Die tatsächlichen Ziele der beiden Politiker sind ein weitgehender
Ausstieg des Landes Berlin aus der Verantwortung für den öffentlichen
Nahverkehr (ÖPNV) und die Einsparung von öffentlichen Geldern. Dies
geht zulasten der Fahrgäste und der BVG-Mitarbeiter. Nur das von
Landowsky/Böger genannte Ziel „Entlastung des Haushalts" ist ehrlich.
Die vier anderen Ziele (Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen,
Aufbau Berlins zum verkehrlichen Kompetenzzentrum, Verbesserung
des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin, Stärkung der BVG) werden
nicht erreicht und rücken durch die aktuelle Verkehrspolitik und
durch die neuen Pläne in immer weitere Ferne.
1. Durch die angestrebte Einsparung von Verkehrsleistungen werden
weder Arbeitsplätze sicherer noch wird der Nahverkehr besser oder
die BVG gestärkt. So viel Ehrlichkeit kann man sogar von
Politikern erwarten!
2. Die katastrophale Finanzsituation der BVG ist nicht das Ergebnis
falscher Unternehmenspolitik, sondern falscher Senatspolitik. Die
Streichung vertraglich vereinbarter Zuschüsse, die ständige Benachteilung
von Straßenbahn und Bus gegenüber dem Autoverkehr, die Altlast des
teuer und aufwendig gebauten Berliner U-Bahn-Netzes und die West-Berliner
Personalpolitik, die aus der BVG eine Versorgungsanstalt machte,
sind einige der wahren Ursachen für die Misere.
3. Die gute Finanzsituation der S-Bahn Berlin GmbH ist auch das Ergebnis
guter Unternehmenspolitik, vor allem aber das Ergebnis einer angemessenen
finanziellen Ausstattung durch Bundesgelder. Hier wird entsprechend den
Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern zum Regionalisierungsgesetz eine
Überprüfung („Revision") erfolgen. Es ist naiv zu glauben, daß auch
künftig nennenswerte Überschüsse aus Geldern des Bundes zur Verfügung
stehen, die zur Finanzierung verkehrlicher Verpflichtungen des Landes
Berlin transferiert werden können.
4. Die Ausgründung der Berliner S-Bahn aus der „großen Bahn" ebenso wie
die Übernahme lokaler Bahnstrecken durch lokale Betriebsgesellschaften
in vielen Bundesländern haben gezeigt, daß Dezentralisierung zu
verkehrlichen und wirtschaftlichen Verbesserungen
führt. Wieso nun in Berlin plötzlich eine „Elefantenhochzeit"
Vorteile für Fahrgäste und Wirtschaftlichkeit bringen soll, bleibt
Geheimnis von CDU und SPD.
|
BVG-Bus der Linie 118 zum Stern-Center in Potsdam. Werden solche Angebote über Ländergrenzen hinweg bald die Ausnahme sein? Foto: Marc Heller, April!998 |
|
5. Aufgrund von EU-Recht muß künftig eine Trennung zwischen Besteller und
Betreiber von Verkehrsleistungen erfolgen. Der Besteller - hier das Land
Berlin, künftig vertreten durch die Verbundgesellschaft - gibt vor, wo
welche Leistungen gefahren werden sollen. Er schreibt diese aus, erteilt
dem günstigsten Betreiber den Auftrag und bezahlt dafür. Eine Zusammenlegung
von BVG und S-Bahn wäre also eine rein unternehmensorganisatorische
Maßnahme, die nichts mit der Notwendigkeit zur Ausschreibung und mit dem
vom Senat zu verantwortenden Umfang an Verkehrsleistungen zu tun hat.
Wenn der Senat (fälschlicherweise) meint, daß in Berlin zu viele
Nahverkehrsleistungen gefahren werden, und dies angeblich oft auch
noch im Parallelverkehr, hat er seine Rolle noch nicht verstanden.
Um Verkehrsleistungen besser koordinieren zu können, ist in Form der
Verbundgesellschaft nach den schweren Geburtswehen eine praktikable
Lösung gefunden worden - man braucht dazu nicht zwei Betreiber
zusammenzulegen.
6. Wer weiß, ob ein Elefant BVG/S-Bahn bei Ausschreibungen von
Verkehrsleistungen, z.B. im Busbereich, überhaupt zum Zuge kommen wird?
Angesichts niedrigerer Löhne anderer Busunternehmen werden diese sich
vermehrt durchsetzen können. Also wird auch der neue Betrieb hier reagieren
müssen, durch Lohnsenkungen ebenso wie durch betriebsbedingte Kündigungen.
Dem stehen aber alte Versprechen des Regierenden Bürgermeisters Diepgen
entgegen. Also will man diese unangenehme Arbeit der Bahn AG übertragen,
um die eigenen Hände in Unschuld waschen zu können.
7. Wer bei der BVG nach Jahren beachtliche Rationalisierungserfolge noch
immer Einsparpotential von 600 Mio DM sieht, sollte ehrlich sagen, daß
er eine Verkehrs-, sozial- und umweltpolitisch verantwortbare Politik
nicht mehr will. Derartige Einsparungen erfordern drastische Reduzierungen
bei Bahn und Bus. Damit wird die Mobilität all derer, die gezwungenermaßen
oder auch freiwillig ohne Auto leben, dramatisch eingeschränkt werden.
Viele Berliner werden somit zu Mobilitätsbehinderten.
8. Als Einsparpotential wird Parallelverkehr genannt. Von wenigen Ausnahmen
abgesehen gibt es Parallelverkehre über längere Strecken zwischen Bahn- und
Buslinien bereits seit den 80er Jahren nicht mehr. Auch künftig ist es
sinnvoll und unverzichtbar, zum Erreichen von Einkaufszentren oder
wichtigen Umsteigeknoten über ein oder zwei Stationen
Linien parallel zu führen. Werden die Fahrgäste kurz vor Erreichen
wichtiger Ziele zum Umsteigen gezwungen, verliert der ÖPNV weitere
Fahrgäste. Die Einnahmesituation würde sich weiter dramatisch
verschlechtern.
9. Wegen der polyzentrischen Stadtstruktur und der Linienstruktur des
U-Bahn-Netzes müssen Fahrgäste schon heute häufig umsteigen. Jedes Umsteigen
ist mit Einschränkungen und aufgrund zum Teil langer Umsteigewege und
langer Taktzeiten mit deutlichen Reisezeitverlängerungenverbunden. Zugleich
werden damit gehbehinderte Menschen und solche mit Gepäck oder
Kinderwagen benachteiligt. Jedes Umsteigen ist beschwerlich, weil
viele Bahnhöfe und Fahrzeuge auf Jahre hinaus nicht behindertengerecht
sind und auch nicht entsprechend ausgerüstet werden.
Andere Städte mit höheren Kostendeckungsgraden zeigen: Parallelverkehre
in begründeten Fällen sind verkehrlich sinnvoll und wirtschaftlich.
10. Parallelverkehr in erweiterter Definition mit rechnerisch hohen
Einsparpotentialen gibt es bei den U-Bahn-Strecken, die in West-Berlin
zu Zeiten des "Kalten Krieges" parallel zu vorhandenen S-Bahn-Strecken
gebaut wurden. Die U8 ist auf dem Nordabschnitt parallel zur S1 (Nordbahn)
nicht ausgelastet. Dasselbe wird beim U7-Westast nach Spandau eintreten,
wenn die S-Bahn ab Ende 1998 bis Spandau fährt. Um diese U-Bahn-Strecken
künftig nicht mit Geisterzügen oder unattraktiven Takten zu befahren,
muß die Verkehrs- und Tarifpolitik des Senates zugunsten des ÖPNV
verändert werden.
|
Anstatt unsinnige Vorschläge zu machen, sollte sich der Senat endlich ernsthaft mit wirkungsvollen Möglichkeiten zur Kostenreduzierung bei der BVG beschäftigen! Selbst auf neu gebauten und modernisierten Straßenbahnstrecken sind Vorrangschaltungen immer noch die große Ausnahme. Soll in Berlin nicht sein, was in anderen Städten seit Jahren Selbstverständlichkeit ist? Foto: Marc Heller, Dezember 1997 |
|
11. Der Senat hat aus diesen Erfahrungen nichts gelernt. Andernfalls
müßte er die Neubaupläne für die U5-West vom Alexanderplatz zum Lehrter
Zentralbahnhof sofort auf unbestimmte Zeit verschieben. Die hier
prognostizierten Fahrgastzahlen werden, wenn überhaupt, nur durch
Abwanderung von vorhandenen parallelen S- und U-Bahn-Strecken erreicht,
deren Betrieb damit unwirtschaftlicher wird. Der Berliner Fahrgastverband
IGEB fordert zum wiederholten Mal, den Bau der U 5 so lange zurückzustellen,
bis dieses Vorhaben durch tatsächlichen Neuverkehr verkehrlich und
wirtschaftlich gerechtfertigt wird. Voraussetzung dafür ist jedoch
eine grundsätzlich
andere Verkehrspolitik, von der Berlin weiter denn je entfernt ist.
12. Wenn es entsprechend den Vorstellungen von CDU und SPD zu massiven
Einschränkungen beim ÖPNV-Angebot kommt, wandern viele auf das Auto ab.
Infolgedessen nehmen die Verkehrsprobleme zu, und es werden dann breitere
und zusätzliche Straßen gefordert - und gebaut - werden; für Straßenbau
war in Berlin immer genug Geld da. Durch den ÖPNV-Abbau wird der
Landeshaushalt nur bis zum Beginn massiver Straßennetz-Investitionen
entlastet. Diese erfolgen wie immer ohne Angabe der späteren, vom
Land Berlin kontinuierlich zu zahlenden Folgekosten. Solche Kosten
werden stets nur bei Bahn und Bus ausgerechnet.
13. Es mangelt nicht an Konzepten für attraktiveren und wirtschaftlicheren
ÖPNV. Doch diese werden seit Jahren ignoriert. Das sog.
Verkehrskompetenzzentrum Berlin wird immer mehr zum Anschauungsbeispiel
für eine rückschrittliche Verkehrspolitik, die die Fahrgäste öffentlicher
Verkehrsmittel im wesentlichen als Finanzproblem betrachtet.
IGEB
|