Seit Anfang 2014 gibt es in Berlin die Initiative
„Ticketteilen“. Angestoßen vom NaturFreunde
Berlin e. V. möchte sie auf eine
Möglichkeit hinweisen, von der viele hauptstädtische
Zeitkartenbesitzer offenbar nichts
wissen: Inhaber einer Umweltkarte von BVG
oder S-Bahn dürfen nach 20 Uhr sowie sonnabends,
sonn- und feiertags ganztägig einen
Erwachsenen und bis zu drei Kinder kostenlos
mitnehmen.
Natürlich kann es sich dabei auch um Wildfremde
handeln, und ebendiese will „Ticketteilen“
zusammenbringen: Wer zu diesem Akt
der Solidarität bereit ist, kann es durch das
Tragen eines Ansteckers deutlich machen, auf
dass er von möglichen Mitfahrern angesprochen
werde.
Die Initiatoren möchten damit insbesondere
die Mobilität der überdurchschnittlich vielen
Menschen erhöhen, die in Berlin arbeitslos
sind,
in prekären Beschäftigungsverhältnissen
stecken oder aus anderen Gründen in
Armut leben. Sie möchten die Nutzung von
Bussen und Bahnen erhöhen. Und sie möchten
grundsätzliche Diskussionen anstoßen.
Zum Beispiel über die Einführung eines Nulltarifs.
Man kann natürlich auch von „fahrscheinlosem
ÖPNV“ sprechen, wie es etwa die Piratenpartei
tut. Denn der Begriff „Nulltarif“
scheint ein Reizwort zu sein, der für eine
„typisch spinnerte, typisch radikale“ Idee aus
den westdeutschen 1970er Jahren steht. In
Berichten über „Ticketteilen“ hielten es manche
Journalisten denn auch gar nicht für nötig,
zu diesem Vorschlag Stellungnahmen einzuholen
bei Verkehrsbetrieben, Politikern oder
den sonst so beliebten Experten. Die Reporter
sprachen das Urteil gleich selbst: Das ist
leider nicht finanzierbar!
Demnächst ist es übrigens genau 25 Jahre
her, dass im damaligen West-Berlin die Umweltkarte
eingeführt wurde: Das Abgeordnetenhaus,
welches damals noch die BVG-Tarife
festlegte, hatte sie mit der seit März 1989 regierenden
rot-grünen Mehrheit beschlossen.
Ab 1. Oktober 1989 hieß es: Einen Monat mit
Bus, U- und S-Bahn durch West-Berlin für nur
noch 65 DM – also umgerechnet 33,23 Euro!
Als Jahreskarte zu zehn Raten à 60 DM oder
für 580 DM bei Einmalzahlung. Vorher hatte
eine solche übertragbare Gesamtnetzkarte
99 DM gekostet, in der persönlichen Variante
89. Die bis dahin existierenden Zeitkarten-Tarifgebiete
wurden abgeschafft.
Eine recht radikale Vereinfachung und
Preisreduzierung, um die Benutzung des
ÖPNV attraktiver zu machen. Eine Berliner
Idee war das allerdings nicht, im Gegenteil:
Seit Jahren war hier um eine solche Umweltkarte,
mit der man in anderen Städten
bereits gute Erfahrungen gemacht hatte,
gestritten worden. Das Hauptargument
der Gegner, zu denen auch der 1989 abgewählte
CDU/FDP-Senat gehörte: Das ist
leider nicht finanzierbar!
Die Kampagne: www.ticketteilen.org
Jan Gympel
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