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Am 8. August 1924 verließ der erste elektrische Zug im Regeleinsatz den
Stettiner Vorortbahnhof Richtung Bernau. Ab 1925 verkehrten auf dieser Strecke
nur noch elektrische Züge, die Fahrzeiten konnten so deutlich verkürzt werden.
Ebenfalls 1925 erfolgte die Betriebsaufnahme auf der Strecke nach Oranienburg,
und 1927 folgte schließlich die dritte Nordstrecke: die Kremmener Bahn bis
Velten. Zusammen bedeutete dies eine Streckenlänge von rund 70 Kilometern. Für
die Deutsche Reichsbahn waren die Nordstrecken auch ein Experimentierfeld für
die anschließende "große Elektrisierung" des übrigen Netzes, bei der bis 1930
fast alle wichtigen Strecken des Nahverkehrsnetzes der Eisenbahn in Berlin,
darunter auch die Stadt- und die Ringbahn, für den elektrischen Betrieb
ausgebaut wurden. 1930 ist außerdem das Geburtsjahr der Bezeichnung "S- Bahn",
die heute im gesamten deutschsprachigen
ein Qualitätsbegrif für attraktiven öffentlichen Verkehr ist.
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Foto: Thomas Billik |
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S-Bahn nach Bernau im Sommer 1994. Auf dieser Strecke wurde vor 70 Jahren der elektrische Zugbetrieb aufgenommen. Aber "70 Jahre elektrisch" als "70 Jahre S-Bahn" zu feiern (Bild rechts), ist sicherlich fragwürdig. Dieses Plakat gehört zu einer kleinen Fotoausstellung auf dem S-Bahnhof Unter den Linden, die ansonsten jedoch als gelungen gewertet werden kann. Die interessantesten Plakate finden Sie auf den nächsten Seiten. Foto: Marc Heller |
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1933 erfolgte dann die Elektrifizierung der Wannseebahn. Zwischen 1934 und
1939 entstand die Nord-Süd-S-Bahn, überwiegend im Tunnel, als Verbindung
zwischen den nördlichen und südlichen Vorortstrecken. Die Strecke war das
Pendant zur Stadtbahn von 1882, mit der die Vorortstrecken im Osten und
Westen verbunden wurden. Mit Fertigstellung der Nord-Süd-Strecke war zugleich
für lange Zeit der technische und betriebliche Höhepunkt des elektrischen
S-Bahn- Netzes erreicht. Die Gesamtstreckenlänge betrug nun ca. 245 km. Doch
dann wurde von Deutschland der II. Weltkrieg begonnen, und an dessen Ende war
auch die Berliner S-Bahn am Ende. Der Nord-Süd-Tunnel stand unter Wasser,
Bahnhöfe und Strecken waren zerstört, und etliche Fahrzeuge sowie Gleise
wurden von den Siegern fortgeschafft. Außerdem brachte der Krieg die Teilung
Berlins und - neben vielen anderen Konflikten - einen fast 40-jährigen Streit
um die Berliner S-Bahn.
Vom einst modernsten Nahverkehrsmittel wurde die Berliner S-Bahn in den
50er Jahren zum Vehikel des Kalten Krieges. Ursache dafür war, daß die
vier Siegermächte 1945 die Betriebsrechte auch im Westteil Berlins der in
der späteren DDR ansässigen Deutschen Reichsbahn zusprachen. Dies führte
zum Streit um Hoheits- und Arbeitsrechte, zu Auseinandersetzungen um die
Verbringung von Materialien von einem Sektor in den anderen und schließlich -
nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 - zum S-Bahn-Boykott in West-Berlin.
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Foto: Marc Heller |
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Rückblick und Ausblick. Die Plakate auf dem S-Bf. Unter den Linden zeigen erfolgte und geplante Lückenschlüsse im Netz der Berliner S-Bahn Foto: Marc Heller |
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Der als Folge des S-Bahn-Boykotts dramatische Fahrgastrückgang, natürlich
auch durch gekappte Verbindungen und einen fehlenden Tarifverbund begründet,
führte im Westteil Berlins dazu, daß die S-Bahn weitgehend im
Dornröschenschlaf versank. Sie wurde zum nostalgischen Transportmittel aus
der und in die Vergangenheit, gut für "Eisenbahnfreaks" und Querdenker über
die Absurdität der deutsch-deutschen Realität. Ihre Verkehrsaufgabe
übernahmen U-Bahn und Bus, vor allem aber das Auto, für das entlang der
S-Bahn-Strecken Stadtautobahnen gebaut wurden.
Erst nachdem der S-Bahn seit 1980 die endgültige Stillegung drohte, wurde sie
durch den Druck der Bürger auf die Politiker wieder "wachgeküßt" und 1984 in
das Netz der BVG (West) integriert. Eine mühsame Wiederaufbauphase mit
finanziellen, technischen, baulichen und ideologischen Konflikten begann.
Anders im Ostteil der Stadt: Hier blieb die S-Bahn das Massenverkehrsmittel,
auch wenn viele alte Verbindungen zerstört waren bzw. wurden und die
notwendige Modernisierung nur teilweise gelang. Immerhin: Dort, wo neue
Wohnbezirke, wie in Mahrzahn oder Hohenschönhausen entstanden, fuhr, noch
bevor die erste Wohnung bezogen war, die S-Bahn. (Im Westteil gibt es hierzu
genügend schlechte Gegenbeispiele.) Auch in die Vororte, z.B. nach Königs
Wusterhausen oder Strausberg, wurde die S-Bahn verlängert. Nur vom Alex zum
Zoo konnten die Ost-Berliner seit dem 13. August nicht mehr fahren.
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Foto: Marc Heller |
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Foto: Marc Heller |
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Seit 1990 sind nun beide Teile der Stadt und ihre beiden S-Bahn-Netze wieder
vereint. Einige Strecken sind wieder verbunden: die Stadtbahn sowie die
Verbindungen Südring - Baumschulenweg, Berlin - Potsdam, Berlin - Blankenfelde
und Berlin - Oranienburg über Frohnau. Zu viel liegt jedoch immer noch still,
während daneben der Autoverkehr schon wieder - und wesentlich kräftiger
als früher - "grenzüberschreitend" rollt.
Die Anforderungen an die Bahn sind beträchtlich: Vor allem müssen endlich
die alten Verbindungen und die noch stillgelegten Strecken im alten
West-Berlin wiederhergestellt werden (insbesondere Nordring, Anhalter und
Kremmener Bahn, Spandauer Vorortstrecke). Außerdem müssen viele
Streckenabschnitte, die in den Jahrzehnten seit 1945 nur unzureichend
instandgehalten wurden, nun grundlegend modernisiert werden - z.B. ab Herbst
1994 die Stadtbahn. Hinzu kommt die Anschaffung neuer Fahrzeuge, um die
z.T. über 60 Jahre alten Fahrzeuge ersetzen zu können. Bei knappen
öffentlichen Haushalten und beträchtlichen politischen Widerständen gegen
die rasche Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs werden aber
viele berechtigte Wünsche zunächst unerfüllt bleiben.
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Foto: Marc Heller |
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Für viel Diskussionsstoff sorgte dieses Plakat. Zunächst einmal muß positiv festgehalten werden, daß die Bahn, anders als der Berliner Senat, eine langfristige Strecken- und Terminplanung in der Öffentlichkeit zeigt. Doch Karte und Terminplan provozieren eine Reihe von Fragen. Bis zum Jahr 2000 soll die S-Bahn nur bis Spandau wieder in Betrieb genommen werden. Warum nicht bis Falkensee? Ist die Darstellung vielleicht sogar Ausdruck einer langfristigen Entscheidung gegen Falkensee? Erfreulich ist die Absicht, nach Teltow Stadt und langfristig offensichtlich darüber hinaus fahren zu wollen. Aber warum gibt es keine Zwischenstufe "Wiederinbetriebnahme von Lichterfelde Ost bis Lichterfelde Süd"? Diese Zwischenstufe wäre sehr viel schneller realisierbar, als der Neubau nach Teltow. Völlig unverständlich ist die Darstellung für Strausberg. Die vorhandene Strecke bis Strausberg Nord fehlt, dafür gibt es einen Pfeil für eine langfristige Verlängerung über Strausberg hinaus. Was soll das? Interessant ist, daß eine Verlängerung über Wartenberg hinaus nicht mehr vorgesehen ist. Die Kritikerder umstrittenen Verlängerung von Wartenberg bis Seilheimbrücke werden erleichtert sein, die Befürworter werden auf die vielen Vorleistungen für diese S-Bahn-Verlängerung verweisen. Freuen können sich die Fahrgäste im Raum Hennigsdorf/Reinickendorf. "Ihre" S-Bahn ist nun endlich gesichert. Allerdings muß vor einer Überwertung dieses Plakates gewarnt werden, denn es ist offensichtlich unter großem Zeitdruck entstanden und deshalb fehlerhaft. Beispielsweise wurde der in der Karte eingezeichnete Abschnitt Tegel - Hennigsdorf in der Terminliste vergessen, und beim unten stehenden Lückenschluß muß es "Neukölln" statt "Sonnenallee" heißen. Andernfalls wäre der Berliner S-Bahn-Ring auch im Jahr 2000 noch nicht vollständig wiederhergestellt. Foto: Marc Heller |
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Im 70. Jahr des elektrischen S-Bahn-Betriebes wurden den Bürgern als neues
"Wundermittel" die Privatisierung der Eisenbahn und die geplante Gründung
einer S-Bahn GmbH angepriesen. Die Entlastung von alten bürokratischen
Hemmnissen, kundenorientiertes Verhalten und mehr wirtschaftliche Flexibilität
werden versprochen. Ob das Rezept wirken wird, kann erst die Zukunft zeigen.
Gegenwärtig ist, trotz einzelner neuer Ideen wie z.B. dem Fahrradexpreß,
Skepsis angezeigt: Die großen, teilweise nicht nachvollziehbaren
Einschränkungen des Betriebes durch Baustellen, verbunden mit oft
unzureichender Information und unzumutbaren Pendelverkehren, und die aktuelle
Benachteiligung der S-Bahn-Fahrgäste beim Ausbau der Stadtbahn für das
Prestige-Projekt ICE sind hierfür Beispiele. Der Verzicht auf
Behelfsbahnsteige als Ersatz für geschlossene S-Bahnhöfe auf der Stadtbahn
und das Beharren der Bahn auf einem wahrscheinlich teureren und schlechteren
Schienenersatzverkehr zu diesen geschlossenen Bahnhöfen wird bei
Zehntausenden von Fahrgästen ebenfalls Zweifel wecken und viel Verärgerung
erzeugen. Wichtig ist deshalb ein engerer Kontakt zu den Kunden und ihren
Wünschen. Hierbei hat sich, wie die Erfahrungen seit Anfang der 80er Jahre
zeigen, die Vertretung der Interessen der Fahrgäste in Verbänden bewährt.
Die Bahn mit ihrer neuen Organisationsform kann hier anknüpfen.
Demnächst wird der Prototyp einer neuen S-Bahn-Generation vorgestellt
werden. Dabei ist die Zukunft der S-Bahn in ihrer heutigen Form mit
Gleichstrombetrieb auf manchen Strecken noch offen. So wird innerhalb der
Bahn auch die Meinung vertreten, daß der Ausbau der Regionalbahn, u.U. sogar
zu Lasten von S-Bahn-Strecken, den Vorrang genießen sollte. Daß dann aber
immer noch alle 10 oder 20 Minuten ein Zug kommt, muß bezweifelt werden.
Solche Gedankenspiele "Regionalbahn kontra S-Bahn" tragen mit dazu bei, daß
die Wiederherstellung der noch stilliegenden S-Bahn-Strecken nicht oder nur
viel zu langsam vorangeht. Zur Erinnerung: Das kriegszerstörte Netz wurde
innerhalb von zwei Jahren vollständig wieder in Betrieb genommen, wenn auch
z.T. nur eingleisig. Von solcher Geschwindigkeit unter schwierigsten
Bedingungen können wir heute nur noch träumen.
Es zeigt sich, daß Etliches nicht so ist, wie es sein sollte. Da es dennoch
gerade in den Jahren seit 1989 auch viele erfreuliche Neuigkeiten gab, hatte
sich die Deutsche Bahn AG entschlossen, ein in jeder Hinsicht etwas
ungewöhnliches Jubiläum zu feiern: den 70. Jahrestag der Aufnahme des
elektrischen Vorortverkehrs in und um Berlin. Vom 6. bis 8. August gab es
deshalb in Bernau eine umfangreiche Fahrzeugschau mit allen S-Bahn-Baureihen
sowie vielen Informationsständen.
Sonderfahrten des Vereins Historische S-Bahn e.V. mit dem
S-Bahn-Traditionszug, ein "Tag der offenen Tür" in der Hauptwerkstatt
(früher RAW) Schöneweide am 6. August und eine kleine, noch zu sehende
Ausstellung auf den Plakatwänden des S-Bahnhofs Unter den Linden ergänzten
das Programm. Darüber hinaus erschien anläßlich der Feier eine neue
SIGNAL-Sonderausgabe mit dem Titel "70 Jahre elektrisch - Zur Entwicklung
der Berliner S-Bahn".
Berliner S-Bahn-Museum
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