Presse war kürzlich zu entnehmen, daß die BVG Überlegungen zur Einführung
eines Zonentarifs anstelle. Wir wissen, daß der durch den Rückzug des Landes
Berlin aus seiner staatlichen Fürsorgepflicht für die BVG entstandene Zwang,
gesellschaftlich notwendige Leistungen kostendeckend zu erbringen, Sie vor
große Schwierigkeiten stellt. Wir meinen jedoch, daß die Einführung von
Tarifzonen zur Umsatzsteigerung ein Verkehrs- und umweltpolitisch falscher
Weg ist, der sich ins Gegenteil (Abwanderung vom ÖPNV zum MIV oder Fahrrad)
verkehren kann. Ein diesbezüglicher Versuch ist vor etlichen Jahren
schon einmal kläglich gescheitert.
Nachteile bei Zonentarifen
Ein Zonensystem ist entweder grob und ungerecht, weil lange Strecken in
einer Zone billiger sind als kurze Strecken über "Zonengrenzen" hinweg,
oder es ist sehr fein und damit unübersichtlich. Dies wirkt abschreckend
und fordert das "Graufahren".
Verlust der Freizügigkeit
Es sollte nicht außer Acht gelassen werden, daß viele Fahrgäste nicht aus
Freude am Fahren die BVG benutzen "wollen" (bzw. Distanzen überwinden),
sondern aufgrund der wohnungs- und arbeitsmarktpolitischen Lage fahren müssen.
Diese doch recht treue Stammkundschaft würde ungerechtfertigt belastet,
Pendlerlnnen würden zur (Wieder-)Abwanderung zum Pkw verleitet.
Auf kürzeren Distanzen bestände die Konkurrenz durch das
Individualverkehrsmittel Fahrrad. Angesichts der angestrebten Fusion von
Berlin und Brandenburg wäre es ein schlechtes Signal, beide künftig tariflich
zu trennen. Der Freizügigkeit des Pkws muß die jetzige Freizügigkeit der
bestehenden Umweltkarte gegenübergestellt bleiben!
Mitnahmemöglichkeiten von Personen am Wochenende und von Fahrrädern
Es sollte auch nicht der Fehler gemacht werden, bei der Tarif- und
Angebotsgestaltung nur noch die Autofahrerinnen mit ihren gesteigerten
Bequemlichkeitsansprüchen und Preisgewohnheiten als potentielle Kundinnen im
Blick zu haben. Viele der vorgeschlagenen Koppelungen von Leistungen mit der
Monatskarte sind für die Normalkundinnen schlicht überflüssiges Beiwerk, das
sie monatlich mitkaufen müßten, ohne es nutzen zu können (z.B. Museumsbesuch,
Dampferfahrten). Als Zuschlagkarte für Jahreskartenbesitzerinnen wäre dies
Angebot eher sinnvoll (z.B. für den Urlaub daheim). Die Fahrradmitnahme und
die Mitnahmemöglichkeiten für Kinder und Erwachsene zu bestimmten Zeiten
dagegen gehört als Leistung zur Umweltkarte dazu, weil sie den Umweltverbund
Rad/ÖPNV erleichtern und den Autofahrerinnen ein wichtiges Argument, nämlich
die sinkenden Beförderungskosten pro Person bei ausgelasteten Pkw nehmen. Die
DB AG hat übrigens im Regionalverkehr erhöhte Einnahmen durch ihr absolutes
Dumpingangebot "Schönes Wochenende" erwirtschaftet!
Verbilligte Kfz-Miete
Die Möglichkeit schließlich, mit einer Plus-Umweltkarte ein Kfz mieten zu
können, ist u.E. ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite ist es
durchaus als Argument gegen den Besitz eines eigenen Wagens gerichtet,
andererseits bevorzugt es gerade wieder nur Autofahrerinnen.
Wenn schon eine solche Kombination, dann müssen Mietfahrräder und
Mietfahrradanhänger ebenso angeboten werden, ggf. verbunden mit der
Nutzungsmöglichkeit von Bike & Ride-Stationen (Aufbewahrung, Reparatur, ...)!
Abschließend möchten wir anregen, die betrieblichen Sparmöglichkeiten wie
Busspuren und Vorrangschaltungen konsequent umzusetzen. Dort, wo die fast
schon berüchtigte Verkehrsverwaltung dies dem privaten Pkw-Verkehr zuliebe
verhindern will, empfehlen wir den Kontakt zu verkehrspolitischen Initiativen
und Vereinen zu nutzen (wie z.T. schon mit dem Fahrgastbeirat geschehen), um
so die Lobby für den ÖPNV weiter aufzubauen, z.B. mit konkreten
Zahlenbeispielen. Dies würde dann letztendlich nicht nur der BVG, sondern
auch den Fahrgästen und der Umwelt dienen.
****
Berliner Verkehrsbetriebe
Qualitätsmanagement Kundendienst
Herr Grunwald
Antwort
(10.5.1996) Sehr geehrte Damen und Herren, bei den kürzlich in der Presse
erwähnten zukünftigen möglichen Tarifmodellen handelt es sich um
grundsätzliche Überlegungen für die Gestaltung eines Nahverkehrstarifs der
Region Berlin-Brandenburg. Im Rahmen von Marktuntersuchungen wurden diese
Konzepte einem Teil unserer Kunden zur Beurteilung vorgelegt. Insbesondere
die veröffentlichten Preise sind fiktiv und in dieser Form keinesfalls
beschlossene Sache.
Die Einteilung in unterschiedliche Tarifgebiete ist in allen größeren
Verkehrsverbünden Deutschlands Realität. Die Verkehrsgemeinschaft
Berlin-Brandenburg (VBB) nimmt mit dem hier gültigen Einheitstarif derzeit
eine Sonderstellung ein. Der Einheitstarif wird zunehmend von denjenigen
Fahrgästen kritisiert, die nur kurze Strecken zurücklegen und daher unseren
Tarif als ungerecht empfinden. Daher wird unsererseits nach Wegen gesucht,
das Tarifsystem leistungsgerechter zu gestalten, so daß sich der Preis
stärker an der tatsächlichen Inanspruchnahme orientiert. Lange Wege
wären demnach teurer als kurze Wege.
Daß dies für den von einer eventuellen Preissteigerung betroffenen
Fahrgast unbefriedigend ist, ist uns bewußt. Wir bitten Sie jedoch
zu bedenken. daß das Preisniveau des Öffentlichen Nahverkehrs in
Berlin im Vergleich zu anderen Verkehrsverbünden relativ niedrig ist.
Über den möglichen Zusatznutzen von Fahrausweisen wird im Zusammenhang mit
der generellen Tarifgestaltung ebenfalls noch nachzudenken sein. Ihre
diesbezüglichen Hinweise werden wir in unsere Überlegung einbeziehen.
Das betrifft auch Ihre Anregungen zur Fahrrad- und Anhängermiete zu
günstigeren Konditionen.
Eine starke Erweiterung des Busspurnetzes und Vorrangschaltungen für
ÖPNV-Fahrzeuge an Lichtsignalanlagen sind auch für uns ein sehr wichtiges
Thema. Wir stehen seit Jahren und in letzter Zeit sehr intensiv in
Verhandlungen mit der zuständigen Senatsverwaltung und dem Polizeipräsidenten.
Nach heutigem Erkenntnisstand haben wir gute Aussichten, noch in diesem Jahr
eine tragfähige und für alle Seiten akzeptable Lösung, insbesondere der
Vorrangschaltungen für Straßenbahnen, erreichen zu können.
****Fahrgastbeirat Tiergarten
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