|
In ästhetischer Hinsicht geht mit der Ausmusterung der Reko-Wagen in
Berlin eine Epoche zu Ende, die nicht weniger als 130 Jahre dauerte. Denn
im Grundmuster wie in diversen Einzelheiten entsprach die Gestaltung dieser
Fahrzeuge jener, die seit der Eröffnung der allerersten deutschen
„Pferdeeisenbahn” im Berlin des Jahres 1865 verbindlich geblieben war. Wie
in den meisten anderen Orten hatte man auch in beiden Teilen der deutschen
Hauptstadt eigentlich schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von dieser
Formgebung Abschied genommen: Auch in Berlin wurden - wenn auch nur wenige -
überlange, sich an den Enden deutlich verjüngende Großraumwagen beschafft,
die vor allem dann äußerst elegant aussahen, wenn sie auf ihren Drehgestellen
durch den Kurven glitten. Von derlei Schick und Stromlinienästhetik fand
sich bei den kurzen Reko-Wagen nicht viel. In Richtung Bug und Heck wurden
die Fahrzeugkörper nur ein wenig schmaler, und statt der ursprünglichen
Zierleisten unter den Fenstern liefen schließlich um die Fahrzeug-Außenwände
nur schwarze Streifen herum. Weitere Erinnerungen an den Geschmack der
fünfziger Jahre waren die dynamisch in die Wagenmitte strebenden und sich
nach unten hin verjüngenden Befestigungen der Haltestangen.
|
Berlin-Friedrichshain Mitte der 60er Jahre: ein Rekozug auf der Linie 13. Foto: Joachim Kubig |
|
Doch im großen und ganzen waren die Rekos schon zur Zeit ihrer Entstehung
veraltet, und zwar mehr noch als die in vielen Details wesentlich feiner
gestalteten Gotha-Wagen, die ihnen als Vorbild gedient hatten. Von außen
erinnerten neben dem Zierstreifen der Soloscheinwerfer, der
Scherenstromabnehmer in seiner Frühform und der als Bekrönung der Wagenfront
aufgesetzte Kasten für das Liniennummernschild an vergangene Zeiten. Noch
nostalgischer stimmte der Blick ins Fahrzeuginnere: Kein einheitlicher
Großraum, sondern die seit den Anfängen der Straßenbahn übliche und dereinst
von der „großen” Eisenbahn übernommene Unterteilung in Plattformen an den
Wagenenden und dazwischenliegendem Fahrgastraum, wenngleich dessen Abtrennung
nur noch durch holzverkleidete Wandzungen angedeutet wurde. In ihrer oberen
Hälfte wurden diese von Glasscheiben unterbrochen, die drei zarte Zierleisten
ohne Berührung umfaßten. Wirkt das Innere heutiger Nahverkehrsfahrzeuge oft
wie eine Leistungsschau der versammelten Kunststoffindustrie, so fand sich
in den Reko-Wagen noch beachtlich viel Holz, nicht nur als Verkleidung,
sondern auch in Form der Haltestangen an den Türen oder im eigentlichen
Fahrgastraum. Zusammen mit den dicken dunkelgrünen Kunstlederpolstersitzen
verlieh dies dem Inneren eine anheimelnde Atmosphäre, erst recht am Abend;
denn hinter der milchglasigen Lampenreihe, die auf abermals hölzernen
Fassungen ruhte und wie die Fenster von blanken Metalleisten gerahmt wurde,
verbargen sich keine Leuchtstoffröhren, sondern simple Glühbirnen.
Nicht die Antisepsis von Arztwartezimmern, sondern die Behaglichkeit eines
Durchschnittswohnzimmers war das gestalterische Leitbild dieses Ambientes;
seine nostalgische Wirkung bezog es nicht zuletzt auch daraus, daß es
massenhaft Dinge bot, die sich leicht aufschlitzen, beschmieren, abbrechen,
zerschlagen und sonstwie demolieren ließen. Es wurde damit zu einem Boten
der spätestens in den sechziger Jahren untergegangenen bürgerlichen
Gesellschaft, die sich auf Grund des gesitteten Verhaltens ihrer
Mitglieder so wenig schmutzabweisend und vandalismusresistent
gestaltete Nahverkehrsfahrzeuge noch leisten konnte.
Freilich entsprach auch der Fahrkomfort längst vergangenen Zeiten. Statt
elektrischer oder gar elektronischer Finessen boten die Reko-Züge noch
Mechanik pur. Scheinbar übertrug sich jede Unebenheit im Gleiskörper,
der kleinste Stein in den Rillenschienen, direkt auf die Passagiere.
Durch - nicht nur besonders enge, sondern nahezu alle - Kurven fuhren
die recht gemächlich dahinrumpelnden Wagen weniger, als daß sie ruckweise
gestoßen wurden, dabei heftig scheppernd und jede einzelne Schraube einer
Belastungsprobe unterziehend; das intensive Dröhnen der Motoren war
markerschütternd, ihre Geräuschentwicklung - die von Heulen über Pochen
und Rattern bis hin zu tiefem Brummen reichte - ohrenbetäubend.
Empfahl es sich schon während der Fahrt, sich in den Wagen, die sich
relativ stark aufschaukelten, auch im Sitzen festzuhalten, so war dies
beim Stopp dringend geboten, erfolgte er doch mit einem energischen
Ruck. Nach vollzogenem Fahrgastwechsel rasselten - welch fast vergessener
Laut in Zeiten allgegenwärtigen elektronischen Gefiepses - die Klingeln
und die von Hand mit einiger Anstrengung geöffneten Schiebetüren schlossen
sich wieder, nicht immer gleichzeitig, doch stets mit jenem lauten
Schnarren, das für die Rekos ebenfalls charakteristisch war. Ein
besonderes Schauspiel boten die Züge schließlich noch in den
Wendeschleifen, die sie mit lautem Quietschen in alle paar Meter
wechselnden Tonlagen durchfuhren, scheinbar ein bizarres Stück
moderner E- Musik aufführend.
Mit all diesen Eigenschaften waren die Reko-Züge den Fahrgästen wie
den Anwohnern der Strecken längst nicht mehr zuzumuten. Doch wirken
heutige Fahrzeuge des öffentlichen Personenverkehrs in ihrem Inneren
oft steril, erscheinen sie mit ihrer umfangreichen und hochkomplizierten
Technik sowie ihrer fast lautlosen Bewegung als abstrakte Gebilde, so
waren die Reko-Wagen noch überaus sinnliche Produkte: Rustikal und
rabiat, rumpelnd und rasselnd schienen sie, ähnlich den Veteranen
der Berliner S-Bahn, lebendig und zwischen Karosserie und
Innenraumverkleidung keine Geheimnisse zu verbergen.
Aus: Rekowagen. Die etwas härtere Art Straßenbahn zu fahren. Berlin 1995
Jan Gympel
|