Anfang Juli 2014 startete in Hamburg
das Projekt „Linie Fünf“ mit einer
Website, auf der Vorschläge für
den zukünftigen Ausbau des Nahverkehrs
in der Elbmetropole gesammelt
werden (liniefuenf.de).
Es ist eine offene Ideensammlungs-
und Diskussionsplattform,
bei der alle Interessierten mitmachen
können. Im Oktober 2014
startete das Projekt auch in Berlin
unter dem Namen „Linie Plus“.
Die Grundidee: offene Bürgerbeteiligung
im Internet – und
das Beispiel Nexthamburg
Mit dem Aufkommen des „Web
2.0“ wandelte sich das Internet
verstärkt von einem passiven
Informationsmedium zu einem
interaktiven virtuellen Raum. Verschiedenste
Unternehmen, Interessengruppen
oder z. B. politische
Akteure begannen, (konstruktive)
Kritik und kreative Ideen aus der
breiten Masse der Internetnutzer
einzuholen – „Crowdsourcing“, wie
es heute heißt.
Auch im Themenfeld Stadtentwicklung
erfolgte die klassische
Bürgerbeteiligung bei städtischen
Planungen und Bauprojekten vermehrt
mithilfe des Internets. Denn
durch eine oftmals unzureichende
und zu späte Einbeziehung der Bürger
in den formellen Planungsverfahren
hatte sich viel Unmut aufgestaut,
der zu Protesten wie denen
gegen „Stuttgart 21“ führte.
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Titelseite Nexthamburg-Buch Foto: Sven Lohmeyer, Nexthamburg |
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Ein Beispiel für ein Projekt, das
neue Wege in der Bürgerbeteiligung
beschreitet, ist die 2009
gestartete Initiative
Nexthamburg (nexthamburg.de),
aus der heraus die Idee
für das hier beschriebene Nahverkehrsprojekt
entstand. Auf der Internetseite
sind Bürger dazu aufgefordert, Ideen für
das Hamburg der Zukunft einzureichen –
ganz gleich, welcher Größenordnung.
Die Ideen werden diskutiert, redaktionell
und von der Community weiterentwickelt
und – in der aktuellen Phase – zur Projektreife
gebracht. Die Online-Plattform wird
dabei von regelmäßigen Offline-Formaten
flankiert. Eine Synthese aus den ersten
drei Jahren der Ideensammlung und -vertiefung
bietet das 2012 erschienene Buch
„Nexthamburg: Bürgervisionen für eine
neue Stadt“, das thematisch gruppiert die
beliebtesten Ideen aus der Sammlung anhand
von Illustrationen und erläuternden
Texten zeigt.
Crowdsourcing für
öffentlichen Nahverkehr?
2012 wurde das beschriebene Modell von
Nexthamburg erstmals in andere Städte
exportiert. Projekte mit demselben auf
die Stadtentwicklung von morgen bezogenen
Ansatz entstanden z. B. in Bangalore,
Belgrad und Lissabon, später auch
u. a. in Istanbul, Kassel und Zürich. Gleichzeitig
gab es aber erste Beauftragungen,
die inzwischen erprobten Instrumente
im Rahmen von formellen Planungsverfahren
oder von Entwicklungskonzepten
einzubringen.
Einen besonderen Schwerpunkt bildete
hier das Thema Verkehr. Für den Hamburger
Bezirk Wandsbek wurde im Rahmen des
Nexthamburg-Sonderdialoges „Wandsbek
Impuls“ in kollaborativer Form eine Vertiefung
„Mobilität“ ausgearbeitet.
An erster Stelle ist aber „Bremen bewegen“
(bremenbewegen.de) zu
nennen, der überaus erfolgreiche Bürgerdialog
zur Ausarbeitung des Verkehrsentwicklungsplans
der Freien Hansestadt Bremen.
In der ersten Phase des Projekts ab
Ende 2012 wurden innerhalb von zwei Monaten
über 4000 Beiträge und über 7000
Kommentare eingereicht. In sehr vielen
Fällen wurden neben der Benennung von
Mängeln und Problemen auch Lösungsvorschläge
eingebracht. Das Projekt hat
gezeigt, dass das Thema Verkehr ein besonderes
Potenzial bietet und die Bürger
sich oftmals selbst schon viele Gedanken
zu Problemlösungen machen.
Wie aber sieht es beim Thema Öffentlicher
Nahverkehr aus? Hier wird in einigen
Online-Foren zwar ausführlich diskutiert,
viele Blogs und Nachrichtenseiten versorgen
den Interessierten mit den wichtigsten
Neuigkeiten von lokal bis global und laden
zum Kommentieren ein. Das Crowdsourcing
im öffentlichen Nahverkehr scheint
aber bisher fast ausschließlich auf die Online-Version
des „Kummerkastens“ oder –
gerade mit dem Bedeutungsgewinn des
mobilen Internets wichtig – das Ermitteln
von Fahrplan-Echtzeitdaten unter Einbeziehung
von Nutzerortung beschränkt zu
sein. Gezielt auf die Zukunft des öffentlichen
Nahverkehrs ausgerichtete kollaborative
Beteiligungsplattformen sind noch
neues Terrain. Im Frühjahr 2014 entstand
die Idee, eben solch eine Plattform zu
gründen. Auslöser waren die in Hamburg
stark polarisierte Diskussion „Stadtbahn-Neubau
versus U-Bahn-Ausbau“, aber auch
der generelle Wunsch, das Nexthamburg-Prinzip
einmal auf den Ausbau des öffentlichen
Nahverkehrs anzuwenden.
Das Projekt Linie Fünf
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liniefuenf.de |
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Screenshots der Beitragsübersicht und eines Linienvorschlags für Hamburg. liniefuenf.de |
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Ein Name für das Hamburger Projekt zur
Ausarbeitung einer kollaborativen Zukunftsstrategie
für den Nahverkehr war
schnell gefunden: „Linie Fünf“. Die umstrittene
nächste U-Bahn-Linie trägt diese
Liniennummer, ebenso wie die nächste
S-Bahn-Linie, wenn die im fortgeschrittenen
Planungsstadium befindliche S 4
gebaut ist. Und für die Straßenbahn passt
es auch, denn welche Linie würde sich am
besten für eine erste neue Linie diesen Verkehrsmittels
eignen als die chronisch überlastete
Metrobus-Linie 5?
Die Fertigstellung der Plattform zog sich
jedoch eine Weile hin. Neben den technischen
und inhaltlichen Bausteinen, die in
modifizierter Form von anderen Projekten
übernommen werden konnten, kamen
technisch anspruchsvolle Aufgaben
hinzu: Dem Nutzer sollte die Möglichkeit
gegeben werden, auf einer Kartengrundlage
Linien zu zeichnen, Haltestellen zu
setzen und Haltestellennamen einzugeben
– neben den textlichen Angaben von
Titel und Beschreibung. Zudem sollten
die Linien in der Farbe des ausgewählten
Verkehrsmittels und die Haltestellen mit
dem dem Verkehrsmittel zugeordneten
Symbol erscheinen. Daneben wurde die
bei anderen Projekten bisher nicht mögliche
Bearbeitung vorhandener Beiträge
eingerichtet – was bei der Komplexität der
Streckenvorschläge sehr wichtig ist, um
nachbessern zu können. Nicht zuletzt sollte
in der Beitragsübersicht in Kachelform
für jeden Vorschlag eine Miniatur-Karte mit
dem eingetragenen Strecken- oder Haltestellenvorschlag
dargestellt werden. Der
Entwicklungsaufwand war also trotz vieler
vorhandener Elemente groß.
Doch Anfang Juli 2014 startete das Projekt in seiner jetzigen Form. Durch Bekanntmachung
in verschiedenen Nahverkehrsforen wurden gezielt potenziell interessierte
Nutzergruppen angesprochen. Der Effekt war groß: Bis Ende August kamen über 350
Vorschläge und weit über 600 Kommentare zusammen. Fast ein Drittel der Vorschläge
bezieht sich auf den Ausbau des U-Bahn-Netzes, knapp ein Viertel auf den Bus, jeweils
etwa ein Sechstel auf Straßenbahn und S-Bahn. Aber auch weitere Verkehrsmittel
wie u. a. die hamburgspezifische AKN, Regionalbahnen oder Hafenfähren
sind bereits mit Vorschlägen vertreten. Die Vorschläge lassen sich untergliedern in
Linienergänzungen, Streckenneubauten, Haltestellenergänzungen im Bestandsnetz
und – im Hinblick auf das Busnetz – viele Vorschläge
für die Umstrukturierung von Linienverläufen.
Als eigenständige Gruppe sind auch die zahlreichen
Vorschläge für zweite Haltestellenzugänge im
Bestandsnetz zu sehen. In der überwiegenden Zahl
liegen die Vorschläge auf Hamburger Gebiet, aber
auch für die Außenbereiche der Metropolregion liegen bereits zahlreiche
Ideen vor.
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Über den Autor Johannes Bouchain, Dipl.-Ing. Stadtplanung, ist Gründungsgesellschafter von Nexthamburg, welches 2009 basierend auf einer Idee des Hamburger Stadtplaners Julian Petrin offiziell gegründet wurde und inzwischen mit einem großen Team breit aufgestellt ist. Er leitet dort den Bereich Programmierung und hat mit „Linie Fünf“ das Prinzip der interaktiven Bürgerbeteiligung erstmals auf die ÖPNV-Planung übertragen. Foto: Peter Fey, Nexthamburg |
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Auffällig ist, dass einige Nutzer sehr viele
Beiträge verfassen – teilweise werden
alle Linien eines Gesamtkonzepts als Einzelbeiträge
eingestellt. Dies geschieht sicherlich
auch im Hinblick auf die nächsten
Phasen des Projekts. Noch 2014 wird die
Phase der Expertenbewertungen und
der Priorisierung folgen. Gleichzeitig
wird es den Nutzern dann ermöglicht, ihre eigenen Vorschläge
oder die anderer zu Gesamtkonzepten zusammenzufassen.
In dieser Phase können dann erstmals Bewertungen der Vorschläge
erfolgen, wobei hier auch Experten zu Wort kommen sollen: Verkehrsplaner von
Seiten der Stadt oder aus Planungsbüros, Experten aus dem universitären Umfeld
und weitere mit dem Thema professionell befasste Akteure werden um Statements
zu ausgewählten Vorschlägen gebeten. In der dritten Phase werden die am besten
bewerteten Vorschläge und Konzepte gemeinschaftlich zu einer Zukunftsvision
zusammengestellt, die dann – ebenso wie 2012 das Nexthamburg-Buch – in gedruckter
Form erscheinen soll. Gerade in Phase 2 und 3 wird die Online-Aktivität durch
verschiedene Veranstaltungen begleitet. Und danach geht es wieder von vorne los
mit einer neuen Sammlungsphase.
Was kann man erreichen?
Man mag sich nun fragen, was das Ziel des
Ganzen ist. Eine Umsetzung kann sicherlich
nur bei kleinen, kurzfristigen Maßnahmen
der nächste Schritt sein, z. B. bei
kleinen Ergänzungen oder Änderungen
im Busnetz. Komplette U- oder S-Bahn-Linien neu zu bauen, was viele
vorschlagen, scheint oft auch langfristig
unwahrscheinlich. Hauptziel eines derartigen Projekts kann es also
nicht sein, alle Vorschläge eins zu eins
zu realisieren. Vielmehr geht es vordergründig
darum, den kreativen Mitdenkern des Nahverkehrs der Zukunft
einen Raum zu geben, der frei von finanziellen oder politischen Grenzen
das Entwerfen und Zusammenstellen einer eigenen Nahverkehrsvision
ermöglicht. Ein Raum, in dem man gezielt mit anderen Interessierten in einen
Dialog zu den eingebrachten Ideen treten kann und der es schließlich ermöglicht, den
einen oder anderen entscheidungsfähigen Experten mit der einen oder anderen Idee
anzustecken – und sei es auch nur bezüglich
kleiner Teilaspekte der großen Vorschlagsvielfalt.
Der Grundgedanke ist, der Kreativität
freien Lauf zu lassen und später einzelne
Rosinen aus diesem Kuchen tatsächlich
in die politische bzw. verkehrsplanerische
Diskussion einzubringen. Der gesamte
„Kuchen“ aber, die gesamte aus
dem Projekt Linie Fünf entstandene Nahverkehrsvision
wird – verziert und ausgeschmückt
– in eine schöne, gedruckte
Form gebracht. Ein Buch, das vielleicht
doch den einen oder anderen Aha-Effekt
hinsichtlich neuer und interessanter Ideen
auslöst, so utopisch sie auch sein
mögen. Ein Endprodukt, das eine große
Bedeutung als Abschluss der ersten
Runde von Linie Fünf hat und das den Wert einer gemeinschaftlichen,
zugleich spielerischen und
fundierten Ideensammlung für den Nahverkehr
der Zukunft aufzeigt.
Was ist für Berlin geplant –
und für eventuelle weitere Städte?
Das Projekt für die Hauptstadt geht hiermit
an den Start. Seit Anfang Oktober 2014 ist
es online – und der Ablauf der Phasen von
den einzelnen Ideen über die Konzepte zur
gemeinschaftlichen Vision wird zeitversetzt
dem in Hamburg entsprechen. Der
Vorteil ist aber, dass die Redaktion und Moderation
hier von vornherein breiter aufgestellt
ist, um auf die hoffentlich große Zahl
an Vorschlägen eingehen zu können. Auch
die mediale Präsenz der Berliner Variante
ist bereits von Anfang an stärker. Zudem
sind hier gleich zu Beginn weitere Filter eingerichtet,
die helfen, neben der möglichen
Auswahl bestimmter Verkehrsmittel, Nutzer
oder Ortsteile und Gemeinden einen
Überblick über die Vielzahl der Vorschläge
zu gewinnen. Einfach auf linieplus.de vorbeischauen
und loslegen!
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Verkehrsplanung für alle verspricht das Hamburger Projekt „Linie Fünf“, welches nun auch für Berlin gestartet ist. Weitere Städte sollen folgen Foto und Montage: Raul Stoll |
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Auch der Grundstein für weitere Ausweitungen
ist damit gelegt, denn mit relativ
geringem Aufwand lässt sich für jede Stadt
und Region ein eigenes Unterprojekt für Linie
Plus erstellen – vorausgesetzt, dass sich
ein Team für die Redaktion und technische
Betreuung der jeweiligen Unterseite findet.
Denn zumindest derzeit ist die finanzielle
Unterstützung der Projekte ausbaufähig –
und Interessierte, die redaktionell und
technisch unterstützen möchten, sind immer
willkommen. Auch für die Projekte in
Hamburg und Berlin.
Bei Interesse einfach eine
E-Mail an post (ät) liniefuenf.de schreiben.
Johannes Bouchain
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