Letztlich ist die elektronische Erfassung
jeder einzelnen Teilstrecke nur unter diesem
Gesichtspunkt wirklich notwendig. In
Zukunft soll der Fahrgast nur noch für die
tatsächlich gefahrene Strecke und/oder
Zeit bezahlen. Das klingt vor allem für
Gelegenheitsfahrer verlockend. Am Ende
wird es aber mit hoher Wahrscheinlichkeit
für alle teurer.
Bei der Umstellung auf eine streckengenaue
Abrechnung wird sich die Preisanpassung
kaum bemerkbar machen. Es
wird sich lediglich um wenige Cent pro
gefahrener Strecke handeln. Für die Verkehrsunternehmen
dürfte am Ende dennoch
eine saftige Einnahmesteigerung
herausspringen. Das Phänomen ist aus
der Lebensmittelindustrie bekannt und
bewährt: kleinere Packungen zu deutlich
höheren Preisen.
Datenschutzalptraum – Bewegungsprofil
Der VRR verweist auf die Notwendigkeit,
die anfallenden Fahrgastdaten personengenau
zu speichern und auszuwerten.
Eine anonymisierte Speicherung soll die
vorgetragenen Datenschutzbedenken
ausräumen. Letztlich ist das aber nichts als
Augenwischerei. Entsprechende Informationen
lassen sich sowohl den Unterlagen
zum E-Ticket und der VDV-Kernapplikation
als auch der VBB-Stellungnahme zum
Thema Fahrcard (siehe SIGNAL 6/2013 )
entnehmen.
Alle Chipkarten verfügen über eine ID,
welche bei jeder Transaktion (z. B. Kontrolle,
Check-In/Check-Out) mit gespeichert
wird. Die ID ist dem entsprechenden Kunden
zugeordnet und ist Teil des Kundenprofils
beim Verkehrsunternehmen. Diese
Zusammenführung der Daten ist schon
wegen möglicher Kartenverluste und
Sperrungen unausweichlich. Analog zu IP-Adressen
handelt es sich auch bei dieser
ID um personenbezogene Daten, da sie
an einer Stelle im System einer bestimmten
Person zugeordnet werden kann. Die
Gültigkeit einer solchen Chipkarte kann
mehrere Jahre betragen und unzählige
Datensätze mit Streckeninformationen,
Datum und Uhrzeit erzeugen.
Themen wie Anreicherung von Daten
und Datamining sind in der heutigen Zeit
keine Fremdwörter mehr. Erreicht man
ein gewisses Volumen an Daten, so lässt
sich der gesamte Tagesablauf einer Person
rekonstruieren. Bis die Verkehrsunternehmen
– wie bereits heute Telefondienstanbieter
– zu einer Vorratsdatenspeicherung
verpflichtet werden, ist dann nur eine Frage
der Zeit.
Sieht man sich die Spezifikationen der
VDV-Kernapplikation genauer an, so ist
eine Unmenge an Datenfeldern vorgesehen
bzw. schon implementiert. Das Potenzial
des E-Tickets und der Applikation ist
beachtlich, die Gefahren sind es aber auch.
Unter Verweis auf die Diskussionen zur
Vorratsdatenspeicherung und zur Pkw-
Maut (Daten für Strafermittlungen) lässt
sich feststellen, dass der Diskurs zum E-Ticket
bisher recht verhalten ist. Auffällig
ist die Salamitaktik, mit der Verbünde und
Verkehrsunternehmen das System einführen
und Informationen preisgeben. So verstärkt
sich der Eindruck, dass die Zweifel
und Befürchtungen nicht unbegründet
sind. Dem Image des öffentlichen Nahverkehrs
und der Kundenzufriedenheit sind
solche Aussichten alles andere als zuträglich.
Wie weit die Reise geht und welche Einsatzmöglichkeiten
noch erwogen werden,
ist nicht abzusehen. Berliner Fahrgastverband IGEB
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