Während der Geschäftsführer der NVS, Dr. Peter Diedrich, anhand eines (für die
anwesenden Kommunalvertreter nicht nachvollziehbaren) Nutzen-Kostenindikators
die geplante Abbestellung als unverrückbare Entscheidung darstellte,
argumentierten die von diesem Vorhaben sichtlich überraschten Kommunalvertreter
mit der Bedeutung der Strecke für den Kreis als notwendige Durchmesserlinie.
Zumindest wurde die Vertagung einer solch weitreichenden Entscheidung verlangt
und eine Abbestellung
bereits zum kommenden Fahrplanwechsel abgelehnt.
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Haltepunkt Posenmühle Foto: DBV |
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Während Dr. Diedrich nahezu ausschließlich mit dem Zahlenwert des
Nutzen-Kosten-Indikators argumentierte, jedoch nicht in der Lage war, diesen
plausibel zu interpretieren, wurde von den Gemeindevertretern eine Umkehr der
rückwärts gerichteten Verkehrspolitik im Personen- und Güterverkehr gefordert
und auch auf die touristische Bedeutung für Kurzurlauber und Ausflügler
hingewiesen. Der Vertreter des Regionalverbandes Saale-Orla des Deutsche
Bahnkunden-Verbandes kritisierte das zu dürftige Zugangebot, daß sich in
seiner Grundstruktur seit Jahrzehnten nicht verändert hat und für die
gegenwärtig geringe Inanspruchnahme verantwortlich ist. Bei einem verbesserten
Zugangebot, wozu auch ein veränderter Wagenpark gehört, könnten sicherlich
mehr Fahrgäste auf die Schiene geholt werden. Millionenbeträge seien in den
letzten Jahren in die Sicherung der Bahnübergänge geflossen - auch aus diesen
Gründen wäre eine Stillegung unverantwortlich.
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Bahnhof Ziegenrück Foto: DBV |
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Unter den Bedingungen einer NE-Bahn
könnten die Nahverkehrsleistungen, die gegenwärtig noch mit schweren
Dieselloks und Doppelstockwagen erbracht werden, sicherlich auch
kostengünstiger realisiert werden. Doch diesen Weg beschreitet die von einem
ehemaligen DB-Mitarbeiter geleitete und entsprechend DB-hörigen NVS nur mehr
als zögerlich. „Bei den 'Privaten' muß man vorsichtig sein", erwiderte Dr.
Diedrich auf den Vorschlag, den Regionalverkehr auf der Überlandbahn bei einer
anderen Bahngesellschaft zu bestellen. Dabei gibt es hierfür in zahlreichen
anderen Bundesländern äußerst positive Beispiele. Die bisherige Entwicklung im
Freistaat Thüringen hat leider gezeigt, daß die NVS sich in ihren
Entscheidungen praktisch ausnahmslos von den unternehmerischen Notwendigkeiten
der DB AG leiten läßt. Stehen Nutzen und Kosten für die große Bahn nicht mehr
in einem vernünftigen Verhältnis, so wird dieses als Naturgesetz für eine
unabwendbare Abbestellung angesehen. Die Chance, daß unter dem Vorzeichen
eines anderen Betreibers erfolgreiche Bahnpolitik unter Beweis gestellt werden
kann, wurde in den vergangenen Jahren bereits bei zahlreichen Nebenstrecken
vertan. Die Feldabahn (Dorndorf - Kaltennordheim) in der Rhön mußte aus diesen
Gründen ebenso dran glauben wie beispielsweise die Verbindung Ilmenau -
Großbreitenbach.
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Verzweigungsbahnhof Unterlemnitz Foto: DBV |
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'Regionalisierung' wird in Thüringen vor allem dann großgeschrieben, wenn die
Regionen sich gegen eine Strecke aussprechen: Lange Zeit setzte sich der
Deutsche Bahnkunden-Verband (DBV) für die Kleinbahn nach Saalburg ein, bekam
jedoch - mit Ausnahme von der Stadt Saalburg - das überwiegende regionale
Desinteresse an dieser Linie zu spüren. Dennoch propagierte der DBV zumindest
einen Probebetrieb mit einer durchgehenden Regionallinie von Plauen über
Schönberg - Schleiz nach Saalburg. Die Idee bestand in der Zugrundelegung der
für den Streckenabschnitt bis Schleiz eingesetzten Regionalisierungsmittel.
Die Umsetzung des Konzeptvorschlages des DBV wäre für den Freistaat somit
kostenneutral gewesen. Land und NVS standen einem solchen Vorhaben scheinbar
aufgeschlossen gegenüber, verwiesen allerdings auf die Haltung der Region,
über die sich auch der Freistaat Thüringen als Aufgabenträger des SPNV nicht
hätte hinwegsetzen können. Der durchgehende Probebetrieb wurde somit
abgelehnt. Ein nur mit Fahrgeldern finanzierter Bahnbetrieb zwischen Schleiz
und Saalburg wäre nicht wirtschaftlich gewesen, so daß der DBV von seinen
Bemühungen zum Erhalt der Saalburger Strecke schweren Herzens Abstand nehmen
mußte.
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Eisenbahnstrecke Triptis - Unterlemnitz Karte Deutsche Reichsbahn |
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Im Fall der Überlandbahn, die von der Region befürwortet und vom Land
abgelehnt wird, gelten nun offensichtlich ganz andere Spielregeln. Hier
orientiert sich die NVS in keinster Weise am Willen der betroffenen Gemeinden
und des Landkreises und fährt einen knallharten Abbestellungskurs, der den
Bestand der gesamten Strecke in Frage stellt. Wie sehr der Freistaat mit
seiner NVS die betroffenen Kommunen hier verschaukelt, zeigt sich auch an
einer im Dezember vorgenommen Ausschreibung der NVS (gemeinsam mit der
Bayerischen Eisenbahngesellschaft BEG) zur Erstellung einer Studie zum möglich
Lückenschluß Blankenstein - Marxgrün (Wiederaufbau der Höllentalbahn).
Gegenstand der Studie ist ein die Region zwischen Saalfeld und Hof umfassendes
Schienenkonzept, doch zur Überlandbahn heißt es: „Da die Strecke Triptis -
Lobenstein vsl. im Gegenzug zu einer Reaktivierung Marxgrün - Blankenstein
stillgelegt werden kann, ist diese Strecke nicht in ein Betriebskonzept mit
einzubeziehen". Somit steht fest, daß Mitte Dezember zum Zeitpunkt der
Beratung zur Überlandbahn in Schleiz mit der NVS die Abbestellung und
Stillegung dieser Strecke bereits beschlossene Sache gewesen ist.
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Viadukt Unterlemnitz Foto: DBV |
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Der Landkreis Saale-Orla, die Gemeinden und der DBV sind nicht bereit, diese
gegen die Interessen der Region gerichtete Schienenverkehrspolitik
hinzunehmen. Der DBV erstellt daher zur Zeit ein Konzept für die Überlandbahn,
das die vielen vorhandenen Wünsche und Ideen aufgreift und den Weg für eine
neue Ära dieser Eisenbahnstrecke weisen wird. Der Schleizer Landrat Peter
Stephan und DBV-Präsident Gerhard J. Curth hatten sich am 5. Dezember am Rande
einer DBV-Tagung in Mügeln darauf verständigt, sich mit allen Möglichkeiten
für den weiteren Erhalt der Überlandbahn im Personen- und Güterverkehr
einzusetzen. Stephan erklärte die Stillegung der Schleizer Kleinbahn zur
letzten einschneidenden und geduldeten Maßnahme in seinem Landkreis. Durch
Zusammenarbeit mit allen politischen Kräften muß schnellstens eine
Kurskorrektur in der Schienenverkehrspolitik erreicht werden, sollen nicht
noch weitere irreversible Lücken im Schienennetz des Freistaates Thüringen
entstehen.
Im Zuge des Regionalisierungsgesetzes vom 27. Dezember 1993 wurde die
Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit
(Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr, und darunter fällt
auch das Nahverkehrsangebot auf der Schiene, den durch Landesrecht bestimmten
Stellen übertragen worden. Die Länder haben daraufhin in den vergangenen
Jahren ÖPNV-Gesetze beschlossen, in denen landesspezifisch der Rahmen zur
Ausgestaltung des ÖPNV und diesbezügliche organisatorische Fragen geregelt
werden. Im Freistaat Thüringen gilt seit dem 8. Dezember 1995 das Thüringer
Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr (ThürÖPNVG). Das ThürÖPNVG
sieht das Land als Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV)
vor. Zur Erfüllung dieser Aufgabe wurde Wie Nahverkehrsservicegesellschaft
Thüringen (NVS) gegründet.
Die Hauptaufgaben einer solchen Servicegesellschaft, die es mittlerweile
in jedem Bundesland gibt:
Ermittlung eines bedarfsorientierten Rahmens für die Bestellung von
SPNV-Leistungen, wobei insbesondere auf die regionalen Bedürfnissen und
Planungen eingegangen werden muß. Beauftragung geeigneter
Eisenbahnverkehrsunternehmen, die die zu erbringenden Verkehrsleistungen
kostengünstig in der erforderlichen Qualität sicherstellen können.
Gegebenenfalls Durchführung von SPNV-Leistungsausschreibungen, um
geeignete Verkehrsunternehmen auswählen zu können.
DBV-Präsidium
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