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Liebe BVG!
Daß wir in einer Zeit des Umbruchs leben, in der nur wenig bleiben kann
wie es war, ist längst ein Gemeinplatz. Endlich hast nun auch Du mutig
daraus die Konsequenzen gezogen: Zwei Jahrzehnte lang hast Du Abertausende
dafür aufgewandt, Deinen Zugabfertigern einen behaglichen Arbeitsplatz zu
schaffen: Hinfort mit den alten Bahnsteighäuschen, auf Denkmalschutz und
den Gesamteindruck der Bahnhöfe gepfiffen - ein jeder “Zurückbleiben“-Rufer
bekam hinter vollverglasten Kanzeln ausreichend Raum zum Kaffeekochen,
zum Verstecken vor den lästigen Fahrgästen und zum Weggucken, wenn auf
dem Bahnsteig mal jemand drangsaliert wurde.
Nun aber, liebe BVG, hast Du damit Schluß macht und Deine Leute wieder in
die harte Welt Deiner U-Bahnhöfe zurückgescheucht. Dank
“Zugfahrerselbstabfertigung” sind aus Deinen Abfertigern “Bahnhofsmanager“
geworden, die in "Mobilen Serviceteams“ arbeiten und dabei durch eine
Leitstelle und “Helppoints“ unterstützt werden - beschönigende
Blabla-Begriffe, gegen die die berühmte "Freisetzung von Arbeitskräften" oder
die zur “Tarifanpassung“ umgelogene Preiserhöhung jämmerlich verblassen.
Und was Du uns alles dafür, daß Deine Bahnhöfe jetzt zu Big Brother-mäßig
vollkameraüberwachten Geisterstationen werden, versprichst: Für die
29 Stationen der U6 sollen beispielsweise fünf “mobile Teams“ à
zwei Personen zuständig sein. Donnerwetter! Da entfallen ja auf jedes
Pärchen genau 5,8 Bahnhöfe! Was für eine Serviceverbesserung gegenüber ein
bis zwei Personen pro Station! Und wenn man dann noch bedenkt, daß diese
“Teams“ zwischen ihren Bahnhöfen dauernd hin- und herfahren sollen und
Du den Takt auf derlei selbst im Berufsverkehr gerade auf fünf Minuten
ausgedünnt hast... Da wird jetzt aber das Sicherheitsgefühl der
Fahrgäste steigen! Und der Vandalismus zurückgehen! Da kannst Du ja
noch viel mehr Geld sparen!
Denn gescheit wie Du bist, liebe BVG, hast Du sicherauch schon ein
Konzept ausgeklügelt wie Deine neuen "Manager" ihre Arbeitszeit auf die
einzelnen Bahnhöfe verteilen: Bestimmt tauchen sie häufig schon nach zwei
Minuten wieder auf. Oder tun gelegentlich so, als ob sie weggingen und
verstecken sich in Wahrheit nur in irgendwelchen Nebenräumen. Ansonsten
könnte sich ja jeder Bösewicht ausrechnen: Sind die Typen erstmal weg,
kommen sie so bald nicht wieder, und könnte dann hemmungslos andere
Fahrgäste angreifen oder Deine schönen Stationen zuschmieren, die Du
bislang so blitzsauber und graffitifrei hälst.
Natürlich gibt es da auch noch die dufte “Leitstelle“ am Bahnhof Osloer
Straße, die gleich 29 Bahnhöfe auf einmal (und demnächst auch noch die 17
Stationen der U9) übenwacht und diese damit viel besser im Blick und Griff
hat als früher die ollen Zugabfertiger vor Ort. Kaum hat man da per Kamera
einen Schmierfinken, sagen wir mal an der Afrikanischen Straße, entdeckt,
werder auch schon die "Manager' in Gang gesetzt, die sich vielleicht gerade
Reinickendorfer Straße befinden (alternativ könnte man auch die Polizei
rufen, die bei manchem Notruf schon nach einer halben Stunde zur Stelle ist).
Wenn man in der Leitstelle nicht gerade mit einem der Mißbräuche von
Informations- oder gar Notrufknopf auf Deinen "Helppoint“-Säulen beschäftigt
ist - das geschah nach Deinen eigenen Angaben aber auch nur 34.000 bzw.
15.000 Mal im ersten Halbjahr '96, bei zwanzig Betriebsstunden täglich
also im Schnitt etwa alle zehn bzw. alle fünfzehn Minuten.
Das ist wahre Effizienz.
Jan Gympel
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