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Im Gegensatz zu einigen Verkehrsbetrieben können Messeveranstalter und
Industrie durchaus flexibel reagieren. Mußte im Resümee der "Waggon 95"
in Leipzig (s. SIGNAL 9-10/1995 ) den
Schienenfahrzeugmessen noch eine mangelnde Ausstrahlung auf die allgemeine
Öffentlichkeit nachgesagt werden, brachte der Umzug der Messe nach
Berlin neben der interessanten Präsentation in fünf Messehallen zugleich
ein Angebot für
den interessierten Bürger in Form einer Fahrzeugausstellung auf dem
Güterbahnhof Wilmersdorf. Und sie wurde trotz der nicht gerade niedrigen
Preise sehr gut besucht. Zur zeitgleich stattfindenden Automobilausstellung
bestand damit ein interessantes Gegenstück. Man möchte Berlin neuerdings
gern als "Kompetenzzentrum der Verkehrstechnik" sehen. Sehr gut. Allerdings
gibt es auch dazu ein Kontrastprogramm. Die Zeitung "Wochenpost" konnte
es sich nicht verkneifen, diesen Wunsch um die Feststellung zu erweitern:
"Allein - in der Verkehrspolitik und im alltäglichen Zugbetrieb ist Berlin
das Kompetenzzentrum der Stümper und Betonköpfe. Man versuche nur mal,
die feinen Bahnfirmen mit der Bahn zu erreichen".
Gezeigt wurden auf der InnoTrans vor allem die aktuellen Neuentwicklungen
auf dem Sektor der leichten Eisenbahnfahrzeuge für den Nahverkehr, hier waren
alle deutschen Hersteller vertreten. Ein etwas spärlicher Querschnitt durch
das aktuelle Angebot von Niederflurstraßenbahnen wurde
flankiert vom neuen Berliner U-Bahn-Zug und einigen Omnibussen. Als für
den Fahrgast weniger relevant wären noch verschiedene Fahrzeuge für den
Güterverkehr der Eisenbahn zu erwähnen. Mittels eines Infomobils versuchte
die einschlägige Lobby, außerdem für den umstrittenen Transrapid Stimmen
zu sammeln. So begrüßenswert das Engagement für neue Technologien auch
sein mag: Es ist und bleibt fatal, daß diese Technologie zum Verhinderer
eines sinnvollen Eisenbahnausbaues wird und die alle Maßstäbe
sprengenden kommerziellen Risiken heruntergespielt werden. Das
finanzielle Desaster des Kanaltunnels müßte Warnung genug sein. Wenn
die Industrie ihr Referenzobjekt selber bezahlen und die Risiken nicht
auf das finanziell gebeutelte Gemeinwesen abwälzen würde: Bitte, bauen
Sie! Aber nicht mit Steuergeldern. Doch nun zu den Exponaten.
Nahverkehrstriebwagen
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Neuer DWA-Schienenbus auf der InnoTrans, preiswert und mit niedrigem Einsteig, aber mit nur einer Tür und - wie die anderen neuen Nahverkehrstriebwagen auch - ohne WC. Foto: Thomas Billik (10/96) |
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Ausgestellt wurden der "Talent" von Bombardier/Talbot, der schon bekannte
Regiosprinter von Siemens/Düwag und der neu entwickelte Schienenbus von
DWA, anknüpfend an die bekannte doppelstöckige Ausführung. Allen Firmen
gemein ist das Bestreben, möglichst preiswerte Fahrzeuge unter Verwendung
von Bus- und Straßenbahnkomponenten zu bauen. Angepaßt an die
Bahnsteighöhen der meisten Nebenstrecken sind die Einstiege durchweg sehr
niedrig angelegt, so daß im Grunde ein stufenloses Einsteigen möglich wird,
in einigen Fällen ist eine Stufe zu überwinden. Alle Wagen werden als
niederflurig angepriesen, inwieweit das bei Fußbodenhöhen um 500 Millimeter
über Schienenoberkante noch angebracht ist, sei dahingestellt.
Durchweg alle Modelle haben zwei Mängel: Die Stellfläche für Kinderwagen
und Fahrräder fällt zu gering aus, und es fehlen sanitäre Einrichtungen.
Auch wenn es sich um Nahverkehrsfahrzeuge handelt, so werden doch zuweilen
beachtliche Distanzen bewältigt, wo nun einmal gewisse Bedürfnisse auftreten
können. Ob die DWA-Fahrzeuge mit nur einer Tür pro Seite den Anforderungen
des Nahverkehrs gerecht werden, muß bezweifelt werden. Die wagenbauliche
Gestaltung, die von der Statik her nur diese eine Tür zuläßt, ist ein
Ergebnis des Bemühens um kostengünstige Herstellung im Vergleich zu
anderen Anbietern, was auch gelungen ist. Es hat aber nun einmal auch
seine Schattenseiten, billig zu kaufen.
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Der „Talent“ von Bombardier/Talbot am Regionalbahnsteig in Westkreuz. Die DB AG setzte während der InnoTrans klare Prioritäten: Weil zwischen dem Güterbf Wilmersdorf und dem Bf Westkreuz jeweils zwischen etwa 11 Uhr und 16 Uhr neue Nahverkehrsfahrzeuge vorgeführt wurden, hatten die Fahrgäste der RegionalBahn-Linien 12 und 18 das Nachsehen. Ihre Züge wurden entweder zum Bf Charlottenburg umgeleitet oder setzten erst am Bf Spandau ein. Foto: Frank Brunner (20.10.96 |
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Der nicht gerade billige Regio-Shuttle fiel auf der schwäbischen
Schönbuchbahn, für die er zunächst geliefert wurde, durch eine Häufung
technischer Probleme auf und durch ein höheres Gewicht, als ursprünglich
geplant. Die Steuerwagen müssen nun nachträglich motorisiert werden, um
die Fahrpläne enthalten zu können. Ein Fahrzeug, vom Reißbrett gekauft.
Einige Nahverkehrstriebwagen wurden im Betriebseinsatz als Zubringer
zwischen Ausstellungsbahnhof und Messehallen gezeigt. Damit wurde beiläufig
wieder einmal die mangelnde Anpassungsfähigkeit des Systems "Eisenbahn
in Berlin" vorgeführt. Denn die Regionalbahnlinie RB 18 mußte eigens von
Westkreuz nach Spandau zurückgezogen und die RB 12 nach Charlottenburg
umgeleitet werden, um diesen Messe-Shuttle überhaupt zu ermöglichen. Die
Wertschätzung, welche der Geschäftsbereich Nahverkehr seinen Stammkunden
gegenüber zeigt, wurde hier wieder einmal sehr deutlich, zumal es nur
völlig unzureichende Informationen gab. Hinzu kam, daß der Shuttle-Betrieb
wenig neue Erkenntnisse brachte, da es an Erklärungen fehlte und die
Streckengeschwindigkeiten nur zwischen 10 und 40 km/h lagen.
ICE, Neigezug und S-Bahn
In den Messehallen zeigte man ein Modell des projektierten ICE 3. Der ICE
hat sich, bei aller Kritik an dem System als Energiefresser, als sehr
erfolgreich erwiesen und die Eisenbahn wieder "salonfähig" gemacht. Die
kürzlich in Dienst gestellte zweite Generation dieser Triebzüge präsentiert
sich optisch fast gleich, aber technisch weiterentwickelt und leider nur
noch mit Großraumabteilen. Der nun gezeigte neue Triebkopf macht auch
optisch deutlich, daß hier eine Weiterentwicklung stattfindet. Die Abkehr
vom klassischen Abteil trifft auf subjektiv sehr differierende Wertungen,
entspricht aber den Nutzungsgewohnheiten einer Mehrheit von Passagieren.
Ein Fortschritt wäre es aber, wenn man sich von der Enge eines Flugzeugabteils
verabschieden könnte und Grundrisse findet, die mehr Bewegungsfreiheit für
alle Gliedmaßen garantieren. Im ICE 3 soll es auch möglich sein, über den
Lokführer hinweg einen Blick auf die Strecke zu werfen. Man braucht
nicht lange zu raten, welche Plätze dann zuerst verkauft sein werden.
Der von ADtranz vorgestellte Neigezug BR 611 demonstriert eine bereits
bewährte Technologie, die, alternierend zu teurem Streckenausbau, als
Beschleunigungsmaßnahme weiter Beachtung verdient. Der Zug ist auch ein
schönes Beispiel für die zivile Nutzung militärischer Technik: das
Neigesystem wurde ursprünglich für den Leopard-Panzer entwickelt. Die
praktische Bewährung der neuen Bauart steht allerdings, wie von der
Herstellerfirma nicht anders gewöhnt, unter keinem guten Stern. Alle Züge
gingen im Oktober an das Werk zurück, die öffentliche Präsentation erfolgte
ohne zugelassenes Neigesystem und mit reduzierter Streckengeschwindigkeit.
Der Fahrplan auf der auserwählten Strecke Frankfurt am Main - Saarbrücken
wurde zu Makulatur. Mit der Häufung derartiger Pannen bei der Inbetriebnahme
neuer Schienenfahrzeuge wird das System Schiene kaum Pluspunkte gewinnen
können. Man kann sowohl an die Besteller als auch an die Industrie nur
appellieren, bei allem Preiskampf auf die eingehende Erprobung neuer
Komponenten und vor allem auf die Überprüfung von deren reibungslosem
Zusammenwirken nicht zu verzichten.
Ein Blickfang war der in ungewöhnlichem Design gehaltene S-Bahn-Zug für
Kopenhagen. Die bauchige Form garantiert eine optimale Ausnutzung des
Lichtraumes, das Innere ist gediegen in dunklen, fast schon zu dunklen,
Farben gehalten. Angenehm wirkt die augenscheinliche Geräumigkeit im Zug.
Ungewöhnlich auch die Lauftechnik: Es wurden gelenkte Einzelachsfahrwerke
eingebaut. Man wird abwarten müssen wie die Fahreigenschaften bei stärkerem
Verschleiß und auf weniger guten Gleisen ausfallen werden.
U-Bahn-Baureihe H
Die breite Öffentlichkeit konnte erstmals den Berliner U-Bahn-Zug der
Baureihe H besichtigen. Gewöhnungsbedürftig ist auf jeden Fall der Durchblick
über die gesamte Zuglänge. Es gab allerdings schon warnende Stimmen vor
Skatebord-Fahrern und Inline-Rollern, die hier eine neue Spielwiese finden
könnten. Auch darauf, daß Personen, die schon auf dem Bahnsteig
Fahrpraktizieren werden, wird man wohl nicht lange warten brauchen.
Neuerdings ist jedoch die Rede
davon, daß seitens der BVG nun doch Dreiwagenzüge (statt sechs Wagen)
gewünscht werden. Vorteile wären u.a. eine bessere Anpassung an das
Fahrgastaufkommen und eine Senkung von Standzeiten kompletter Einheiten.
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Umstritten. Der neue Berliner U-Bahn-Zug Typ H mit sechs durchquerbaren Wagen und ausschließlichen Längssitzen. Foto: Thomas Billik |
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Ein Sicherheitsgewinn hinsichtlich möglicher Übergriffe oder eines
allgemeinen Bedrohungsgefühls ist der neue U-Bahn-Zug auf jeden Fall, die
subjektive Wertung der Längsbänke fällt dagegen sehr unterschiedlich aus.
Sie werden von einem Teil der Fahrgäste gegenüber den Quersitzen durchaus
favorisiert, genauso wie es entschiedene Befürworter einer
Fahrzeug-Ausführung mit Quersitzen gibt. Der Dauer der Bahnhofsaufenthalte
kommen die Längsbänke auf jeden Fall entgegen. Das Kriterium
Reisegeschwindigkeit verdient durchaus mehr Beachtung, als dies in der
öffentlichen Diskussion bislang der Fall war. Man versuche einmal,
einen vollbesetzten Wagen der Reihe F vom Sitzplatz aus zu verlassen.
Niederflurstraßenbahnen
Zu sehen war der GT6N von ADtranz in der Berliner Ausführung - ein frisch
von der Nachbesserung gekommener Wagen. Das Modell wurde schon oft genug
gewürdigt. Nur soviel in Kürze: Die 1994 gebaute Serie von 60 Wagen ist
immer noch nicht vollständig in Betrieb. Bombardier Eurorail zeigte den
teilniederflurigen Wagen für Köln. Auch er hatte seine Kinderkrankheiten,
deren Behebung aber effektiv in sehr kurzer Zeit erfolgte. Der Wagen ist ein
Kompromiß, er ist eigentlich der Kategorie "Mittelflur" zuzuordnen und weist
einen hohen Sitzplatzanteil auf. Die Einführung des Wagens in Köln war
verbunden mit flächendeckendem Bahnsteigumbau. Eine Kompatibilität mit
anderen Modellen ist damit nicht gegeben. Eine kurzfristig günstigere
Beschaffung mit langfristiger Festlegung auf einen Typ zu erkaufen,
ist wenig ratsam.
Busse, Folien und BVG
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Foto: Marc Heller (11/96) |
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Blick vom gleichnamigen U-Bf in die Seestraße nach Westen (links) und Osten. Auch die schönsten Fahrzeuge auf der InnoTrans entschädigen nicht dafür, daß der Streckenausbau in Berlin nur sehr langsam vorankommt, bei der S-Bahn-Wiederinbetriebnahme ebenso wie beim Straßenbahnneubau. An der Tram-Verlängerung durch die Seestraße wird nun wenigstens gebaut, auf die zum Alexanderplatz werden wir wohl noch lange warten müssen. Foto: Marc Heller (11/96) |
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Die gängigen Bustypen der BVG wurden gezeigt: der neue Doppeldeckbus,
den Berliner Fahrgästen
längst nicht mehr unbekannt, ein dreitüriger Standardbus und ein
dreitüriger Gelenkwagen. Bei den Gelenkbussen wäre im Interesse der
Reisegeschwindigkeit die Rückkehr zur viertürigen Ausführung empfehlenswert,
wie sie bei anderen Verkehrsbetrieben auch eingesetzt wird, z.B.
Brandenburg und Cottbus.
Interesse verdient das Angebot einer dänischen Firma, die Schutzfolien
offeriert, mit denen das leidige Problem zerkratzter Fensterscheiben
und der Graffitis gemildert werden könnte.
Die BVG zeigte auf der InnoTrans starke Präsenz, vor allem mit den
Aktivitäten ihrer wertschöpfenden Bereiche wie Fahrzeuginstandsetzung,
Infrastruktur und Ingenieurleistungen. Auf geplante Aktivitäten im
eigentlichen Aufgabenbereich, dem Verkehrsangebot für das Berliner
Stadtgebiet, wurde verschiedentlich hingewiesen, so auf die schon
lange geplante Einführung des rechnergestützten Betriebsleitsystems (RBL).
Zitat aus der Werbebroschüre: "Um die Fahrtzeiten weiter zu verkürzen,
werden wir die gängigen Beschleunigungsmaßnahmen noch intensiver nutzen
und unsere Fahrzeuge überdies mit Geräten zur aktiven
Lichtsignalbeeinflussung ausrüsten". Die Botschaft hör' ich wohl...
Es wäre schon ein Gewinn, wenn die "gängigen" Möglichkeiten überhaupt
genutzt würden. Die Fahrzeiten sind bislang meist gestiegen, vor allem mit
Einrichtung neuer Ampeln. Hoffen wir, daß die nun verfolgten Ziele nicht
einem Sparkurs geopfert werden, der eine langfristige Effizienzsteigerung
der Verkehrsbetriebe unmöglich macht und auch den Offerten der Aussteller
auf Messen wie der InnoTrans die nötige Nachfrage mangels zahlungsfähiger
Kunden den Boden entzieht.
IGEB
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