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Unter dem Dach der Deutschen Bahn Aktiengesellschaft agieren zehn auf
gewinnorientiertes Handeln getrimmte Geschäftsbereiche. Dazu zählt prinzipiell
auch der Nahverkehr, wenngleich 1994 und 1995 noch direkt vom Bund
subventioniert. Erst 1996 sollen die Länder die finanzielle Verantwortung
übernehmen und Transferzahlungen des Bundes gegebenenfalls auf kommunale
Besteller oder Betreiber verteilen. Bis dahin gilt eine Art "Status quo",
die DB AG soll das Nahverkehrsangebot in bisheriger Qualität und Quantität
aufrechterhalten, was im Einzelfall sowohl Verbesserungen als auch
Verschlechterungen bedeuten kann. Doch schon entwickelt sie Konzepte, mit
denen sie selbst größter Anbieter von Nahverkehrsleistungen bleiben will - auf
einem grundsätzlich für Dritte geöffneten Netz. Nach den nötigen gesetzlichen
Rahmenänderungen, der "äußeren Reform", geht die bahninterne Umsetzung jetzt
erst richtig los.
Kein Freibrief für Stillegungen ...
Die privatrechtliche Organisation hat der Bahn keinen Freibrief für den
Abbau sogenannter unrentabler Leistungen oder gar Streckenstillegungen
beschert. Ursprünglich strebte die Bundesregierung zwar an, der DB AG die
Entscheidung darüber zu überlassen. Hier zogen die Oppositionsparteien und
die Länder aber nicht mit. Das Allgemeine Eisenbahngesetz schreibt auch
künftig ein formelles Stillegungsverfahren vor, und Länder und Gemeinden
haben - wie bisher schon gelegentlich praktiziert - die Möglichkeit, Strecken
in eigene Regie zu übernehmen oder mit der DB AG Verträge über die
Aufrechterhaltung abzuschließen.
Generell ist der Bund, was den Fahrweg betrifft, weiterhin in die Pflicht
genommen. Dies regelt der ins Grundgesetz eingefügte Artikel 87 e. Hier die
wichtigsten Passagen im Wortlaut:
"(3) Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsuntemehmen in
privatrechlicher Form geführt. Diese stehen im Eigentum des Bundes,
soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung
und das Betreiben von Schienenwegen umfaßt.
Die Veräußerung von Anteilen des Bundes an Unternehmen ... erfolgt auf
Grund eines Gesetzes, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf; die
Mehrheit der Anteile an diesem Unternehmen [der DB AG - D.Red.] verbleibt
beim Bund. Das Nähere wird durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des
Bundesrates bedarf, geregelt.
(4) Der Bund gewährleistet daß dem Wolf der Allgemeinheit, insbesondere den
Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der
Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem
Schienennetz, soweit diese nicht den Personennahverkehr betreffen,
Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundesgesetz, das der
Zustimmung des Bundesrates bedarf, geregelt."
... aber auch keine Bestandsgarantie
Das ist zwar weniger, als von den meisten Bundesländern und
Fahrgastvereinigungen, namentlich von PRO BAHN, gefordert. Denn weder enthält
der Artikel eine Garantie für den Bestand von Strecken noch für deren
bevorzugten Ausbau, nur er entläßt die Bundesregierung eben auch nicht aus
der Verantwortung. In sich hat es allerdings ein recht unscheinbarer
Nebensatz: "soweit diese nicht den Personennahverkehr betreffen", heißt
es zur Gewährleistung des Bundes für der Allgemeinheit dienende
Verkehrsangebote. Denn die sollen ja künftig durch Länder, Kommunen oder
kommunale Zweckverbände bestimmt werden.
Über den Grundgedanken der Regionalisierung, die Verantwortung für Umfang und
Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) auf die Länder zu
übertragen, herrschte von vornherein Konsenz. Gestritten wurde aber bis
zuletzt um Höhe und Verteilung der vom Bund auf die Länder umzuschichtenden
Mittel. Herausgekommen ist schließlich: 1996 sollen die Länder 14,5 Millarden
DM für den SPNV erhalten, mehr als das Doppelte der zunächst vom
Bundesfinanzminister zugestandenen Summe. 8,7 Milliarden DM
stammen aus der MineralölSteuer und 6,3 Milliarden DM aus den Mitteln
nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG). 1997 soll der Anteil
aus der Mineralölsteuer auf 12 Milliarden DM steigen, der Betrag aus dem
GVFG dagegen um 3 Milliarden gekürzt werden - macht dann unter dem Strich
15,3 Milliarden DM. Diese Gesamtsumme soll 1998 auf 15,9 Mrd, ein Jahr
später auf 16,6 Mrd und im Jahr 2000 auf 17,3 Milliarden DM wachsen.
Bei der geplanten Umschichtung der Mittel, die hauptsächlich aus dem
Mineralölsteueraufkommen stammen, ist bedeutsam, daß der Bund entgegen von
Länderforderungen die Hoheit über die Mineralölsteuer behält. Was ist aber,
wenn sich die jetzt festgeschriebenen Geldsummen als unzureichend
herausstellen? Entscheidend verbessert werden kann mit dieser finanziellen
Ausstattung das Angebot nur, wenn regionale Betreiber oder die Bahn AG
Verkehrsleistungen deutlich effizienter produzieren als bisher. Selbst im
günstigsten Fall genügen aber die jetzt zugesagten Beträge für den wirklich
bedarfsgerechten Ausbau des gerade im ländlichen Raum jahrzehntelang
vernachläßigten SPNV nicht. Eine Aufstockung ist nicht zu erwarten, denn der
Bund will mit den jährlich einzusparenden Verlust-Zuweisungen an den
Bahnhaushalt noch die dort aufgelaufenen Altschulden von 70 Milliarden DM
abbauen und die Altersversorgung pensionierter Bahnbeamter sicherstellen.
Hier ist nun daran zu erinnern, daß von den laut Verkehrsminister Krause
durch die Reform einzusparenden 100 Milliarden DM nach Prüfung durch den
Bundesrechnungshof nur 65 Milliarden übrig blieben. Damit hätten wir schon
beim Start eine gravierende Fehlkalkulation! Obendrein wird die Bahnreform
nach wie vor nicht von einer neu orientierten Verkehrspolitik begleitet.
Statt beispielsweise die Lkw-Spediteure für die von ihnen verursachten
Schäden zur Kasse zu bitten, hat der Bund im Gegenteil mit Freigabe der
Beförderungstarife einem drastischen Preisrückgang der Transportleistungen
auf der Straße Tür und Tor geöffnet. Gleichzeitig wurde die Kfz-Steuer für
Lastkraftwagen von 10.000 DM auf maximal 5.000 DM pro Jahr gesenkt. Wenn
Dürr - wie eingangs erwähnt - für die DB-Bilanz 1994 statt einer "schwarzen
Null" nun lediglich "eine rote" erwartet (wieviele Millionen Minus mögen
sich wohl dahinter verbergen?), so resultiert das aus den nach wie vor
schlechten Erträgen im Schienengüterverkehr.
"Innere Reform" bringt Kompetenzgerangel
Der DB-Vorstand sieht trotz mangelhafter verkehrspolitischer Flankierung
gute Chancen, nach kaufmännischer und technischer Sanierung des Unternehmens
mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Er will den Umsatz im Personenverkehr
binnen zehn Jahren um etwa 50 Prozent steigern, im Güterverkehr um 40
Prozent - bei letzterem hat er vor allem die Sicherung des heutigen
Marktanteils im Auge. Die "innere Reform" soll bei der Bahn AG "die dafür
notwendigen Kräfte mobilisieren", wie Heinz Dürr es den Mitarbeitern
eindringlich darlegt, denn "Delegation von Kompetenz und Verantwortung nach
unten löst den überholten Zentralismus ab". Bis hinunterzu den neu
gebildeten Zweigniederlassungen soll
gewinnorientiertes Handeln an die Stelle von beamtenmäßigem Verwalten treten.
Erfahrungen der ersten Monate haben viele Eisenbahner verunsichert, ja
resignieren lassen. Sie berichten von Kompetenzgerangel, aufgeblähten
statt abgespeckten Verwaltungen und gegenseitiger Konkurrenz bisher
reibungslos kooperierender Bereiche. Einige Beispiele seien gleich benannt,
zuvor jedoch in Grundzügen die neue Untemehmensstruktur:
Der Vorstand mit jeweils für Zentralressorts und Unternehmensbereiche
zuständigen Mitgliedern und ein aus seiner Mitte heraus gebildeter
Ausschuß (Zentralvorstand) fungieren als Konzernleitung. Der Vorstand ist
das gegenüber Aufsichtsrat und Aktionären verantwortliche Gremium. Neben
direkt dem Vorsitzenden zugeordneten Bereichen (z.B. Konzernkommunikation)
gibt es Zentralressorts für Finanzen und Controlling, Personal und Soziales,
Immobilien und Recht, Forschung und Technologie. Hinzu kommen die
Unternehmensbereiche Personenverkehr, Güterverkehr sowie Fahrweg, in denen
wiederum verwandte Geschäftsbereiche zusammengefaßt sind. Nicht zur
Aktiengesellschaft gehören das "Rest-Bundeseisenbahnvermögen" (Behörde für
weiterhin beamtete DB-Mitarbeiter und nicht betriebsnotwendige Immobilien)
und das Eisenbahn-Bundesamt (für hoheitliche Aufgaben).
Die strukturelle Dekonzentration bei der DB AG wird an der Vielzahl der
Geschäftsbereiche deutlich. Es sind derer zehn:
-
Fernverkehr
- Nahverkehr
- Personenbahnhöfe
- Ladungsverkehr
- Stückgut
- Netz
- Bahnbau
- Traktion
- Werke
- und (als Geschäftsbereich mit eigener Rechtsform) die DB Holding
GmbH. Darin sind zahlreiche Beteiligungen bzw. Beteiligungsgesellschaften
zusammengefaßt, so MITROPA, DSG, Transfracht, Reisebüros usw.
Die Geschäftsbereiche gliedern sich wiederum in Regionalbereiche,
Niederlassungen und Zweigniederlassungen. Vollständig entfallen ist die
Ebene der Direktionen (BD und Rbd) mit Leitungskompetenzen
für die verschiedensten Sparten. Die bisherigen Direktionspräsidenten
fungieren jetzt als unmittelbare Beauftragte der Konzernleitung, sie sind
vor allem Ansprechpartner der jeweiligen Landesregierungen. Die
räumliche Abgrenzung der Regionalbereiche (RB) stimmt meist nicht mehr mit
den alten BD- bzw. Rbd- Bezirken überein, lediglich bei den RB
Traktion (zuständig für die Zugförderung) und Netz (zuständig für den
Fahrweg) ist das noch der Fall.
Die strikt gewinnorientierte Ausrichtung aller Bereiche bringt es nun
mit sich, daß die jeweiligen Leistungen exakt voneinander abzugrenzen und
gegenseitig abzurechnen sind. Der GB Nahverkehr etwa muß die für sein
Zugangebot benötigten Lokomotiven beim GB Traktion bestellen und diesem
auch bezahlen. Braucht er eine Diesellok, kann es zu einer Interessenkollision
mit den Geschäftsbereichen des Güterverkehrs kommen - dann nämlich, wenn diese
für dieselbe Strecke zur selben Zeit ebenfalls eine Lok haben möchten. Noch
werden ja gerade Dieselloks, aber auch viele Elektrolokomotiven, für die
verschiedensten Dienste verwendet. Bisher orientierte sich die Einsatzplanung
stark an der Verfügbarkeit und möglichst optimalen Umläufen der
Triebfahrzeuge, z.B. tagsüber Reise- und nachts Güterzüge. Diese Aufteilung
war bei weitem nicht immer kundengerecht. Auf der Straße rollen Frachten
rund um die Uhr durch Deutschland, zumal im Transit. Will die Bahn hier
hinsichtlich der Transportzeiten mithalten, kann sie die Güterzüge nicht
einfach tagsüber auf Grenzbahnhöfen stehen lassen, nur weil eine optimale
Lokomotiv-Disposition das erfordert. Mit Fahrplantrassen verhält es sich
übrigens ähnlich, auch um sie konkurrieren künftig die diversen
Geschäftsbereiche.
Bekannt geworden sind schon grotesk anmutende Abgrenzungsprobleme. Es kommt
durchaus vor, daß ein Lokführer pro Schicht sowohl Güterzüge als auch Fern-
und Nahverkehrszüge fährt, zwischendurch gar mal rangiert. Dann ist auf die
Minute genau zu ermitteln, welche Dienstzeit in welcher Sparte anfällt.
Auch ist wohl jeder Betriebshof (bahnneudeutsch für Betriebswerk) als
Zweigniederlassung des GB Traktion bestrebt, Leistungen an sich zu ziehen,
um seine Existenzberechtigung zu untermauern. So wetteifern Hamburger und
Berliner Betriebshöfe zum Beispiel um die Bespannung der InterCity-Züge
zwischen Alster- und Spreemetropole. Die werden ab Sommerfahrplan deutlich
beschleunigt. Parallel finden nun Tests statt, ob sich dafür zwei
zusammengekuppelte russische Diesel-Elektroloks (Reihe 234 mit eigens
einzubauender Steuereinrichtung von nur einem Führerstand aus) oder aber
dieselhydraulische Loks aus dem ehemaligen Bundesbahnpark besser eignen!
Ob solche parallelen Versuche sinnvoll sind, sei dahingestellt, denn
jedenfalls verfugen die betreffenden Bundesbahn-Typen (Reihe 218) seit
jeher über die Vielfachsteuerung. Zwei Einheiten können also von nur einem
Lokführer bedient werden.
Ein weiteres Beispiel: Auf der Strecke Berlin-Charlottenburg - Dessau
verkehren im Sommer drei neue Eilzugpaare (mit Weiterführung nach Leipzig
bzw. Aschersleben). Diese Relation kommt neben dazwischenliegenden
Orten natürlich auch dem Direktverkehr zugute. Sollte sich heraussteilen,
daß er einen hohen Reisendenanteil ausmacht, wird sich um die Fahrplantrassen
auch der GB Fernverkehr bemühen und InterRegio-Züge einlegen wollen.
Überhaupt zeigen sich bei den Zugarten Eilzug, RegionalSchnellBahn (RSB)
und RegionalExpreß (RE) Abgrenzungsprobleme zwischen Fern- und Nahverkehr,
die dem Bestreben nach "produktreinen" Angeboten zuwiderlaufen. Ob hier
immer die kundenfreundlichsten Lösungen gewählt werden, darf bezweifelt
werden.
Konterkariert DB die Regionalisierung?
Mit ihrem Knowhow, nicht zuletzt ihrer starken Position auch als
Auftraggeber der Fahrzeugindustrie, könnte die DB AG weiterhin ihre
marktbeherrschende Stellung im Nahverkehr behaupten. Gewiß ist das
Netz prinzipiell für Dritte zu öffnen, aber zum Großteil dient es
eben auch dem Vorrang genießenden Fernverkehr. Allerdings hat die Bahn
AG offenbar den Wert von Zweigstrecken als Fernverkehrs-Zubringer
wiedererkannt. Anläßlich der Präsentation eines von der Deutschen
Waggonbau-Aktiengesellschaft entwickelten Doppelstock-Schienenbusses
am 20. April auf der Hannover-Messe bekräftigte sie ihr Engagement im
Nahverkehr. Man bedenke: Die DB fördert die Konstruktion eines
zweiachsigen (!) Leichtbau-Schienenbusses. Dazu paßt eine am 23. Februar
durch die Sächsische Zeitung verbreitete Meldung, wonach der
Untemehmensbereich Personenverkehr am 11. Februar der Konzernleitung
empfahl, vor 1996 solle jegliche Privatisierung oder Regionalisierung
von Strecken unterbleiben.
Die Anzeichen mehren sich, daß die Deutsche Bahn Strecken auch dort
behalten will, wo sie Nahverkehr nicht mehr selbst betreibt. Der
Untemehmensbereich Fahrweg, später einmal als eigenständige Aktiengesellschaft
operierend, soll möglichst vermieten statt verkaufen. So bliebe das Geschäft
mit Bahntrassen auf Dauer lukrativ. Dabei sehen viele - Dürr'schen Dementis
zum Trotz - die Gefahr, daß die Bahn bzw. Fahrweg AG die Preise diktiert,
also die Kosten für regionale Betreiber möglichst hochschraubt.
Was die Berliner S-Bahn angeht, bleibt die DB AG als Betriebsführerin präsent.
Der Geschäftsbereich Nahverkehr gibt die Regie hier zwar an
die nun frühestens im Spätherbst zu gründende S-Bahn GmbH ab, diese firmiert
aber unter dem Dach der großen Aktiengesellschaft. Berlin, Kreise und
Kommunen des Umlands - dereinst im Verkehrsverbund zusammengeschlossen -
müssen von 1996 an für die Leistungen der S-Bahn GmbH zahlen. Im Interesse
der Fahrgäste ist zu wünschen, daß auch in diesem Bereich die "innere Reform"
rasch gelingt und zu den versprochenen Einspareffekten führt. Der Senat
sollte ja aufgrund zehnjähriger Verantwortung für die BVG-S-Bahn besten
Einblick in die Kostenstrukturen haben und beurteilen können, ob die
DB-Tochter zu hohe Forderungen stellt. Daß hart gepokert wird, steht zu
erwarten. Einen Vorgeschmack lieferte der jüngste Streit um die Übernahme
von fünf Millionen DM ursprünglich nicht eingeplanter Sanierungskosten für
die Strecke Schönholz - Tegel. Und hier haben die Kunden erst mal das
Nachsehen, die Wiedereröffnung verzögert sich zum - wer weiß es
noch - wievielten Male?
In einer der nächsten SIGNAL-Ausgaben wollen wir uns noch
ausführlicher mit den Auswirkungen der Bahnreform auf Berlin und
Brandenburg befassen. IGEB
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