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Die Gegenüberstellung der Bahnhöfe Friedrichstraße und Lehrter
Zentralbahnhof zeigt, daß der Bahnhof Friedrichstraße mit 177 km2 weit
mehr Fläche erschließt als der geplante Lehrter Zentralbahnhof mit 98 km2.
Deutsche Bahn AG, Bundesregierung und Berliner Senat planen jedoch, mit
Realisierung des "Pilzkonzeptes" den vorhandenen Fernbahnhof Friedrichstraße
aufzugeben und stattdessen über 900 Millionen DM für den Lehrter
Zentralbahnhof - nur 1,2 km entfernt - in den Sand zu setzen. Werden die
die unvermeidlichen Anbindungskosten für den neuen Bahnhof hinzugerechnet,
ergeben sich Gesamtkosten von über 4 Milliarden DM.
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S-Bf Lehrter Stadtbahnhof. Hier soll in den nächsten Jahren der Lehrter Fernbahnhof, Berlins neuer Zentralbahnhof, entstehen. Größtes Manko dieses Standortes ist die schlechte Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Norden und von Süden her. Verschärft werden diese Probleme durch die Absicht, auch den Transrapid zwischen Berlin und Hamburg am Lehrter Bahnhof starten zu lassen. Foto: Thomas Billik (6/95) |
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Der zweite untersuchte Standort, der sich deutlich von allen anderen
abhebt, ist Landsberger Allee (159 km2) am nordöstlichen Berliner Innenring.
Ein solcher Fernbahnhof fehlt jedoch ebenfalls im "Pilzkonzept". Für die
östlichen Bezirke wäre er äußerst wichtig.
Besonders markant ist, daß die beiden im "Pilzkonzept" neu geplanten
Fernbahnhöfe Lehrter Zentralbahnhof und Papestraße in der unteren Hälfte
der Rangliste zu finden sind. Das bedeutet, daß diese Bahnhöfe eine
unterdurchschnittliche ÖPNV-Anbindung haben. Laut dem bahneigenen
Planungsbüro DE-Consult sollen aber in Zukunft mehr als 2/3 aller Fahrgäste
diese beiden "Zentralbahnhöfe" benutzen. Da sie mit dem ÖPNV kaum
umsteigeffei und damit bequem zu erreichen sind, werden die Fahrgäste
auf das Auto verwiesen. Eine Zunahme des Autoverkehrs in Berlin ist jedoch
nicht stadtverträglich. Nachdem die adäquate Einbindung des Lehrter
Zentralbahnhofs in den Öffentlichen Nahverkehr aufgrund der Streichung einer
neuen S-Bahn-Linie (S 21) nicht erfolgt und auch die Verlängerung der
U-Bahn-Linie 5 ins Finanzloch gefallen ist, ist es um so wichtiger, mit
wenig Aufwand vorhandene Bahnhöfe attraktiv zu gestalten.
Die BIW fordert deshalb, daß der vorhandene Fembahnhof Friedrichstraße
sofort, noch während der gegenwärtigen Umbauphase, mit ICE-gerechten
längeren Bahnsteigen ausgerüstet wird, damit im Jahr 1999 ein
leistungsfähiger, regierungsnaher Fernbahnhof zur Verfügung steht.
Dieser Bahnhof darf auf keinen Fall vernachlässigt werden!
Es wäre fatal für die Bevölkerung, gut zu erreichende Fernbahnhöfe zukünftig
vom Fernverkehr abzuhängen, wie jetzt geplant. Die von der Bahn AG
beabsichtigte Degradierung der heute betriebenen Fernbahnhöfe Schöneweide
(130 km2), Lichtenberg (106 km2) und Schönefeld (nur 46 km2, aber
Flughafenstandort) ist verkehrt ich nicht zu begründen.
Es sei noch kurz auf den Mythos eingegangen, der Eisenbahntunnel mit dem
Lehrter Zentralbahnhof bringe ungeheure Reisezeitverbesserungen. Reisezeit
ist sinnvoll nur wie folgt zu definieren: Zugangszeit + Wartezeit +
Fahrzeit + Umsteigezeit + Abgangszeit. Die Reisezeit ist demnach die Zeit,
die benötigt wird, um z.B. von Hannover (Ausgangsort) nach Berlin (Ziel)
zu gelangen ("Reisezeit von Haustür zu Haustür"). Reisezeitverbesserungen
entstehen durch
- mehr direkte Zugverbindungen,
- gesicherte Anschlüsse durch Fahrplanverbesserungen,
- Verbesserungen der Erreichbarkeit der Bahnhöfe (mehr Bahnhöfe, Ausbau
der ÖPNV-Anbindung, Park & Ride etc.).
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Die Erreichbarkeitsstudie der BIW ergab, daß kein Berliner Fernbahnhof mit öffentlichen Verkehrsmitteln so gut erreichbar ist, wie der Bf Berlin Friedrichstraße. Dennoch sollen hier nie wieder Fernzüge halten, nicht einmal in den Jahren bis zur Fertigstellung des Lehrter Zentralbahnhofes. Foto: Marc Heller (6/95) |
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Minutenweise Fahrzeitverbesserungen auf ausgebauten Strecken führen
nicht zur Reisezeitverbesserung, wenn die Züge nur an wenigen Bahnhöfen
halten, die womöglich noch schlecht an den Nahverkehr oder an das
Straßennetz angebunden sind. Genau das ist aber (unnötigerweise) die
Situation, die uns heute in Berlin erwartet. Für Minutengewinne bei
der Fahrzeit werden Milliarden DM investiert, während vorhandene
Fernbahnhöfe nicht mehr angefahren werden.
Schnelle Lückenschlüsse im Schienennetz zwischen ehemals West-Berlin und
Ost-Berlin und DDR wurden nicht durchgeführt und sind noch immer nicht
absehbar. Durch diese i.d.R. preiswerten Lückenschlüsse könnten aber
mehr und schnellere Direktverbindungen angeboten werden (z.B. Innenring).
Doch die Optimierung des Gesamtnetzes bleibt auf der Strecke, weil
politisch forcierte Prestigebauten alle Planungskapazitäten und
Finanzmittel aufsaugen.
Die Erreichbarkeitsstudie der BIW liefert wertvolle neutrale Daten. Die
wichtigsten Schlußfolgerungen sind für uns:
- Die vorhandene Infrastruktur sollte Grundlage sein, um
schnell Verbesserungen zu erreichen.
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Die betriebenen Fernbahnhöfe müssen vorrangig genutzt werden.
- Die Bahnsituation muß und kann mit geringem finanziellen Aufwand
verbessert werden.
- Es müssen kostengünstige Fernbahnhöfe an geeigneten Stellen neu
gebaut werden.
- Jede Zentralisierung sollte vermieden werden, um Überlastungen der
Bahnhofsanbindungen, beim ÖPNV (Gedränge, Streß) ebenso wie bei den
Straßen (Stau, Lärm), zu verhindern bzw. um Kosten für neue
Bahnhofsanbindungen zu vermeiden.
Zu handeln bleibt Sache der Politik. Die Politik muß überprüfen,
was Verwaltung und Deutsche Bahn AG machen.
Bürgerinitiative Westtangente
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