Nahverkehr

KT4D mit Niederflurmittelteil in Berlin

Ja, Sie lesen richtig. Vom 24. bis 30. Mai 1996 kam ein behindertengerecht erweiterter KT4D auf Berliner Boden. Daß dieser kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, liegt an dem Umstand seines Einsatzes auf der schmalspurigen Schöneicher Straßenbahn, wodurch er nicht allzuweit in die Hauptstadt eindringen konnte. Die geladenen Fachjournalisten hatten zu wählen, denn ungewohnt kurzfristig lud die BVG an dem Tag zur Fahrplanpressekonferenz, an dem auch in Schöneiche Pressetermin war. So ein Zufall aber auch ...

Der in Cottbus mittlerweile mit sehr großem Erfolg eingesetzte KTNF6 wurde auf Initiative des Herstellers für eine Woche in Schöneiche planmäßig eingesetzt. Dies geschah ohne nennenswerte Probleme. Die Schöneicher Straßenbahn beabsichtigt die Beschaffung vier solcher Mittelteile, um die Fahrzeugeinheiten auf eine bedarfsgerechte Größe zu erweitern und Behinderten angemessene Zugangsmöglichkeiten zu bieten. Abhängig ist die Umsetzung dieser Pläne von der Sicherung der nötigen Finanzen. Zusagen des Landes existieren.

Man hatte sich nicht ohne Grund in die Nähe des größten deutschen Straßenbahnbetriebes begeben. Hier besteht zum einen ein nach wie vor hoher Erneuerungsbedarf im Fahrzeugpark, zum anderen ist mit flächendeckender Einführung von Niederflurangeboten selbst bei optimistischer Betrachtung nur in einem Zeitraum zu rechnen, der in Jahrzehnten gemessen werden muß. Die 19 Jahre dauernde Umstellung auf Tatra-Betrieb kann als Vergleichsgröße benutzt werden. Es liegt also auf der Hand, daß der vorhandene Wagenpark möglichst heutigen Ansprüchen an behindertengerechtem Zugang angepaßt werden sollte.

Eine vom Hersteller vorgelegte Wirtschaftlichkeitsberechnung empfiehlt als Beispiel die Umstellung der Linien 2, 3 und 4 (Trasse Greifswalder Straße) auf Solobetrieb mit KTNF6 bei gleichzeitiger Taktverdichtung in der Hauptverkehrszeit. Anhand dieses Beispiels läßt sich analog zu Cottbus eine Amortisation des Nf-Mittelteils durch eingesparte KT4D-Doppeltraktionen nachweisen. Die empfohlene Taktverdichtung zur Bewältigung des Spitzenaufkommens wird zugleich als Beitrag zur Attraktivitätssteigerung angesehen.

Straßenbahnen
Cottbuser KT4D mit Niederflurmittelteil in Schöneiche. Ende Mai fanden Probefahrten, auch mit Fahrgästen statt. Die Resonanz war positiv. Dennoch gibt es in Berlin eine unverändert harte, sachlich nicht nachvollziehbare Abneigung gegen diese Lösung. Foto: Ivo Köhler

Genau hier hinkt die Betrachtung aber. Denn mit noch mehr Zügen wird man in den neuralgischen Bereich Rosa-Luxemburg-Platz/Hackescher Markt kaum noch einfahren können. Und wenn als Entlastung die Neubaustrecke über den Alexanderplatz irgendwann einmal Realität wird, macht die damit verbundene Attraktivitätssteigerung alle heutigen Zahlen zu Makulatur, in den Innenstadtbereichen und auf den hoch belasteten Trassen in die Neubaugebiete Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf sollte daher der begonnene Weg des Einsatzes von Niederflurzügen auf ausgewählten Linien fortgesetzt werden. Nur müssen diese Züge nicht mit Gewalt zu 100 Prozent niederflurig sein, aber dafür ausgereift und preiswert. Und letzteres ist der springende Punkt. In Zeiten leerer Kassen - und die BVG wird nun einmal weiter vom Land bezahlt - kommt man um Wege zur Kostensenkung nicht herum. So kann die Niederflurerweiterung des KT4D durchaus als Ergänzung für die genannten Innenstadt-Linien dienen, Zugbildungen aus KTNF6+KTNF6 oder KTNF6+KT4D sind denkbar. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Wer diese Einheiten baut, ist egal.

Das eigentliche Einsatzgebiet sind aber die Regionalnetze Pankow und Köpenick. In 15 oder 20 Jahren immer noch hochflurige Fahrzeuge anzubieten, während komplette Busflotten auf Niederflur umgestellt sind, wird nicht mehr vermittelbar sein. Spätestens dann wird sich zeigen, wie die durch BVG-Vertreter in Schöneiche demonstrativ zur Schau getragene Ablehnung dieses Fahrzeuges gerechtfertigt war.

IGEB

aus SIGNAL 5/1996 (Juli 1996), Seite 24-25

 

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