Kaum bemerkt stellte vom 5. bis 7. Mai 1994 die Senatsverwaltung für
Bau- und Wohnungswesen im Rathaus Wedding große Tafeln auf. Es ging um
die "Verlängerung der Straßenbahnlinie 23" von der Björnsenstraße, dem
derzeitigen Endpunkt der Tram, über die Bösebrücke, Bornholmer, Osloer
und Seestraße zum westlichen Rand des Bezirks, dem Eckernförder Platz.
Vorgestellt wurden der derzeitige Planungsstand sowie der Ablauf der
Bauarbeiten für diese längst überfällige Erweiterung im Straßenbahnnetz.
Experten der Bau Verwaltung, der Verkehrsverwaltung, der BVG und der
beteiligten Planungsbüros standen bereit, um die Planungen dem
interessierten Fahrgast zu erläutern und alle möglichen Fragen rund
um die Tram zu beantworten.
Welche Ausstellungen können nur begrüßt werden. Allerdings sollten die
Tafeln der Öffentlichkeit länger präsentiert werden, auch wenn eine
fachliche Betreuung nicht jeden Tag möglich ist. Viel mehr interessierte
Bürger hätten sicherlich den Weg ins Rathaus gefunden, hätten sie von der
Ausstellung rechtzeitig gewußt. Ein Faltblatt zur Information war im
Vorfeld wohl nicht ausreichend verbreitet worden, der Termin zu wenig
bekannt. So waren selbst die Bezirksverordneten am 5. Mai überrascht,
als sie auf dem Weg zu ihrer Sitzung auf die Ausstellung trafen.
Wie sehen nun die überarbeiteten, in der
Ausstellung gezeigten Planungen aus?
Die Strecke
Die Tram wird mit Ausnahme der Bösebrücke einen eigenen
Gleiskörper im Mittelstreifen haben, so wie bis zur Einstellung in den
60er Jahren. Haltestellen erhält die Tram am S-Bf Bornholmer Straße, an
der Grüntaler Straße, Prinzenallee, Koloniestraße, am U-Bf Osloer Straße,
an der Reinickendorfer Straße, am U-Bf Seestraße, an der Amrumer
Straße und am Rudolf-Virchow-Krankenhaus.
Die Strecke wird in zwei Abschnitten gebaut: Der erste Abschnitt von
der Bösebrücke bis zur Reinickendorfer Straße (Louise-Schröder-Platz)
soll im Herbst 1995 in Betrieb gehen. Die gesamte Strecke bis zur
Wendeschleife am Eckernförder Platz soll dann 1996 befahren werden,
wobei dieses Datum nach den bisherigen Erfahrungen nicht realistisch ist.
Am Louise-Schröder-Platz wird ein Gleisdreieck eingebaut, damit die
Züge gewendet werden können, solange die übrige Strecke bis zur
Wendeschleife am Eckernförder Platz nicht zur Verfügung steht.
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25. Mai 1994 in Hennigsdorf: “Roll-out“ der ersten Niederflur-Straßenbahn für Berlin. Nach Angaben der BVG wird sie im Spätsommer erstmalig zum Einsatz kommen. Bis zum Jahresende sollen dann ausreichend Fahrzeuge ausgeliefert sein, um die Tramlinie 20 komplett mit neuen Fahrzeugen zu befahren. Allerdings wird die Reisegeschwindigkeit auf der Linie 20 unverändert gering sein, denn die Senatsverkehrsverwaltung hat die Inbetriebnahme der Ampel-Vorrangschaltungen verhindert. Deshalb werden auch die neuen Züge weiterhin 25 statt andernfalls möglicher 16 Minuten für eine Strecke der Linie 20 benötigen. Dadurch sind mehr Fahrzeugumläüfe erforderlich, wodurch der BVG zusätzliche jährliche Betriebskosten in Millionenhöhe entstehen. Und noch eine schlechte Nachricht: Für die Hälfte der bestellten 120 Niederflurfahrzeuge ist die Finanzierung noch immer ungeklärt! Foto: Matthias Horth |
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Als im August 1993 im Rahmen der Planfeststellung die Pläne öffentlich
ausgelegt wurden, hat es über 8.000 Einwendungen gegen die erste Version
der Straßenbahnplanung gegeben. Es ging damals in erster Linie um die
vielen Bäume, die bei der vorgelegten Gleisführung und den vielen
Linksabbiegespuren für Autos gefällt werden sollten. Kleiner als urspünglich
geplant wird daher jetzt die Abstellanlage an der Endhaltestelle
ausfallen. Auf dem Mittelstreifen der Seestraße am Rudolf-Virchow-Krankenhaus
werden statt vier nur drei Gleise liegen. Dadurch können die Alleebäume
beiderseits der Gleise erhalten bleiben. Wird die Strecke weiter
Richtung Charlottenburg oder Moabit erweitert, sind umfangreichere
Abstellreserven ohnehin nicht mehr nötig.
Baumfällungen
Statt 138 Bäume stehen "nur" noch 32 Bäume auf der Abholzliste, weil,
wie oben erwähnt, an der Endhaltestelle ein Abstellgleis weniger
vorgesehen wird, weil an einigen Stellen etwas kleinere Radien vorgesehen
sind und weil die Linksabbiegespuren für die Autos so überarbeitet wurden,
daß auch dort vereinzelt Bäume stehen bleiben können. Größter "Baumfressser"
ist jetzt noch der Taxi-Stand an der Kreuzung See-/Müllerstraße. Die
Taxi-Innung sollte prüfen, ob der Taxistand nicht vom Mittelstreifen weg
an den rechten Fahrbahnrand vor dem Friedhof gelegt werden kann. Zur
Zeit ist der Platz noch für Pausenzeiten der BVG-Busse reserviert. Sie
wird es aber nicht mehr geben, wenn die Tram erst in Fahrt gekommen ist.
Aufpassen sollten die Naturschützer auf den Eckernförder Platz. Denn im
Grünflächenamt gibt es Überlegungen, bei der Verlegung des Gleises für die
Wendeschleife den Platz umzugestalten und im wild gewachsenen Wälddchen
zugleich Sichtschneisen zum Kanal zu schlagen. Durch die Sichtschneisen
dringt dann der Autolärm der Seestraße an das Ohr des Bürgers, aber auch
der Vogelwelt, die sich in die ruhigeren Ecken des Gehölzes eingenistet hat.
Fatalerweise sollen diese Aktionen auch noch als Ersatz für die unabdingbaren
Baumfällungen in der Seestraße dienen. Es bleibt zu fordern, daß von
dieser naturschutzfeindlichen Schnapsidee schleunigst wieder
Abstand genommen wird.
Parkplätze
Mehr Sorgen als die Naturreste im dicht bebauten Wedding bereiten den
Planern die Veränderungen bei den Parkplätzen. Es wird ausführlich dargelegt,
wie die Parkplätze auf dem Mittelstreifen
durch vermehrtes Querparken in den Seitenstraßen ersetzt werden.
Über die Veränderungen bei den Parkplätzen gab es bei der Bürgerbeteiligung
praktisch keine Einwendungen. Hat die Parkplatzfrage eine so hohe
Bedeutung, weil eine Partei der Großen Koalition ihr Bezirksbüro an der
Seestraße hat? Oder hat ein Planer eine besondere Vorliebe für dies "Problem"?
Millionen wofür
Exorbitant hoch erscheinen die Baukosten von 160 Mio DM für den etwa
fünf Kilometer langen Abschnitt. Für 30 Mio DM je Kilometer gibt es in
anderen Gegenden Deutschlands schon ICE-Neubaustrecken mit Brücken- und
Tunnelbauwerken. Allerdings wird statt der Straßenbahn in die Seestraße
kein ICE kommen. Weit über 70 Mio DM sollen für die Erneuerung von
Gasrohren und Stromleitungen und vor allem für Trink- und Abwasserrohre
ausgegeben werden, die hier wie an vielen anderen Stellen in West- wie
in Ost- Berlin in den nächsten Jahren ohnehin sanierungsbedürftig sind.
Es werden also die Mittel für den Straßenbahnbau dazu verwendet,
die Netzsanierung der Berliner Wasserbetriebe, der Bewag und der
Gasag zu bezahlen. Diese Mittel Verschiebung ist dadurch erklärbar,
daß bei Bewag, Gasag und Wasserbetrieben derselbe Senator für
Verkehr und Betriebe im Aufsichtsrat sitzt wie auch bei der BVG.
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Wanderung des VCD auf der künftigen Trasse der Tram-Linie 23. Noch biegen die Züge von der Bornholmer zum Kehren in die Björnsonstraße ein. Doch 1995 sollen sie endlich geradeaus nach Wedding fahren. Dort, wo im April 1994 die “Wandergruppe“ stand, werden hoffentlich bald die Bauarbeiten für die Tramverlängerung stattfinden. Foto: I. Schmidt |
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Für die Straßenbahn selbst werden "nur" 85 Mio DM benötigt.
Das macht pro Kilometer aber immer noch 15 Mio DM und ist mehr als
in vielen anderen Städten Deutschlands. Verglichen mit den Milliarden,
die Berlin z.B. in die Tiergartentunnel stecken will, ist es allerdings
ein Klacks.
Die Tramtrasse soll nach den Vorstellungen der Planer höchsten Ansprüchen
genügen. Die Gleise sollen so belastbar sein, daß sie mindestens 30 Jahre
ohne Erneuerungsarbeiten auskommen. Üblich ist woanders nur die Haltbarkeit
von zehn Jahren. Die Gleise werden weitgehend als Rasengleise ausgeführt
sein. Die Mehrkosten dafür sind bei dem Gesamtaufwand unbedeutend. Zwar
ist der ökologische Nutzen umstritten, doch haben Rasengleise in der
Geräuschdämmung und im ästhetischen Anblick deutliche Vorteile gegenüber
dem klassischen Schotterbett.
Fahrzeugeinsatz
Die Linie 23 wird im 10-Minuten-Takt verkehren, tagsüber kommt eine
Verstärkungslinie hinzu. In der Hauptverkehrsszeit soll der Zugabstand in
der Seestraße sogar noch weiter verdichtet werden. Öfters als alle drei
Minuten wird man aber wegen des Begegnungsverbots auf der Bösebrücke nicht
fahren können.
Eigentlich sollten alle Fahrten der Linie 23 nur mit neuen Niederflurzügen
durchgeführt werden. Da aber zu wenige dieser fahrgastfreundlichen und
laufruhigen Fahrzeuge bestellt wurden und dies außerdem zu spät geschah,
werden modernisierte Tatra-Züge zum Einsatz kommen. Diese knallgelben
Fahrzeuge sind jetzt vereinzelt auf den Pankower Linien im Einsatz. Sie
sollen auf der 23 den Grundtakt der Niederflurzüge so verstärken, daß
mindestens alle fünf Minuten gefahren wird. Doch das ist noch Zukunftsmusik.
Drücken wir die Daumen, daß die Ausstellung keine Makulatur war und 1995
tatsächlich die ersten Züge durch die Seestraße rollen. VCD - Landesverband Berlin
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