Ist der Bundesregierung bekannt, daß am 23. Mai 1990 die erste
innerdeutsche Schienenlücke zwischen Ahrenshausen und Eichenberg
geschlossen wurde, der im November 1990 die 24 km lange Werratal-Bahn
(inklusive der denkmalgeschützten 12-Felder-Brücke), im November
1991 die Lücke zwischen Coburg und Neustadt (inklusive Elektrifizierung)
und die zwischen Meirichstadt und Rentwertshausen für die Verbindung
Berlin - Stuttgart - Rom folgten? Wenn ja, wie war das möglich?
Welche günstigen Umstände vielten dabei eine große Rolle?
Welche Schwierigkeiten mußten überbrückt werden?
Ja. Mit dem am 3. Mai 1990 beschlossenen Lückenschlußprogramm wurden
entsprechende Maßnahmen festgelegt, mit denen die Verbindungen der
Eisenbahnnetze der ehemaligen Deutschen Bundesbahn und Deutschen Reichsbahn
schnellstmöglichst verbessert werden sollten und unterbrochene Verbindungen
der Berliner S-Bahn wieder aufgenommen werden konnten. Dazu gehörten
auch die in der Frage genannten Schienenverbindungen.
Dem Lückenschluß Eichenberg - Ahrenshausen kommt eine besondere Rolle
zu, da es sich hierbei um eine Sofortmaßnahme handelte, bei der
zunächst nur eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit hergestellt wurde.
Der weitere Ausbau - u.a. zweigleisig und elektrifiziert - wird auf
dem Standard des Gesamtnetzes erfolgen und die üblichen Realisierungszeiten
für eine Regelstrecke benötigen.
Die Umsetzung der damaligen Lückenschlußentscheidung geschah zunächst
provisorisch unter Berücksichtigung der vorhandenen Gegebenheiten.
Die Einbeziehung von teilweise noch vorhandener Infrastruktur begünstigte
die schnelle Wiederherstellung der Befahrbarkeit. Der Regelstandard für
Eisenbahnstrecken wird jetzt im Rahmen der laufenden Ausbauarbeiten in
vollem Umfang hergestellt.
Wie bewertet die Bundesregierung - vor allem auf dem Hintergrund,
daß sich der Senat von Berlin
gerne als Motor der Deutschen Einheit begreift
- die Tatsache, daß die erste innerstädtische Schienenlücke in Berlin
erst dreieinhalb Jahre nach der ersten innerdeutschen Schienenlücke
geschlossen wurde, wenn vom Einbau einer Weiche am S-Bahnhof Friedrichstraße
abgesehen werden kann, - vor allem auf dem Hintergrund, daß es sich
lediglich um eine Lücke von 800 m für den S-Bahn- Verkehr zwischen
Wannsee und Potsdam handelte?
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"Vollring über Ostkreuz", fotografiert 1993. Doch bis dieser Traum Wirklichkeit wird, werden noch viele Jahre vergehen. Sämtliche Lückenschlüsse "sollen im Jahr 2000 abgeschlossen sein", verspricht die Bundesregierung. Es ist zu befürchten, daß auch der so dringliche Ring nicht vor diesem Jahr geschlossen wird. Foto: Mario Lange |
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Unmittelbar nach dem Beschluß des Lückenschlußprogramms im Mai 1990 wurde
mit den Planungen und ersten Baumaßnahmen für die wichtigsten Lückenschlüsse
im geteilten Berliner S-Bahn-Netz begonnen. Nach der Wiederherstellung des
durchgängigen Betriebes auf der Stadtbahn im Juli 1990 und der Inbetriebnahme
der zunächst provisorischen Verknüpfung an der Station Bornholmer Straße
im August 1991 wurde im März 1992 - das war 22 Monate nach dem Lückenschluß
zwischen Ahrenshausen und Eichenberg - der Nord-Süd-S-Bahn-Tunnel zwischen
Anhalter Bahnhof und Humboldthain (5,0 km) nach einer umfassenden
Grunderneuerung mit Beseitigung von Kriegsschäden nach zeitweiliger
Totalsperrung wiedereröffnet. Es folgten:
- April 1992: Wannsee-Potsdam Stadt (9,0 km);
- Mai '92: Frohnau - Hohen Neuendorf (4,0 km);
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Aug. '92: Lichtenrade - Blankenfelde (5,7 km);
- Dez. '93: Baumschulenweg - Neukölln (3,3 km) gemeinsam mit der
Wiederinbetriebnahme des Südrings von Neukölln bis Westend (17,6 km).
Die Bauzeiten ergeben sich insbesondere daraus, daß die Maßnahmen des
Lückenschlußprogrammes der S-Bahn von Charakter und Umfang einem Neubau
gleichkommen, für den es keinen entsprechenden Planungsvorlauf gab. Neben
dem Wiederaufbau abgetragener Bahndämme und Gleise im ehemaligen Grenzbereich
mußten die infolge des 30-jährigen Verfalles weitgehend unbrauchbar
gewordenen Brückenbauwerke, Gleise, Signal- und Fernmeldeanlagen, die
Bahnstromversorgung sowie Stationsanlagen auf den gesamten stillgelegten
Streckenabschnitten vollständig neu errichtet werden.
Ist die Bundesregierung bestrebt, nachdem sie seit dem 1. Januar 1994
wieder die Verantwortung für das gesamte S-Bahn-Netz in Berlin und
Brandenburg trägt, für die Wiederherstellung des gesamten S-Bahn-Netzes
im Status quo ante 1961 den schnellen Fährbetrieb und damit das Tempo bei
der Schließung der ersten innerdeutschen Schienenlücken oder das
Schneckentempo auf kostspieligem Niveau des Berliner Senats zur Grundlage
zu machen? Wenn ja, für welche Position entscheidet sich warum die
Bundesregierung? Welche Zeitvorstellungen hat sie im Hinblick auf
Planungsvorlauf Baubeginn, Wiederinbetriebnahmedaten bzw.
Nichtwiederinbetriebnahme der einzelnen S-Bahn-Strecken, und welchen
Kostenrahmen legt sie dabei zugrunde?
Gemeinsames Ziel der Bundesregierung, des Senats von Berlin, des
Landes Brandenburg und der Deutschen Bahn AG ist es, die durch die
Grenzziehung entstandenen Lücken zu schließen und das bis 1961 betriebene
Netz der S-Bahn Berlin wiederherzustellen. Entsprechend wird das 1990
beschlossene Lückenschlußprogramm konsequent umgesetzt.
Gegenwärtig liegen von dem rd. 375 km umfassenden Gesamtnetz noch rd.
90 km still. Die Schließung der einzelnen Schienenlücken muß einerseits
in engem Zusammenhang mit der Wiederherstellung der stilliegenden
Streckenabschnitte, der Regionalbahnplanung und den Baumaßnahmen am
Fernbahnnetz gesehen werden. Zum anderen ist im Rahmen des verfügbaren
Finanzrahmens eine Prioritätenreihung vorzunehmen, die die wirtschaftlichen,
funktionalen, logistischen und städtebaulichen Belange der einzelnen Projekte
berücksichtigt. Die unter diesen Bedingungen und unter dem Aspekt der
Bahnreform von der Deutschen Bahn AG zu den noch bestehenden Lücken
durchzuführenden Untersuchungen und mit den Ländern Berlin und Brandenburg
vorzunehmenden Abstimmungen sind noch nicht abgeschlossen, so daß
konkrete Angaben zu Bauzeiten, Investitionskosten und Inbetriebnahmeterminen
derzeit nicht gemacht werden können.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Hauptausschuß des Berliner
Abgeordnetenhauses für die S-Bahn-Verbindung Westend - Jungfernheide
einen Betrag von 40 Mio DM im Haushalt 1993 verankert hat? Wie ist
gegenwärtige Stand der Planung? Was sind die Ursachen dafür, daß auch
vier Jahre nach dem Fall der Mauer noch nicht einmal mit den notwendigen
Bauarbeiten dafür begonnen wurde, welche Baumaßnahmen sind dafür notwendig
(bitte einzeln auflisten, inkl. der Kosten), und wann ist mit einer
Inbetriebnahme dieses Streckenabschnittes zu rechnen?
Welche Bau- und Planungsmaßnahmen sind notwendig, um den Nordring
von Schönhauser Allee bis Westend vollständig wieder in Betrieb zu
nehmen? Mit welchen Kosten wird dabei gerechnet, wann soll mit den
Baumaßnahmen begonnen werden, und für wann ist die Inbetriebnahme - auch
in einzelnen Teilabschnitten - vorgesehen?
Die Fragen werden wegen ihres engen inhaltlichen
Zusammenhanges gemeinsam beantwortet.
Die S-Bahn-Strecke von Westend bis Jungfernheide ist Bestandteil
des geplanten Wiederaufbaues des S-Bahn-Nordringes von Westend bis
Schönhauser Allee einschließlich der Verknüpfung mit der Nord-Süd-S-Bahn
im Bereich Gesundbrunnen - Bornholmer Straße. Die Rahmenplanung sieht den
zweigleisigen Wiederaufbau des Bahnkörpers, der Brückenbauwerke, des
Oberbaues der Stromversorgung, des Signalsystems sowie der Stationsanlagen
im gesamten Streckenverlauf vor. Teilweise soll eine Neutrassierung zur
Verbesserung der Umsteigebeziehungen zwischen Ring- und Nord-Süd-S-Bahn
erfolgen.
Bis zum 31. Dezember 1993 lag die Zuständigkeit für die Planung und
Finanzierung des Abschnittes von Westend bis Gesundbrunnen beim Senat von
Berlin. Die Baumaßnahmen des Senats konzentrierten sich zunächst unter
Berücksichtigung der verfügbaren Mittel auf den verkehrswichtigen Südring
zwischen Westend und Baumschulenweg, der am 17. Dezember 1993 in Betrieb
genommen worden ist. Mit Beginn des Jahres 1994 sind Planungskompetenz
und Baulast für den S-Bahn-Ring vollständig auf die Deutsche Bahn AG
übergegangen.
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Ausschnitt aus der Werbung eines großen Möbelhauses Ende 1993. Selbst der großflächige Einzelhandel im Berliner Umland will (oder kann?) offensichtlich nicht allein von der Autokundschaft leben. Auch nördlich Berlins zeigt sich immer deutlicher, wie wichtig für viele Unternehmen der Anschluß an das Berliner S-Bahn-Netz ist. Firmen im Umfeld der Kremmener Bahn wollen deshalb den S-Bahn-Wiederaufbau nördlich von Tegel als Vorleistung erbringen. Mehr zur Kremmener Bahn in SIGNAL 4/94. |
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Entsprechend der Rahmenplanung der Bahn werden die Gesamtkosten der
S-Bahn-Maßnahmen im o.g. Bereich gegenwärtig mit rd. 770 Mio. DM v
eranschlagt. Sämtliche Maßnahmen sollen im Jahre 2000 abgeschlossen
sein. Das Vorhaben wird mit Bundesfinanzhilfen nach dem
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz aus dem ÖPNV-Bundesprogramm gefördert.
Die Deutsche Reichsbahn hat bisher auf Grundlage baureifer Planungen
im Bereich Nordkreuz Zuwendungen für Maßnahmen mit Gesamtkosten in
Höhe von rd. 44 Mio. DM beantragt. Das Land Berlin hat für Teilmaßnahmen
im Bereich Gesundbrunnen - Schönhauser Allee, die bis zum 31.
Dezember 1993 in seiner Baulast lagen, im Jahre 1993 Finanzierungsanträge
mit Gesamtkosten in Höhe von 2,2 Mio. DM vorgelegt.
Haushaltsplanungen des Berliner Senats für im Jahre 1993
im Abschnitt Westend - Jungfernheide vorgesehene Maßnahmen sind
der Bundesregierung nicht bekannt.
Die Planungen der DB AG sind für die einzelnen Streckenabschnitte des
Nordringes noch nicht abgeschlossen. Zu den genauen Kosten von
Teilstrecken und deren Inbetriebnahmeterminen kann deshalb hier noch
nichts gesagt werden.
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[IGEB] Wer immer wieder erlebt, wie der Berliner Senat ausweichend
und unvollständig auf Anfragen der Berliner Abgeordneten reagiert, ist
von den recht umfangreichen Ausführungen der Bundesregierung zunächst
einmal angenehm überrascht. Weder angenehm noch überraschend sind dagegen
die Inhalte. Viereinhalb Jahre nach dem Sturz der Mauer sind für die
Wiedehnbetriebnahme der vielen noch stilliegenden S-Bahn-Strecken konkrete
Angaben weder zu Bauzeiten noch zu Investitionskosten oder gar
Wiederinbetriebnahmeterminen möglich. Ein Skandal! Aber nicht der einzige.
Immer wieder hat der Berliner Fahrgastverband IGEB beklagt, daß es in Berlin
nicht am Geld fehlt, sondern an fähigen Senatoren, die in der Lage sind,
das zur Verfügung stehende Geld sachgerecht auszugeben. Wie berechtigt
dieser Vorwurf ist, wurde nun leider ein weiteres Mal bestätigt: Von den
für 1993 bereitgestellten 40 Mio DM für den Nordring, hat der Berliner Senat
laut Antwort der Bundesregierung lediglich 2,2 Mio verbauen können. Die
Senatoren Haase und Nagel haben also "gute" Gründe dafür, daß sie den
Berliner Abgeordneten oft unvollständig oder ausweichend antworten. Und
wir haben gute Gründe anzunehmen, daß der Verlust der 38 Mio nicht
der einzige im Jahr '93 war. Weitere Kleine Anfragen zu großen
Schlampereien sind also nötig. Nur Mut, Herr Feige! Bundesregierung
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