|
1. Verkehrswirtschaftliche und technologiepolitische
Aspekte sind zu trennen.
Bei der Diskussion um die Magnetschnellbahnstrecke Hamburg - Berlin
werden häufig verkehrswirtschaftliche und technologiepolitische
Argumente vermischt. Auch das "Finanzierungskonzept" der
Magnetschnellbahn Berlin - Hamburg GmbH vom Dezember 1993 für
diese Referenzstrecke enthält in seiner "Zusammenfassung" eine
Auflistung der technologischen, industriepolitischen und
exportbezogenen Perspektien. Auf diese Aspekte wird im folgenden
nicht eingegangen. Auch bleiben einige weniger wichtige Einzelheiten
des Finanzierungskonzeptes, die aus wissenschaftlicher Sicht
angreifbar sind (z.B. geschätzte Beschäftigungseffekte, Steuerpräferenzen),
außerhalb der Betrachtung. Auch geht es dem Beirat nicht darum, die
Einführung innovativer Verkehrstechnologien in Frage zu stellen.
Er verkennt nicht, daß hierzu Mut und Risikobereitschaft
erforderlich sind.
Die folgende Stellungnahme bezieht sich vielmehr ausschließlich
auf den verkehrswirtschaftlichen Teil des Finanzierungskonzeptes.
Sie hat zum Ziel, vorhandene Schwachstellen aufzuzeigen und Risiken
offenzulegen, die auf den Verkehrshaushalt zukommen können, obwohl
sie aus verkehrswirtschaftlichen Gründen nicht eingegangen werden müßten.
2. Die in dem Betreibermodell durchgeführten
Wirtschaftlichkeitsberechnungen basieren auf unrealistischen Annahmen.
|
Weder ICE noch Pendolino wurden als Alternative zum Transrapid geprüft, kritisiert der "Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr" und schreibt: "So könnte mit einer Hochgeschwindigkeitsstrecke über Boizenburg und Wittenberge gleichfalls ein hoher Verkehrswert erzielt werden (geschätzte Fahrtzeit: 82 Minuten, also rund 20 Minuten mehr als mit der Magnetbahn; Haltepunkt Lehrter Bahnhof statt Westkreuz; geschätzte Investitionskosten: 2,4 Mrd. DM)." "Auch ein Neigetechnik-Zug [könnte] bei punktuellem Ausbau der Strecke mit einem Investitionsvolumen von etwa 1,5 Mrd. DM die Verbindung Hamburg - Berlin in rund 90 Minuten bewältigen und so einen Nachfragezuwachs bewirken, der je Einheit einen weit geringeren Einsatz erfordert." Foto: Thomas Billik |
|
Foto: Thomas Billik |
|
Nachfrageprognosen, Erlösschätzungen, Kalkulation der Investitions- und
der Betriebskosten basieren auf idealen Randbedingungen.
Ergebnisabschätzungen unter realistischen Voraussetzungen sind
im Finanzierungskonzept ebensowenig aufgeführt wie solche für den
pessimistischen Fall. Die Wirtschaftlichkeits- und Finanzierungsrechnungen
weisen darüber hinaus eine wesentliche Lücke auf (vgl. Ziffer 7),
durch die eine angemessene Rentabilität für den Betreiber bei
niedrigen staatlichen Verpflichtungen ausgewiesen wird, obwohl
unter realistischen Voraussetzungen kaum die Zahlungen eines
größeren Fahrwegbeitrages erwartet werden kann. Der wirtschaftliche
Grundsatz, eine wichtige Investitionsentscheidung auf einen
Vergleich denkbarer Alternativen zu gründen, wurde ebenfalls nicht beachtet.
3. Die für Ostdeutschland und Berlin zugrunde gelegten
Entwicklungszahlen sind Zielprognosen, deren Eintreffen wenig
wahrscheinlich ist.
Die Prognosen zum Verkehrsaufkommen einer Magnetschnellbahn basieren
auf den Randbedingungen der Bundesverkehrswegeplanung von 1992. Die
Entwicklungszahlen für Bevölkerung und Wirtschaft in Ostdeutschland
einschließlich Berlin sind durch das politische Ziel: "Angleichung
der ökonomischen Lebensbedingungen in Ostdeutschland bis zum Jahr
2010 an die Verhältnisse in Westdeutschland" maßgeblich bestimmt,
wobei für Westdeutschland eine durchschnittliche jährliche
Veränderungsrate des realen Bruttoinlandsproduktes von 2,3 % angenommen
wurde. Die Großregion Berlin wurde als Wachstumspol mit einer
überdurchschnittlichen Wirtschaftsdynamik und einem Bevölkerungsanstieg
von 4,2 auf 4,9 Mill. Einwohner definiert. Angesichts der realen
Entwicklung sind dies außerordentlich optimistische Perspektiven.
Es ist sicherlich zu rechtfertigen, staatliche Planungen auf solche
Zielprognosen zu begründen, um mit Hilfe von Infrastrukturinvestitionen
den Wachstumsprozeß in den jungen Ländern zu beschleunigen. Keinesfalls
wird man jedoch ein Privatfinanzierungskonzept für die Magnetschnellbahn
auf solchen politischen Wunschentwicklungen aufbauen können. Wenn
dies dennoch getan wird, liegt die Vermutung nahe, daß die beteiligte
Wirtschaft mit der Möglichkeit einer höheren Staatsbeteiligung
rechnet, als im Finanzierungskonzept ausgewiesen.
4. Die Zahlen zum Fahrgastaufkommen einer Magnetschnellbahn
entstammen einer inkonsistenten Kombination von "Bestfall-Annahmen".
Die Verkehrszahlen zur Abschätzung der Erlöse wurden
einem gutachterlich bearbeiteten Planfall entnommen, der das
Nachfragepotential einer Magnetschnellbahn unter idealen Voraussetzungen
für die Erreichbarkeit der Magnetbahn-Haltepunkte und deren Verknüpfung
mit Einrichtungen des Nah- und Fernverkehrs für das Jahr 2010 projiziert.
Der im Finanzierungskonzept beschriebene Planungsfall mit fünf
Haltepunkten ist regionalpolitisch optimiert worden, um einen Haltepunkt
in Mecklenburg-Vorpommern anzubieten und um realistischere Voraussetzungen
für die Pkw-Erreichbarkeit zu schaffen. Die naheliegende und auch
gutachterlich belegte Konsequenz, daß der neu gebildete Planungsfall
mit einer deutlich schlechteren Nachfrageerschließung verbunden ist,
wurde nicht berücksichtigt.
5. Die Erlösrechnung basiert auf einer unzulässigen Verknüpfung
von Preis und Absatz.
Die gutachterlich unter idealen Voraussetzungen ermittelte
Erlösobergrenze für das ausgewiesene Nachfragepotential von
14,5 Millionen Fahrten liegt bei durchschnittlich 27 Pfennig/Personenkilometer
für die Magnetbahnfahrt, einschließlich Mehrwertsteuer. Hierbei ist
eine Monopolsituation im spurgeführten Verkehr angenommen worden
(einzige Alternative: InterRegio Hamburg - Berlin im 2-Stunden-Takt),
so daß bei entsprechender Preisdifferenzierung deutlich über 95 % des
spurgeführten Verkehrs auf der Magnetbahnstrecke lägen. Die DB AG hat
diese Schätzung als zu optimistisch charakterisiert und geht von 23 Pf/Pkm
einschließlich Mehrwertsteuer aus. Im Finanzierungskonzept wurden dagegen
28 Pf/Pkm zuzüglich Mehrwersteuer in die Rechnung eingestellt.
Dieser Erlössatz von brutto 32,2 Pf/Pkm wurde mit der Nachfrage von
14,5 Millionen Fahrten verknüpft. Dies ist unzulässig, da in einem
Gutachten zur Erlösprognose gezeigt wurde, daß bei diesem hohen Tarif
nur noch eine Nachfrage von 12,2 Millionen Fahrten zu erwarten wäre.
Eine Altemativrechnung mit dem von der DB AG (als der vorgesehenen
Betreibergesellschaft) für realistisch gehaltenen Erlössatz oder mit
einem Erlössatz für eine Wettbewerbssituation im spurgebundenen
Verkehr wurde im Finanzierungskonzept nicht aufgeführt.
6. Zu erwartende Zusatzkosten, unter anderem für eine
realisierbare Trassierung im Berliner Raum, wurden nicht berücksichtigt.
Um die für ein hochwertiges Magnetschnellbahnsystem kalkulierten
Reisezeitgewinne erreichen zu können, sind umfangreiche und zum Teil
sehr aufwendige Zusatzinvestitionen erforderlich. Solche
Zusatzinvestitionen an den Haltepunkten wurden nicht berücksichtigt.
Einrichtungen für betriebliche Zwecke, wie Betriebshöfe oder
Ausweichstellen, erscheinen stark unterkalkuliert. Auch bestehen
erhebliche Zweifel, ob die vorgesehene oberirdische Trassierung im
Berliner Raum möglich ist. Durch das Ausklammem derart umfangreicher
Kostenfaktoren ist das Finanzierungskonzept unvollständig.
7. Die Wirtschaftlichkeitsberechnung wurde nicht netz-, sondern
strecken bezogen durchgeführt.
Da die DBAG als Betreiber vorgesehen ist, wäre eine konsolidierte
Beurteilung der Wirtschaftlichkeit für Magnetbahn- und Bahnbetrieb,
also unter Berücksichtigung der durch die Verlagerung des Verkehrs
von der Schiene auf die Magnetbahn entgehenden Deckungsbeiträge im Bahnnetz,
erforderlich. Im Finanzierungskonzept wurde aber der Bruttoerlös
auf der Magnetbahnstrecke der gesamten Einnahmeänderung gleichgesetzt
(Erlös bei 14,5 Millionen Fahrten im Jahr 2010 geschätzt auf ca.
1,15 Mrd. DM pro Jahr). Erlösausfälle im Netz der DB AG blieben
unberücksichtigt. Laut Prognose für den "Bestfall" sind von den
14,5 Millionen Fahrten etwa 5 Millionen von anderen Verkehrsmitteln
(Flugzeug, Pkw) verlagert, während der Rest von 9,5 Millionen sonst
die Bahn benutzt hätte (bei einem ICE-Angebot mit etwa 2 Stunden
Fahrtzeit von Hamburg nach Berlin). Bewertungsrelevant sind also nur
5 Millionen Fahrten sowie die dabei evtl, entstehenden zusätzlichen
Reiseweiten und die Zusatzerlöse durch die höhere Attraktivität der
Magnetbahn. Überschlägig erhält man in einer konsolidierten Rechnung
für den "Bestfall" unter ansonsten idealen Bedingungen nur noch etwa
ein Drittel des im Finanzierungskonzept ausgewiesenen Betrages von
310 Millionen DM, den der Betreiber jährlich für den Fahrweg abführen
kann. Unter realistischen Voraussetzungen schrumpft dann der mögliche
Fahrwegbeitrag auf einen Wert nahe Null. Berücksichtigt man ferner,
daß die DB AG auch das einzubringende Risikokapital von 300 Millionen
von ihrem Eigentümer erwarten wird, so klafft sowohl beim Haftungskapital
wie auch bei der Refinanzierung eine bedenkliche Lücke. Also muß die
öffentliche Hand damit rechnen, daß sie in weit höherem Umfang,
als im Finanzierungskonzept veranschlagt, in Anspruch genommen wird.
8. Alternativen wurden nicht geprüft.
Rationale Entscheidungen bedingen ein Abwägen zwischen Alternativen. So
könnte mit einer Hochgeschwindigkeitsstrecke über Boizenburg und
Wittenberge gleichfalls ein hoher Verkehrswert erzielt werden
(geschätzte Fahrtzeit: 82
Minuten, also rund 20 Minuten mehr als mit der Magnetbahn; Haltepunkt
Lehrter Bahnhof statt Westkreuz; geschätzte Investitionskosten:
2,4 Mrd. DM). Unter dem Druck der Rentabilitätserwartung kürzt die DB AG
gegenwärtig an vielen Stellen die früher konzipierten und zum Teil in der
Bundesverkehrswegeplanung festgehaltenen Neu- und Ausbauvorhaben. So könnte
auch ein Neigetechnik-Zug bei punktuellem Ausbau der Strecke mit einem
Investitionsvolumen von etwa 1,5 Mrd. DM die Verbindung Hamburg - Berlin
in rund 90 Minuten bewältigen und so einen Nachfragezuwachs bewirken, der
je Einheit einen weit geringeren Einsatz erfordert. Eine Prüfung solcher
Alternativen hätte deswegen nahegelegen, weil das Eisenbahnkonzept für
Berlin ("Pilz-Konzept") den zentraler gelegenen Lehrter Bahnhof als
Verknüpfungspunkt für die Fernbahnlinien vorsieht, der von ICE-Linien direkt
angefahren würde. Damit könnten ICE-Zügen den Geschwindigkeitsnachteil
gegenüber der Magnetschnellbahn zum Teil durch die bessere Zentralität
des Haltepunktes und dessen hochwertige Verknüpfung mit Einrichtungen
des Fern- und Nahverkehrs ausgleichen. Bezüglich der Wettbewerbssituation
zwischen Bahn und Magnetbahn ist zu berücksichtigen, daß die Monopolstellung
einer Magnetbahn auf der Relation Hamburg - Berlin künftig selbst dann
nicht gewährleistet ist, wenn die DB AG die Strecke betreibt. Das Ziel
der Europäischen Union, transeuropäische Strecken interoperabel zu
machen und von verschiedenen europäischen Gesellschaften gemeinsam
nutzen zu lassen, kann bei realer Umsetzung dazu fuhren, daß schwedische
oder dänische Eisenbahngesellschaften Fahrplantrassen auf der vorhandenen
Strecke Hamburg - Berlin von der Fahrweg AG anmieten und als
Konkurrenten zur Magnetbahn mit günstigeren Preisen und besserem
Komfort für den durchgebundenen Verkehr auf der europäischen Relation
von Stockholm nach Prag Marktanteile auf sich ziehen. Das
Durchdenken solcher Alternativen ist bei einer Investition von mindestens
9 Mrd. DM dringend geboten.
9. Konsequenzen
Die Verpflichtung des Bundes aus einer Realisierung der
Magnetschnellbahnstrecke Hamburg - Berlin wird nach den Erkenntnissen
des Beirats wesentlich höher ausfallen, als im Finanzierungskonzept
ausgewiesen. Eine Investitionsförderung durch den Verkehrshaushalt
des Bundes sollte aber das Volumen nicht überschreiten, das bei einer
alternativen Bahninvestition mit optimaler verkehrswirtschaftlicher
Auslegung anfiele. Darüber hinausgehende staatliche Beteiligungen, die
aus industriepolitischen Gründen für notwendig gehalten werden,
sollten nicht aus dem Haushalt des Verkehrsressorts finanziert werden.
Ansonsten würden andere wichtige Verkehrsprojekte, die wesentlich
bessere Rentabilitäten und verkehrswirtschaftliche Nutzen versprechen,
verdrängt oder zeitlich aufgeschoben, so zum Beispiel Projekte aus dem
Investitionsprogramm deutsche Einheit". Im Hinblick auf die
industriepolitischen Aspekte des Magnetschnellbahn- Projekts vermißt
der Beirat allerdings Aussagen zu den Weltmarktchancen und den international
ausgerichteten konzeptionellen Vorstellungen einer Integration dieses
Systems in die vorhandenen Verkehrsinfrastrukturen.
Insgesamt bewertet der Wissenschaftliche Beirat das Finanzierungskonzept
als Fortschritt gegenüber den zuvor entwickelten
"Privat-Finanzierungsmodellen. Die Risikobeteiligung der Industrie und
der Kreditinstitute ist jedoch noch unbefriedigend. Wenn die Industrie
von der Weltmarktfähigkeit des Magnetbahnprodukts überzeugt ist, so darf
man von ihr eine höhere Risikobereitschaft erwarten, zumal sie durch das
Projekt nach eigenem Bekunden einen entscheidenden Schritt in Richtung auf
die Erschließung internationaler Märktevorankäme. Außerdem sollte ein
Betreiber- und Finanzierungsmodell nicht vom vorgesehenen Betreiber
abstrahieren, indem es die Rückwirkungen auf dessen konsolidierte
Erfolgsrechnung ignoriert. Ansonsten erscheint die entwickelte Struktur
einer privat/öffentlichen Mischfinanzierung als geeignetes Modell für
Verkehrsinvestitionen mit großem Finanzierungsvolumen, so daß deren
Weiterentwicklung angeregt wird.
Prof. Dr. G. Aberle, Gießen (Vorsitzender)
Prof. Dr. H. Baum, Köln
Prof. Dr. H. Diederich, Mainz
Prof. Dr. H.-J. Ewers, Münster
Prof. Dr. R. Funck, Karlsruhe
Prof. Dr. G. B. Ihde, Mannheim
Prof. Dr. H. Jürgensen, Hamburg
Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing.e.h. W. Leutzbach
Prof. Dr. R. Mackensen, Berlin
Prof. Dr. Dr.h.c.mult. P. Riebel, Kronberg
Prof. Dr. W. Rothengatter, Karlsruhe
Prof. Dr. H. St. Seidenfus, Münster
Prof. Dr. R. Willeke, Köln
8. Februar 1994 Wissenschaftlicher Beirat beim
Bundesminister für Verkehr - Gruppe Verkehrswirtschaft
|