Nahverkehr

„BVG ohne Änderung der Rahmenbedingungen nicht wettbewerbsfähig“

Jahresbericht des BVG-Aufsichtsrates für 1996

Der Aufsichtsrat der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) - Anstalt des öffentlichen Rechts - hat sich während des Geschäftsjahres 1996 in regelmäßigen Sitzungen und durch schriftliche Berichte vom Vorstand über die wirtschaftliche Lage und Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichten lassen.

Aufgrund der erteilten Auskünfte und anhand von Unterlagen hat er die Geschäftsführung des Vorstandes überwacht und notwendige Entscheidungen nach Gesetz und Satzung getroffen.

Der Jahresabschluß, der Geschäftsbericht einschließlich Lagebericht und der Bericht des Abschlußprüfers, der WIBERA Wirtschaftsberatung AG, haben dem Aufsichtsrat der BVG Vorgelegen, für den der uneingeschränkte Bestätigungsvermerk erteilt wurde.

Zum Ausgleich des Jahresfehlbetrages 1996 reduziert sich im Geschäftsjahr 1997 die Kapitalrücklage von 718.766.730,52 DM um 314.025.831,55 DM auf 404.740.898,97 DM.

Zugleich weist der Aufsichtsrat daraufhin, daß die gesetzliche Rücklage bereits im Geschäftsjahr 1996 zur Deckung des nicht durch den Haushalt des Landes Berlin gedeckten Jahresfehlbetrages 1994 in voller Höhe in Anspruch genommen wurde; die gesetzliche Rücklage ist damit aufgebraucht.

Desweiteren bemängelt der Aufsichtsrat nachdrücklich, daß für das Unternehmen ein Teil der Planungssicherheit - durch eine Minderung der finanziellen Ausstattung aus dem geschlossenen Unternehmensvertrag - verlorengegangen ist.

Der nicht ausgeglichene Jahresfehlbetrag von 314 Mio DM führte unter Berücksichtigung der Abschreibungen und der Auflösung des Sonderpostens für Investitionszuschüsse in 1996 zu einem Fehlbetrag und einem entsprechenden Substanzverlust für das Unternehmen. Die BVG ist derzeit kaum in der Lage, künftige Ersatzinvestitionen aus eigenen Rückflüssen (verdiente Abschreibungen) zu finanzieren bzw. über Mittel für die Tilgung von Darlehen zu verfügen.

Insoweit verweist der Aufsichtsrat auf seine bereits in der Vergangenheit (siehe Bericht 1995) bezogene Position, daß ohne eine Änderung der Rahmenbedingungen die Wettbewerbsfähigkeit - die bis zum 31. Dezember 1999 erreicht werden soll - nach wie vor nicht gesichert ist.

Deshalb fordert der Aufsichtsrat u.a. eine Entlastung von infrastrukturbedingten Mehraufwendungen sowie von nicht bilanzierten Pensionsverpflichtungen durch den Aufgabenträger. Ferner ist eine aktive Unterstützung von Beschleunigungsmaßnahmen für Omnibus und Straßenbahn zur Kostenreduzierung und Attraktivitätssteigerung des Nahverkehrs erforderlich.

Der Aufsichtsrat billigt den Jahresabschluß zum 31. Dezember 1996 und erteilt dem Vorstand die Entlastung.

Für die im Geschäftsjahr 1996 geleistete Arbeit spricht der Aufsichtsrat dem Vorstand, den Personalvertretungen und allen Mitarbeitern seinen Dank aus.

Berlin, 18.8.1997
Der Vorsitzende des Aufsichtsrates Elmar Pieroth

Der Bericht des Aufsichtsrates wurde dem BVG-Geschäftsbericht für 1996 entnommen.

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[IGEB] Man darf zwar vermuten, daß dieser mahnende Appell nicht aus der Feder des unterzeichnenden Aufsichtsratsvorsitzenden, Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU), stammt, aber zumindest eine Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder weist unmißverständlich daraufhin, daß die BVG aufgrund ihrer Finanzsituation in ein schon bald nicht mehr steuerbares Desaster rast. 1997 wird die BVG zur Abdeckung ihres Jahresfehlbetrages wohl die noch verbliebene Kapitalreserve verbrauchen - und dann wird aus dem Sinkflug der freie Fall.

BVG Busse auf der Straße
Wie lange wird sie noch fahren können, unsere BVG? Nicht nur der Berliner Fahrgastverband IGEB, sondern auch der BVG-Aufsichtsrat befürchtet, daß es ohne Änderung der Berliner Verkehrspolitik für die BVG keine Zukunft geben wird. Foto: Marc Heller

Bis zum Jahr 2000 (also dem Jahr, in dem die BVG wettbewerbsfähig sein soll) ist zu erwarten, daß der Wertverlust des Unternehmens durch nicht mehr mögliche Ersatzinvestitionen auf 1,5 bis 2 Milliarden (!) DM gewachsen sein wird. In der Folge heißt das z.B. auch, daß auf genommene Darlehen nicht mehr bedient werden können, so daß der "Gewährsträger", also das Land Berlin, uneingeschränkt für die Verbindlichkeiten haftet. Die BVG wird praktisch nicht mehr geschäftsfähig sein, geschweige denn in einem liberalisierten Verkehrsmarkt mithalten können.

Wenn vom Berliner Senat nicht kurzfristig eine gewaltige Kurskorrektur vollzogen wird, werden Diepgen & Co. schon bald mit einem bankrotten Unternehmen und ca. 16.000 BVG-Mitarbeitern dastehen, die auf der Grundlage des §14 Berliner Eigenbetriebsreformgesetzes im Falle einer Rechtsformänderung - hier: "Pleite" - de facto einen Weiterbeschäftigungsanspruch durch das Land Berlin haben.

Also, werter Verkehrssenator Klemann, auch wenn Ihnen und Ihrem Ingo der Autoverkehr sehr viel mehr am Herzen liegt als das Wohl und Wehe des Berliner ÖPNV und der BVG, so sollten Sie doch vermeiden, auf den Spuren von Jürgen Schneider zu wandeln und als Groß-Pleitierin die Geschichte einzugehen. Geben Sie sich einen Ruck und ändern Sie radikal Ihren Kurs, bevor das Schiff mit Ihnen in den aufziehenden Unwettern versinkt. Falls Sie nicht wissen sollten wie, ein Blick in die SIGNAL-Ausgaben der letzten Jahre hilft da bestimmt weiter...

BVG-Aufsichtsrat

aus SIGNAL 7/1997 (Dezember 1997), Seite 13-14

 

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