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Die Deutsche Reichsbahn führ von 1920 bis 1994 durch
alle Staats- und Regierungsformen, so als gäbe es
kein "Verfallsdatum" für sie. Nach 1945 gehörte die
DR keinem Reich mehr an und führte, ihrem paradoxen Namen
gemäß, eigentlich eine Existenz auf Abruf. In Westdeutschland
endete dieser Anachronismus 1949, nicht so in der sowjetischen
Besatzungszone und der DDR.
Bis in die jüngste Zeit hat kaum ein Autor der Eisenbahngeschichte den
Versuch unternommen, dem Mythos der Reichsbahn als ostdeutscher
Staatsbahn zu Leibe zu rücken. Langgediente Eisenbahner und namhafte
Fachpublizisten planten 1990 eine Gesamtdarstellung des Themas - dieses
in einem Band zu bewältigen, stellte sich bald als vermessen heraus.
Auch die Fülle hervorragender Bild- und Textdokumente bewog die
zehn Autoren, nun dem Zeitraum von 1945 bis 1995 einen eigenen
Band zu widmen. Sie zeichnen erstmals ein umfassendes Bild dieses
spannungsgeladenen Eisenbahnjahrzehnts bis zur "Souveränität"
der DDR von Sowjetgnaden.
Ein Schwerpunkt ist die frühe Nachkriegssituation der Reichsbahn im
geteilten Berlin: der Arena
der Siegermächte, wo deutsche Tragödie und Aufbaustolz eng verwoben
waren und wo eisenbahnseits dem Weltverkehr der Dornröschenschlaf folgte.
Schon allein wegen des Kapitels über "die aus der Bahn geworfene Metropole" -
beginnend mit dem apokalyptischen Szenario des April 1945, ausführlich auf
Blockade, Eisenbahnerstreik, frühen Interzonenverkehr und kuriose Rechtslage
der DR namentlich in Berlin (West) eingehend - schließt der Bahn eine Lücke
auf dem Büchermarkt. Geschildert wird zudem, wie Deutsche mit ihren
Kriegslokomotiven nun für die Siegermacht quer durch Polen bis nach Brest
und ins ehemalige Ostpreußen dampfen, wie der elektrische Betrieb durch
Demontage sozusagen auf "Null-Hertz" heruntergefahren wird, wie sich die
Partei mit politischer Verwaltung und politischen Abteilungen aller
Ebenen der Eisenbahnverwaltung bemächtigt. Gestützt auf zahlreiche
Originaldokumente aus DR-Archiven und bebildert mit ausdrucksstarken
Pressefotos werden bislang unerreichte Authentizität und stimmiges
Zeitgefühl vermittelt.
Robin Garn (Hrsg.): Reichsbahn ohne Reich. Über die Nachkriegsgeschichte
der ostdeutschen Staatsbahn. Band 1 (1945 -1955): Auferstanden aus Ruinen?
208 Seiten, A4 hoch, Fadenheftung. Über 300 Fotos (Duplexdruck), Faksimiles,
Karten und Tabellen. Verlag LOK Report, Berlin 1996. Preis 88 DM.
ISBN 3-921980-52-6 IGEB
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