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Die jahrzehntelang uneingeschränkt als
Fortschritt gefeierte Massenmotorisierung
hat bis heute ihre Spuren in unseren Städten
hinterlassen. Die Straßenräume wurden – in
Ost wie in West – zugunsten des fließenden
Verkehrs umgestaltet, und der Autoverkehr
drängte die Fußgänger und Radfahrer im
wahrsten Sinn des Wortes an den Rand. Die
verbreitete Stilllegung von Straßenbahnstrecken
war eine weitere Folge dieser Politik.
Erst seit gut 30 Jahren wird der Aufenthaltsqualität
der Straßenräume wieder mehr
und mehr Bedeutung beigemessen, werden
Mischverkehrsflächen konzipiert,
Fußgängerunterführungen
zugeschüttet, Gitter –
teilweise – beseitigt und der Zebrastreifen
wiederentdeckt.
Aber Verwaltungen sind sehr zäh, und
Lehrsätze, die vor Jahrzehnten an den Verkehrshochschulen
in die Köpfe der Planer
gehämmert wurden, halten sich in manchen
Straßenverkehrsbehörden bis heute. Ein Beispiel
ist das großräumige, fußgängerfeindliche
Abgittern von Haltestellenbereichen
und Zugängen speziell von Straßenbahnhaltestellen,
das gerade in Berlin ein großes
Problem für Fußgänger, Rollstuhlfahrer
und Radfahrer darstellt – leider auch bei
aktuellen Neuanlagen von Straßenbahnhaltestellen,
wie jetzt am Invalidenpark in
Berlin-Mitte zu beobachten ist. Ein anderes
extrem fahrgastfeindliches Beispiel ist die
Straßenbahnhaltestelle Schalkauer Straße
in Berlin-Lichtenberg (siehe SIGNAL 1/2013).
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Haltestelle Grünberger/Warschauer Straße. Aus der Mauerstadt Berlin wurde die Gitterstadt – jedenfalls für Fahrgäste und Fußgänger. Foto: Tom Gerlich |
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Erst unlängst wurde eine massive Gitterreihe
im Mittelstreifen der Sonnenallee
am Bahnhof Köllnische Heide errichtet, um
Fahrgäste von und zur S-Bahn an dieser Stelle
zu hunderte Meter weiten Umwegen zu
zwingen, desgleichen im Straßenzug Adlergestell
am Bahnhof Schöneweide – hier ist
im Übrigen ein „besonders gelungenes“ Beispiel
für „Verkehrsentlastung und Schaffung
attraktiver Stadträume durch Autobahnbau“
(A113 vor zehn Jahren) zu besichtigen: Die
Fußgänger werden weiter schikaniert und
zu Umwegen gezwungen, auf den versprochenen
Straßenrückbau parallel zur Autobahn
wurde verzichtet.
Und warum wurden die Gitter aufgestellt?
Weil es an diesen Stellen ein Verkehrsbedürfnis
für Fußgänger gibt, die aber dem
„frei fließenden“ Autoverkehr in die Quere
kommen. Und anstatt komfortable Querungsmöglichkeiten
dort zu schaffen, wo ein
Bedarf besteht, werden in der ideologischen
Sackgasse des Senats und der Bezirksämter
lieber weitere Gitterreihen errichtet.
Dass es an besonders unübersichtlichen
Stellen geboten sein kann, eine Kanalisierung
der Verkehrsteilnehmer anzustreben,
soll nicht bestritten werden, aber warum
müssen sich dann eigentlich immer Fußgänger,
Rollstuhlfahrer und Radfahrer auf
Umwege begeben, werden durch Gitter geschurigelt
und müssen an Ampeln Lebenszeit
vergeuden? Warum dauert es eigentlich
an der Kreuzung Allee der Kosmonauten/Rhinstraße zwei Minuten, um einen Weg
von 25 Metern zurückzulegen? Warum werden
solche Ecken nicht durch sinnvolle Umbauten
der Fahrbahnen entschärft, indem
zum Beispiel kein mehrspuriger ungebremster
Autoverkehr in Haltestellenbereichen
von Bussen und Straßenbahnen zugelassen
wird, dafür aber der schnelle Abgang der
Fahrgäste auf ganzer Haltestellenlänge ermöglicht
wird? Andere Städte machen das
vor, in Berlin werden Fußgänger dagegen
oft wie „einzusperrende Wilde“ behandelt.
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Neue Straßenbahn- und Bushaltestelle Invalidenpark. Unverständlich – auch hier hielten die Planer die Gitter für erforderlich. Foto: Tom Gerlich |
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Und deshalb werden 62 m lange Haltestellen
von Straßenbahnen regelmäßig mit
beidseitig über 200 Metern Gittern versehen,
die vor allem bewirken, dass das Verlassen
des Haltestellenbereiches sehr viel länger
dauert, als nötig. Klar, dass sich Fahrgäste
den Weg suchen, der sie am schnellsten an
ihr Ziel bringt, speziell, wenn es sich um Alltagswege
wie die zwischen Wohnung und
Haltestelle handelt.
Deshalb werden an provisorischen Zuwegungen
zu Haltestellen und Bahnhöfen
nicht zuerst die Bordsteinkanten abgesenkt
und die Wege benutzbar gemacht, sondern
Gitterschläuche von mehreren hundert Metern
Länge installiert, wie das am S-Bahnhof
Schöneweide auf der Johannisthaler Seite
geschehen ist.
Es gibt Straßenbahnbetriebe in Deutschland,
die aus historischen Gründen den fahrgastfeindlichen
Weg gegangen sind und
sich mit Tunneln, Rampen und Gittern von
den Fahrgästen abschotten und teilweise
kilometerlange Barrieren in den Städten
errichtet haben, beispielsweise in Hannover,
Köln-Bonn, Frankfurt am Main und Stuttgart.
Allerdings sind auf einigen dieser Netze die
gefahrenen Geschwindigkeiten wesentlich
höher als in Berlin. So fährt die Straßenbahn
in Hannover praktisch ohne Ampelstopps
durch die Stadt. Aber nicht einmal dieses
Ziel verfolgt der Berliner Senat. Busse und
Bahnen werden weiterhin benachteiligt,
einmal eingerichtete Vorrangschaltungen
werden wieder außer Betrieb gesetzt oder
Linksabbiegespuren für die Autos werden
auf Straßenbahngleisen markiert.
Die autogerechte Stadt ist in den Köpfen
vieler Berliner Planer noch nicht Geschichte,
sondern gelebte Gegenwart. Und das in der
Stadt, die eine so geringe Motorisierungsrate
hat wie keine andere deutsche Stadt. (mg)
IGEB Stadtverkehr
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