Infrastruktur

Der Eisenbahninfrastruktureintopf braucht mehr Zutaten!

Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zerbröselt. Warum? In dem Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz am 12. Oktober 2013 wurde protokolliert: „Die Verkehrsministerkonferenz stellt fest, dass die Verkehrsinfrastruktur aller Verkehrsträger und aller Bauträger (Bund, Länder, Kommunen) in Deutschland deutlich unterfinanziert ist.“ Kurz gesagt: Es fehlt Geld! Viel Geld!

Jährlich fehlen 7,2 Mrd. Euro, errechnete die Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ unter der Leitung des ehemaligen Bundesverkehrsministers Kurt Bodewig. Basierend auf den Zahlen von 2012 gibt es allein für den Erhalt des Bestandsschienennetzes Fehlbeträge in Höhe von 150 Mio. Euro bei nichtbundeseigenen Eisenbahnen, 330 Mio. Euro beim kommunalen ÖSPV und 1000 Mio. Euro beim DB-Netz. Zum Vergleich: Die Bundesautobahnen sind mit 800 Mio., Landesstraßen mit 450 Mio. und die Kommunalen Straßen mit 1250 Mio. Euro jährlich unterfinanziert. Selbst für die Bundeswasserstraßen fehlen 550 Mio. Euro.

Jahrzehntelang auf Neubau konzentriert

Viele Gelder sind geflossen. Hauptsächlich in Neubauprojekte. Ging es in den 1950er bis 70er Jahren primär um den Wiederaufbau der Kriegsschäden, so stand ab Anfang der 70er Jahre der Ausbau vor allem im Straßensektor im Vordergrund. Seit der Wende liegt der Fokus auf den Projekten Deutsche Einheit. Da, wo bei Neubauprojekten bunte Bändchen durchgeschnitten und große Reden geschwungen werden können, ist man in der Politik gern bereit, die eine oder andere (hundert) Million locker zu machen. An den unspektakulären Unterhalt und die damit verbundenen unliebsamen Folgekosten will aber kaum einer denken. Denn mit einem Eimer Schmiere für die Weichen und einem neuen Anstrich für die A-Tafel am Anfang einer „Langsamfahrstelle“ ist es heute nicht mehr getan.

(Zu) viele Töpfe für ein Menü

Wiese mit Gleise
Foto: BfVst

An vielen Stellen kocht es. Am einen Ende sind es die „Filetstücke“ wie z. B. die völlig überlasteten internationalen Korridore, die erhöhten Verschleiß haben und zudem nach Erweiterung der Kapazitäten schreien. Am anderen Ende werden als „dünne Suppe“ die „Bummelbahnstrecken“ kalt, die für die Erschließung der ländlichen Regionen unabdingbar sind, dennoch oft ins Hintertreffen geraten und wegen Unterhaltsmängeln eine Langsamfahrstelle nach der anderen anhäufen. Und dann gibt es noch die visionären „Gaumenschmausmenüs“ à la „Stuttgart 21“.

Unterscheiden muss man in Bestandsnetz, das den aktuellen Ist-Zustand widerspiegelt, Bedarfsnetz, das den gegenwärtigen Anforderungen im Ideal entsprechen sollte (Soll-Zustand), und Zielnetz, das den zukünftig erwarteten Anforderungen entsprechen soll (das „Wunschinfrastrukturschlaraffenland“).

Zunächst ist da der stetige Unterhalt des Bestandsnetzes. Er soll aus den laufenden Einnahmen der Infrastrukturnutzungsentgelte bestritten werden. Denn die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) zahlen an das Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) für die Nutzung Trassenentgelte. Die EVU des Güter- und Schienenpersonenfernverkehrs tun dies eigenwirtschaftlich. Unternehmen des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) erhalten von den Ländern sogenannte Regionalisierungsmittel des Bundes, von denen sie u. a. auch die Trassen- und Stationsgebühren bezahlen.

Die aktuellen Geld-Töpfe

Nach Angaben der DB Netz AG werden 2014 etwa 4,6 Mrd. Euro für den Erhalt und die Modernisierung des Schienennetzes aufgewendet.

Für den Ausbau des Schienennetzes wurden 2009 bis 2013 im Rahmen einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) von Bund und DB Ersatzinvestitionen in Höhe von 2,5 Mrd. + 0,5 Mrd. Euro bereitgestellt. Die LuFV ist nun bis 2015 verlängert und der Bundesanteil auf 2,75 Mrd. Euro erhöht worden. Um die kontinuierliche Weiterentwicklung des Bedarfsnetzes zu sichern, sind jedoch rasch die langfristige Festschreibung einer Folgevereinbarung und eine deutliche Aufstockung um mindestens 1 Mrd. Euro erforderlich.

Daneben spielen z. B. in Höhe von 1,7 Mrd. Euro auch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (das 2019 ausläuft) und die Entflechtungsmittel im Finanzgeflecht von Bund, Ländern und Kommunen eine Rolle. Dies jedoch nur beim Infrastrukturaus- und neubau. Für diverse Neubauprojekte gibt es ferner noch andere Töpfe von EU, Bund und Ländern, z. B. für spezielle Großprojekte wie Stuttgart 21, für die Seehafentrassen, für den internationalen Güter(transit)verkehr oder die bessere Verknüpfung der EU-Schienennetze miteinander – aber auch kleine unscheinbare Finanzspritzen wie beispielsweise für Schallschutzmaßnahmen aus dem „Infrastrukturbeschleunigungsprogramm 2“ des Bundes.

Ein gravierendes Problem dabei ist, dass nicht immer klar ist, aus welchem Topf für welches Menü etwas genommen werden muss. Auch die Bodewig-Kommission ist sich laut einer Fußnote bewusst, „dass in der baulichen Praxis eine trennscharfe Unterteilung in Bestands- und Bedarfsnetz nicht immer möglich ist. So sind insbesondere im Bereich des Ausbaus des Bestandsnetzes die Übergänge fließend.“ … „Jeder Umbau eines Knotens enthält zum Teil starke Elemente der Erhaltung der bestehenden Substanz.“

Es fehlen Zutaten

Aber irgendwie reicht das Ganze für den Unterhalt nicht. Um den Eisenbahninfrastruktureintopf am Köcheln zu halten, wird noch mehr Geld benötigt. Das betont auch die DB immer wieder. Nach Angaben der Deutschen Bahn ist wegen des notorischen Geldmangels ein Investitionsrückstau in Höhe von 30 Mrd. Euro entstanden.

Als besonderes Beispiel führt der DB-Vorstandsvorsitzende Rüdiger Grube die 25 000 Eisenbahnbrücken an. Über 30 Prozent seien bereits über 100 Jahre alt und hätten damit ihr „Lebensalter“ überschritten. Bei 1400 bestünde dringendster Handlungsbedarf, um eine Sperrung durch die Aufsichtsbehörde zu verhindern. Mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mitteln seien nur Sanierungen von 125 Brücken jährlich möglich. Nicht anders sieht es bei der Eisenbahnsicherungstechnik aus. Ein Drittel der Stellwerke stammt noch aus Kaisers Zeiten.

Die unzureichenden Erneuerungen bergen die Gefahr eines Verfalls der Vermögenswerte, meint die Bodewig-Kommission. Die tägliche Wertevernichtung des mit circa 300 Mrd. Euro bezifferten Vermögens beträgt anteilig für die Schiene 3,44 Mio. Euro täglich.

Wer schmeckt ab?

Abgebaute Gleise
Ist das die Zukunft? Etwa 1,5 Mrd Euro fehlen jährlich für den Erhalt der Gleisanlagen in Deutschland. Foto: BfVst

Wer kann beurteilen, in welchem Zustand eigentlich das Netz ist? Wer weiß, wieviel Geld für den Unterhalt wirklich nötig ist? Der Betreiber, ganz klar! Aber irgendwie will man den Zahlen, Daten, Fakten nicht mehr ganz uneingeschränkt Glauben schenken. Der Bundesrechnungshof hatte bereits 2011 die mangelnde Kontrolle des Bundes hinsichtlich der Effektivität der Mittelverwendung aus der LuFV angemahnt. Da fehlten in einer Dokumentation einfach mal 7300 km Gleis sowie 31 000 Weichen und Kreuzungen.

Zu schauen, ob alle Zutaten in ausreichendem Maße im Topf gelandet sind und ob das auch schmeckt, hat sich nun der Bundesverkehrsminister vorgenommen. So hat das Bundesverkehrsministerium (BMVI) im Februar 2014 endlich mit eigenen Messfahrten auf dem deutschen Schienennetz begonnen. Repräsentative Abschnitte – insgesamt 5000 km Strecke – werden nun geprüft. Die erste Fahrt der unabhängigen Gutachter Eurailscout sowie der Erdmann Softwaregesellschaft fand von Leipzig in Richtung Osten statt, die nicht nur der Überprüfung der Daten von DB Netz, sondern auch dem Aufbau einer eigenen unabhängigen Infodatenbank dienen soll. Dann kann auch unabhängig und nachvollziehbar ermittelt werden, wie viel Unterhaltskosten für unser deutsches Schienennetz wirklich vonnöten sind!

Zutaten verschwinden auf andere Herde

Der Bund übergibt Regionalisierungsmittel an die Länder, damit diese SPNV-Leistungen bestellen und bezahlen. Ein Teil der jährlich über 7 Mrd. Euro wird von den beauftragten Eisenbahnverkehrsunternehmen dann für die Trassen-, Stations- und Versorgungsentgelte aufgewendet. Im VBB-Gebiet sind das für 2013 beispielsweise 222 Mio. von 335 Mio. Euro – also rund zwei Drittel.

Nun gibt es Köche, die nebenbei ihr eigenes Süppchen kochen. Die Länder verwenden nämlich zwischen 9 und 48 Prozent von ihren Bundesmitteln – leider gesetzeskonform – nicht für den SPNV, sondern z. B. für die Finanzierung des ÖPNV oder anderer (Verkehrs-)Projekte, um so den eigenen Landeshaushalt zu schonen. Dieses zweckentfremdete Geld fehlt dem Unterhalt der Schieneninfrastruktur, für die die Länder nun wiederum noch mehr Geld fordern! Hier muss schnell eine Gesetzeslücke geschlossen werden, damit die Regionalisierungsmittel künftig nicht nur (wie es im Gesetz steht) „überwiegend“, sondern ausschließlich dem SPNV und damit auch dem Netz zugutekommen.

Auch NE-Bahnen brauchen Geld

Im August 2013 trat das „Gesetz über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz“ (Schienengüterfernverkehrsnetzförderungsgesetz – SGFFG) in Kraft, mit dem der Bund auch für Eisenbahninfrastruktur, die nicht Eigentum des Bundes ist, Gelder für Austauschmaßnahmen alter Gleise zur Verfügung stellt. Gefördert werden im Rahmen der jeweils zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel (zunächst 25 Mio. Euro) bis zu 50 Prozent der Investitionskosten.

Der Haken an der Sache: Die Förderung erfolgt nur für Strecken, auf denen Schienengüterfernverkehr bestimmter Mindestlasten durchgeführt wird. Der Personenverkehr kann die geförderten Strecken zwar mitnutzen, aber Eigentümer von Strecken, auf denen nur Personenzüge oder sogenannte Nahgüterzüge verkehren, gehen leer aus. Das ist eine klare Benachteiligung von Bahnen, die um den Erhalt oder die Reaktivierung von Nahverkehrsleistungen kämpfen.

Unabhängig davon sehen die Bodewig-Kommission wie auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen ein Defizit von 150 Mio. Euro, was den Netzerhalt der NE-Bahnen anbelangt.

Der Finanzierungseintopf muss ausgekippt werden.

Was ist zu tun? Der Berliner Fahrgastverband IGEB sieht ein grundlegendes Problem in der unzureichenden Transparenz und einer fehlenden lückenlosen Kontrolle. Hier müssen rasch konkrete verlässliche Zahlen auf den Tisch. Welche Mittel werden wirklich wofür benötigt und verwendet sowie aus welchem Geldsäckel bezahlt? Eine Entflechtung von Mischfinanzierungen wie die Regionalisierungsmittel mit klaren Vorgaben ist zwingend, um sicherzustellen, dass alles Geld für das Menü und nicht für Naschereien abseits ausgegeben wird. Die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur muss sich vorausschauend am künftigen Bedarf orientieren. Langfristig verhungern darf die Schiene auf keinen Fall! (BfVst)

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 2/2014 (April/Mai 2014), Seite 24-25

 

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