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S21
Das Poker-Spiel geht weiter

"S21 wiederbelebt" schrieben wir in SIGNAL 7/94 , doch das war offensichtlich etwas voreilig. Der Berliner Fahrgastverband IGEB, mehrheitlich ein Kritiker der Tunnelplanung, hatte dennoch stets gefordert, daß im Falle des Baues eines Zentralbahnhofes am heutigen Lehrter Stadtbahnhof auf jeden Fall auch eine Nord-Süd-S-Bahn, die sogenannte S21, gebaut werden muß, damit der neue Fernbahnhof für die Reisenden ohne allzu vieles Umsteigen erreichbar ist. Doch um das äußerst kostspielige U5-Projekt (Alexanderplatz - Lehrter Bahnhof) zu retten, verzichtete der Berliner Senat im November 1993 auf die geplante S-Bahn (Yorckstraße - Potsdamer Platz - Lehrter Bahnhof - Nordring).

Als Trostpflaster verkündeten Bahn und Senat, daß die Trasse für eine spätere Realisierung der S21 nicht verbaut werden dürfe. Dieses Vertagen einer Entscheidung brachte dem Berliner Senat jedoch nicht die wohl erhoffte "Entspannung", denn die Trassenfreihaltung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Bauplanungen am Potsdamer Platz und am Lehrter Bahnhof: Millionenbeträge für Vorleistungen, die die Trassenfreihaltung gewährleisten, werden jetzt fällig. Dennoch schien es den Befürwortern der S21 im Herbst 1994 zu gelingen, die Trasse planerisch zu sichern.

Pilz
Foto: IGEB

Doch in jüngster Zeit zeigte sich, daß so manche Befürworter der "Wiederbelebung" der S21 damit nur die Möglichkeit zur Führung des Transrapids in die Berliner Innenstadt absichern wollen. Dieser soll bisher von Hamburg kommend im Westen Berlins, günstigstenfalls am Westkreuz, enden. Die Transrapid-Lobby weiß jedoch, daß der Zug damit nicht attraktiv genug ist. Gekämpft wird deshalb um eine Trasse in die Berliner Innenstadt, am liebsten zum Lehrter Bahnhof, und um die Möglichkeit zur Weiterführung nach Dresden (- Nürnberg - Stuttgart). Deshalb wurde die Idee entwickelt, der Bahn zwei von vier für den Regional- und Fernverkehr geplanten Gleisen im Tiergarten-Tunnel streitig zu machen und die Regionalzüge auf die S21-Trasse zu verlagern. Anders ausgedrückt: Der Lehrter Bahnhof soll als Station des Fernverkehrs noch bedeutender werden, aber die Erschließung mit öffentlichem Nahverkehr soll so schlecht bleiben, wie es der S21-Streichungsbeschluß des Senats vorsieht. Fairerweise muß gesagt werden, daß die Senatsverkehrsverwaltung in ihrem Engagement für die "Wiederbelebung" der S21 solche Transrapid-Hintergedanken nicht verfolgt. Im Gegenteil: Transrapid-Befürworter werfen ihr vor, am sogenannten Pilzkonzept zu kleben und sich damit dem "Verkehrsmittel der Zukunft" zu verweigern.

Ob als S-Bahn-Option oder als Transrapid-Option, in jedem Fall schien die Zeit günstig, den Senatsbeschluß gegen die S21 vom November 1993 ein Jahr später zu korrigieren. Umso überraschender war es, daß die entsprechende Senats Vorlage zur Sicherung der S21-Trasse am 29. November 1994 im Senat nicht beschlossen und die Entscheidung wieder einmal vertagt wurde.

Aufklärung über die Gründe für das Scheitern seiner Vorlage leistete einen Tag später Verkehrssenator Herwig Haase im Verkehrsausschuß des Abgeordnetenhauses: Die Wiederaufnahme der S21 werde das Planfeststellungsverfahren nicht weiter verzögern. Aber zur Absicherung dieser Beurteilung habe man einen unabhängigen Gutachter beauftragt. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse habe der Senat die Entscheidung zur S21 vertagen müssen.

Damit setzen Berliner Senat und Deutsche Bahn AG ihre Politik fort, im laufenden Planfeststellungsverfahren für die Verkehrsanlagen im Zentralen Bereich nur Veränderungen einzuarbeiten, die nicht so weitgehend sind, daß die Bürgerbeteiligung wiederholt werden müßte. Allerdings ist vorrangige Aufgabe der schon mehrfach bemühten Rechtsgutachter, nicht festzustellen, daß diese oder jene Änderung eine Wiederholung det Bürgerbeteiligung erfordert (und deshalb nicht möglich ist), sondern zu ermitteln, wie die Änderung eingearbeitet und begründet werden muß, damit eine erneute Bürgerbeteiligung unterbleiben kann. Dennoch ist das Paket der Änderungen inzwischen so groß, daß selbst viele Tunnelbefürworter eine erneute öffentliche Auslage der Pläne für rechtlich geboten halten. Daß Senat und Bahn dennoch darauf verzichten wollen, ist nicht nur auf die Angst vor Zeitverzögerungen zurückzuführen, sondern auch auf die Einschätzung, daß von den Gegnern niemand klageberechtigt ist, es also bei Rechtsverstößen nicht zu einer gerichtlichen Überprüfung des "Schmuddelverfahrens" kommen wird.

Eines ist allerdings schon jetzt gewiß: Auch ohne erneute öffentliche Auslegung der Baupläne ist der Zeitplan nicht zu halten. Die ursprüngliche und amtlich noch nicht widerrufene Planung, den Fernbahntunnel im Jahr 2000 in Betrieb zu nehmen, kann jetzt, an der Schwelle zum Jahr 1995, nur noch als vollkommen illusorisch gewertet werden.

IGEB

aus SIGNAL 9-10/1994 (Dezember 1994), Seite 8

 

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