Eigentlich hatte man in München dem
schlechten Vorbild West-Berlins und Hamburgs
nacheifern wollen: Auch an der Isar
sollte die Straßenbahn vollständig verschwinden,
auf wichtigen Trassen nach und
nach ersetzt durch die U-Bahn, deren erste
Strecke 1971 eröffnet wurde.
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Die Ende 2011 eröffnete Strecke nach St. Emmeram (hier in der Englschalkinger Straße) verläuft vollständig auf eigenem Bahnkörper, der als Rasengleis ausgeführt wurde. Wagen 2111 gehört zur siebzig, 1995-1997 ausgelieferte Wagen umfassenden Münchner Baureihe R 2.2. Dahinter verbirgt sich das auch in Berlin verbreitete Modell GT6N, gebaut von AEG/Adtranz. Foto: SWM/MVG |
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Doch München hatte Glück, und zwar
auch mit seiner U-Bahn: Während die Tunnelnetze
von Berlin, Hamburg, Köln oder
Frankfurt am Main das Ergebnis immer
wieder geänderter und oft nicht zu Ende
geführter Planungen sind und daher in
mancher Hinsicht Stückwerk blieben, wurde
an Münchens Voll-U-Bahn über mehr als
vier Jahrzehnte hinweg kontinuierlich und
zielstrebig gebaut. So entstand ein schlüssig
gestaltetes Netz. Und es entstand, dank
der Bemühungen der vergangenen dreißig
Jahre, eine Vielzahl architektonisch
hervorragend, teilweise kühn gestalteter
Stationen, die deutschlandweit Maßstäbe
setzten.
Zugleich verabschiedete man sich an der
Isar von der irrigen Idee, die 1876 eröffnete
Straßenbahn aufs Abstellgleis zu manövrieren.
Auch dieser Abschied vom Abschied begann
Mitte der achtziger Jahre, als nach früheren
Plänen der „Auslaufbetrieb“ starten
sollte: Im Sommer 1986 fällte der Stadtrat –
das Münchner Gemeindeparlament – den
Grundsatzbeschluss, die Straßenbahn zu
erhalten. Allerdings kam es 1991 und 1993
noch einmal zur Stilllegung längerer Strecken,
an deren Stelle U-Bahn-Abschnitte
traten, die nun in Betrieb gingen. Das Straßenbahnnetz
schrumpfte damit auf rund
65 Kilometer, die von nur noch acht Linien
befahren wurden.
Wiederaufbau statt „Auslaufbetrieb“
Im Streckennetz schlug sich die Korrektur
der Verkehrspolitik erst am 1. Juni 1996
nieder: Die gut vier Kilometer lange Trasse
durch die Arnulfstraße, von der Nordseite
des Hauptbahnhofs bis zum Romanplatz,
wurde wiedereröffnet. Fast genau dreizehn
Jahre zuvor hatte man den größten Teil von
ihr – und damit die gesamte Linie 17 – stillgelegt,
als der U 1-Abschnitt vom Hauptbahnhof
zum Rotkreuzplatz in Betrieb gegangen
war. Der Verkehr auf dem Streckenteil am
Hauptbahnhof war bereits 1967 eingestellt
worden.
Noch länger verschwunden war die Osttangente
zwischen Max-Weber-Platz und
Ostfriedhof: Auf ihr (ganz genau genommen
zwischen Wörthstraße und Ostfriedhof)
war der Straßenbahnverkehr bereits
1968 eingestellt worden, also schon Jahre
vor der Eröffnung der Münchner U-Bahn.
War in der Arnulfstraße wenigstens der von
der Tram benutzte Mittelstreifen zu einem
nennenswerten Teil erhalten geblieben, so
musste beim Wiederaufbau der Osttangente
praktisch bei Null begonnen werden. Der
Fahrgastbetrieb auf der 2,2 Kilometer langen
Strecke wurde am 8. November 1997
aufgenommen.
Für den Bau der U 4 war Anfang der achtziger
Jahre der – erst 1970 eröffnete – Straßenbahnverkehr
östlich des Effnerplatzes
„vorübergehend“ eingestellt worden. Nach
der Jahrtausendwende entstand über die
frühere Endhaltestelle Cosimabad hinaus
bis St. Emmeram eine neue, insgesamt 4,3
Kilometer lange Strecke. Sie erschließt ein
Gebiet in den Stadtteilen Bogenhausen und
Oberföhring, in dem in den letzten Jahren
viele neue Wohnungen und Arbeitsplätze
entstanden sind bzw. noch entstehen werden.
Der reguläre Verkehr auf der Trasse, die
durchweg einen besonderen Bahnkörper
besitzt, wurde am 11. Dezember 2011 aufgenommen.
Der Bau hatte, für Berliner Verhältnisse
unglaublich, gerade einmal neunzehn
Monate gedauert.
Der Effnerplatz in Bogenhausen ist nicht
nur wegen des Tramausbaus umgestaltet
worden, sondern auch weil der berühmtberüchtigte
Mittlere Ring des Münchner
Straßensystems den Platz künftig in einem Tunnel queren sollte.
In diesem Zusammenhang
entstand als „Kunst am
Bau“-Projekt auf der Mittelinsel
die 52 Meter hohe,
von der US-Künstlerin
Rita McBride entworfene
Skulptur „Mae West“.
Durch die „Füße“ dieses
aus Rohren gebildeten
Stabwerks in Form eines
Rotationshyperboloids
fahren die Züge der Linien
16 und – in der Hauptverkehrszeit
– 18 hindurch.
Quasi-Inselbetrieb für
ein Neubaugebiet
Kein spektakuläres künstlerisches,
aber ein beeindruckendes
Ingenieurbauwerk
besitzt die zwei Jahre zuvor,
am 12. Dezember 2009, in
Betrieb gegangene Linie 23:
Für sie errichtete man die
Schenkendorffbrücke, eine
84 Meter lange Schrägseilbrücke,
die den Mittleren
Ring überquert und auch
Fußgängern und Radfahrern
dient. Vielleicht noch
bemerkenswerter an dieser
Strecke: Wie jene nach
St. Emmeram erschließt
sie zwar unter anderem ein – zuvor durch
Industrie und Kasernen genutztes – Gebiet,
in dem viele neue Wohnungen und Arbeitsplätze
entstanden sind, stellt aber keine
Verlängerung einer bestehenden Straßenbahntrasse
dar.
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Der neueste Zug auf der neuesten Strecke: Siemens Avenio (in München als „Baureihe T“ bezeichnet) vor dem Bahnhof Pasing. Seinen ersten regulären Fahrgasteinsatz erlebte das vierteilige, achttürige Fahrzeug, das bis zu 220 Passagieren Platz bietet, im September 2014. Zwei weitere Avenios sollen dies Jahr geliefert werden, insgesamt sind bisher acht bestellt. Foto: MVG/Wolfgang Wellige |
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Vielmehr handelt es sich bei der knapp
3 Kilometer langen Linie 23 aus Fahrgastsicht
um einen Inselbetrieb, der am
U-Bahnhof Münchner Freiheit (wo sich die
gemeinsame innerstädtische Stammstrecke
von U 3 und U 6 verzweigt) in einer Haltestellenanlage
mit eigenwillig gestalteter
Überdachung beginnt und, teils auf einer
ehemaligen Güterbahntrasse, nach Schwabing
Nord führt. Die Verbindung zum übrigen
Münchner Tramnetz stellt eine eigens
gebaute, rund 1 Kilometer lange Strecke her,
die am Parzivalplatz abzweigt und lediglich
von ein- und aussetzenden Zügen befahren
wird. Nur diese bedienen dann auch die Haltestelle
Kölner Platz.
Übrigens befinden sich lediglich drei der
sieben Haltestellen der Linie 23 in bzw. an
dem Neubaugebiet „Parkstadt Schwabing“,
das man in anderen Städten vermutlich einfach
durch einen Bus angebunden hätte. Zudem
besteht in München bekanntlich kein
Überangebot an Wohnraum, ein Neubaugebiet
durch eine eigens errichtete Straßenbahnstrecke
möglichst attraktiv zu gestalten,
wäre von daher also gar nicht notwendig
gewesen. Hier handelte es sich folglich
um eine verkehrspolitische Entscheidung,
wie sie leider nicht selbstverständlich ist.
Erfolgreiche Beschleunigung
Durch die Beschleunigung aller Münchner
Tramlinien konnte die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit
zwischen 1994 und 2004
um 22 Prozent erhöht werden. Ende 2013
betrug sie 19,1 km/h. Das Netz hat eine Streckenlänge
von 79 Kilometern (1964 waren es
134 Kilometer gewesen), auf denen dreizehn
Tages- und vier Nachtlinien verkehren. 2013
zählte die Münchner Verkehrsgesellschaft
mbH (MVG), eine Tochter der Stadtwerke,
bei der Straßenbahn 105 Millionen beförderte
Personen (beim Bus 184 Millionen, bei
der U-Bahn 384 Millionen). 1997 waren es
erst 73 Millionen gewesen. Für die Planung
zum Bau eines zweiten Betriebshofes (direkt
neben der Hauptwerkstatt an der Ständlerstraße)
sind die ersten Ausschreibungen
kürzlich veröffentlicht worden.
Die jüngste Streckenneueröffnung wurde
am 14. Dezember 2013 gefeiert, stellte
jedoch nur eine kleine Netzergänzung dar:
Statt am Pasinger Marienplatz zu enden,
kann die Linie 19 im verkehrsberuhigten
Zentrum dieses westlichen Münchner Stadtteils
seither eine Schleife fahren. Dadurch
wird der Pasinger Bahnhof mit seinem S-,
Regional- und Fernbahnverkehr besser angebunden.
Bis dahin hatte die Lücke zwischen ihm
und der Tram rund 250 Meter betragen.
Zugleich wurden die Bushaltestellen am
Bahnhof übersichtlicher angeordnet. Das
Neubauvorhaben umfasste ungefähr 950
Meter Strecke.
Querverbindung am Rande der
Innenstadt
Am anderen Ende Münchens, im östlichen
Stadtteil Steinhausen, haben bereits die
Vorarbeiten für die zirka 1,3 Kilometer lange
Verlängerung vom Betriebshof Einsteinstraße
zum S-Bahnhof Berg am Laim begonnen.
Durch sie sollen ein Entwicklungs- und ein
bereits bestehendes Gewerbegebiet erschlossen
werden. Nach vielen Jahren erhält
damit auch die rund 1,4 Kilometer lange
Strecke vom Max-Weber-Platz zum Betriebshof
wieder regulären Linienbetrieb. Die Bauarbeiten
sollen im Frühjahr 2015 beginnen,
als „ehrgeiziges Ziel“ wird eine Eröffnung
Ende 2015 angestrebt.
Vergleichsweise bescheiden nimmt sich
dies jedoch gegen die Westtangente aus,
das größte Neubauprojekt bei der Münchner
Straßenbahn seit einem halben Jahrhundert:
Vom Romanplatz in der Nähe des Schlosses
Nymphenburg soll die Strecke durch die
Wotanstraße zunächst nach Südwesten
führen und dann geradlinig nach Süden
die Fürstenrieder Straße entlang, vorbei am
S-Bahnhof Laim, dem westlichen U 5-Endpunkt
Laimer Platz und an der U 6-Station
Holzapfelkreuth. An der Autobahn München-Garmisch
soll sie Richtung Osten
schwenken und über die Boschetsrieder
Straße zum Bahnhof Aidenbachstraße der
U 3 in Obersendling verlaufen. Die gesamte
Trasse, die auch zwei andere Tramstrecken
kreuzt, wird bisher von der Metrobuslinie 51
bedient. Durch die Westtangente erhielte
auch der große Waldfriedhof wieder eine
Anbindung an das Schienennetz, zu dem bis
1993 eine Straßenbahn gefahren ist.
Wie der Name „Westtangente“ schon
andeutet, handelt es sich dem Projekt um
eine Querverbindung am Rande der Innenstadt,
die so entlastet werden soll. Auch
in den von dieser Strecke durchquerten
Gebieten wird ein Wachstum von Wohnund
Arbeitsstätten erwartet. Sie soll 15
Haltestellen haben und knapp 9 Kilometer
lang sein – zum Vergleich: die Berliner Straßenbahnlinie
M 10 vom Nordbahnhof zum
U-Bahnhof Warschauer Straße misst „nur“
7,8 Kilometer.
Derzeit befindet sich das Projekt, das
den vorläufigen Höhepunkt der Renaissance
der Münchner Tram darstellen würde,
in der Entwurfs- und Genehmigungsplanung.
Diese muss dann noch einmal
vom Stadtrat bestätigt und anschließend
der Regierung von Oberbayern vorgelegt
werden.
Auch der U-Bahn-Bau hat noch Fans
Freilich hat die Straßenbahn auch in München
mit Widerständen zu kämpfen. So
wird der Bau einer Nordtangente zwischen
Schwabing und Bogenhausen mit der
Querung des Englischen Gartens, die eine
gut 2 Kilometer lange Lücke im Tramnetz
schließen würde, seit Jahrzehnten erfolgreich
verhindert. Und gegen die Westtangente
streitet allen voran die CSU und lässt
sich dabei auch nicht von Fakten beeindrucken:
Waren zum Beispiel für den am
stärksten frequentierten Trassenteil in der
Arnulfstraße zur Wiedereröffnung 11 500
Fahrgäste täglich prognostiziert worden,
sind es inzwischen fast doppelt so viele.
Ebenso übertrafen andere wieder- oder
neu eröffnete Strecken die in sie gesetzten
Erwartungen.
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Am Ausgangspunkt der vollständig neugebauten Linie 23 nach Schwabing Nord, über dem viergleisigen U-Bahnhof Münchner Freiheit, entstand nach Plänen des Aachener Architekturbüros OX2 eine extravagante Überdachung der Haltestellenanlage. Daneben eine Variobahn von Stadler Rail (in München „Baureihe S“). Die ab 2009 ausgelieferten Fahrzeuge haben wiederholt Probleme bereitet. Inzwischen ist bei ihnen ein „Serienschaden“ diagnostiziert worden. Foto: MVG/Wolfgang Wellige |
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Auch haben die Stadtratsfraktionen von
CSU und SPD gerade für den Bau neuer
U-Bahn-Strecken plädiert (siehe SIGNAL 6/2014 ).
Neben Verlängerungen an der Peripherie
geht es dabei insbesondere um eine
„U 9-Spange“ genannte zweite Stammstrecke
für die U 3/U 6, westlich von der 1971 in
Betrieb genommenen. Zwischen Münchner
Freiheit oder Giselastraße in Schwabing und
Implerstraße in Sendling die Innenstadt
durchquerend, soll sie den bestehenden
Tunnel und wichtige Umsteigestationen
entlasten, auch diese beiden Linien an den
Hauptbahnhof anbinden und neue Direktverbindungen
ermöglichen. MVG und
Stadtwerke haben für das Projekt – das sie
angesichts des prognostizierten weiteren
Wachstums der Bevölkerung und der Fahrgastzahlen
als dringlich für die Zeit nach
2020 erachten – eine bauliche Machbarkeitsstudie
erstellt.
Zudem wird nach wie vor darüber nachgedacht,
die Stammstrecke der S-Bahn zwischen
Haupt- und Ostbahnhof durch einen
zweiten, etwas weiter nördlich verlaufenden
Tunnel zu ergänzen. Anders als beim
zweiten Berliner Nord-Süd-S-Bahn-Tunnel
besteht dafür tatsächlich Bedarf, da die einzige
innerstädtische Ost-West-Verbindung
der S-Bahn überlastet ist und sich Verspätungen
und andere Störungen sofort auf das
ganze Netz auswirken.
Oberirdische Alternativen für eine solche
Entlastungsstrecke wurden verworfen – obwohl
für diese Verbindung ebenso wie bei
den U-Bahn-Bauplänen die Finanzierungsfrage
offen ist. Allein schon die drei unterirdischen
Bahnsteighallen am Hauptbahnhof
um zwei weitere zu ergänzen, dürfte
schwierig und teuer werden.
Vielleicht sollte man in München lieber
einmal darüber nachdenken, die Straßenbahn
auch im Stadtzentrum auszubauen?
Weitere Infos:
www.mvg-mobil.de/projekte/index.html
Jan Gympel
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