Haben die denn nicht mitbekommen,
was Sache ist? Bis mindestens 2020 baut
Berlin an der U5 zwischen Alexanderplatz
und Brandenburger Tor – natürlich mit ungeplanten
Mehrkosten. Bis 2030 könnte es
dauern, bis die sogenannte S 21, also der
zweite Nordsüd-Tunnel der S-Bahn von Gesundbrunnen
über Hauptbahnhof zum Potsdamer
Platz fertig ist. Die Kosten für dieses
Projekt explodieren zwar, aber will die IGEB
hier weit über 100 Millionen Euro, die bisher
für die S 21 verbaut wurden, ungenutzt
liegen lassen? Wäre angesichts der vielen
Sperrungen des alten kurvenreichen Nordsüd-Tunnels,
wie gerade jetzt wieder für vier
Monate, eine zweite Nordsüd-S-Bahn nicht
ein Segen für die Fahrgäste? Die S 21 kommt
also – koste es, was es wolle.
Deshalb hat das Land Berlin in den nächsten
15 Jahren, so hätte man den IGEB-Vertretern
vorgerechnet, kein Geld für weitere
Großprojekte. Zumal ja unklar ist,
ob es für
die Zeit nach 2019 eine Nachfolgeregelung
zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
(GVFG) gibt, ob also der Bund weiterhin
Investitionsgelder für kommunale Verkehrsinfrastruktur
bereitstellt.
Verkehrte Welt
Genug der Fiktion. Die IGEB hat nie eine Verlängerung
der U 1 zum Ostkreuz gefordert.
Aber seit Monaten wird in Berlin über genau
dieses Projekt diskutiert. Ingulf Leuschel,
Konzernbeauftragter der Deutschen Bahn
für Berlin, hatte die Idee und konnte die BVG
dafür gewinnen. Diese hat daraufhin Studien
zur technischen Machbarkeit, zu den ungefähren
Kosten und zu den verkehrlichen
Auswirkungen erstellt bzw. erstellen lassen.
Das Ergebnis: Die U 1 kann und soll von der
Endstation Warschauer Straße als Hochbahn
parallel zur S-Bahn über einen Zwischenhalt
„Modersohnbrücke“ zur neuen Endstation
Ostkreuz verlängert werden.
Als das bekannt wurde, hat sich der Berliner
Fahrgastverband IGEB am 23. November
2014 in einer Presseerklärung deutlich
gegen diese Projekt ausgesprochen, denn
eine U-Bahn-Verlängerung vom S-Bahnhof
Warschauer Straße zum Ostkreuz ist bautechnisch
sehr anspruchsvoll, erfordert aufwändigen
Lärmschutz und ist mit Sicherheit
nicht unter 200 Millionen Euro zu realisieren.
Die von der BVG genannten 120 bis 140 Millionen
Euro sind unrealistisch.
Hinfällig wären mit dem BVG-Projekt auch
die langjährigen Planungen, für die vielen
Umsteiger zwischen U-Bahn- und S-Bahnhof
Warschauer Straße den Fußweg durch eine
Verschiebung des U-Bahnhofs zu verkürzen.
Im Gegenteil: Mit der U1-Verlängerung wäre
das ebenerdige Verlassen des U-Bahnhofs
nicht mehr möglich. Umsteiger zur S-Bahn
und zur Straßenbahn auf der Warschauer
Straße müssten das U-Bahn-Gleis Richtung
Westen mit vielen Treppenstufen unter- oder
überqueren. Und Aufzüge wären erforderlich.
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So stellt sich die BVG die Verlängerung der U-Bahn-Linie 1 zum Regional- und S-Bahnhof Ostkreuz vor. Das soll angeblich nur 120 bis 140 Millionen kosten, die IGEB rechnet mit mindestens 200 Millionen Euro. Zeichnung: BfVst, Karte: openstreetmap |
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Natürlich hätte eine U1-Verlängerung viele
Fahrgäste. Aber ein erheblicher Teil davon
wären Umsteiger von der S-Bahn und auch
von der Straßenbahn. Dass eine U1-Verlängerung
somit nachteilige Auswirkungen
auf das umgebende Straßenbahnangebot
in Friedrichshain hätte, ist der BVG bewusst.
Verzögerungen beim S-Bahn-Bau
Doch es droht noch eine weitere Gefahr: Da
mit einer U1-Verlängerung Vorleistungen
auf der S-Bahn-Strecke zwischen Warschauer
Straße und Ostkreuz erforderlich oder zumindest
sinnvoll sind, würde der laufende
S-Bahn-Umbau ein weiteres Mal verzögert
werden. Hohe Mehrkosten und ein Jahr Verzögerung
gab es ja bereits durch die Vorleistungen
am Ostkreuz für eine eventuelle
Verlängerung der Autobahn A100.
Aus all diesen Gründen hat sich der Berliner
Fahrgastverband IGEB seit November
2014 wiederholt gegen eine U1-Verlängerung
ausgesprochen – und ist dafür insbesondere
von vielen BVG-Mitarbeitern kritisiert
worden.
Es ist ein Phänomen, dass sich bei der BVG
viele für dieses Projekt regelrecht begeistern.
Vermutlich sind das eher psychologische als
sachliche Gründe. Denn ein großer Teil der
Straßenbahnprojekte wird einen günstigeren
Nutzen-Kosten-Faktor erreichen, als dieses
und auch andere U-Bahn-Projekte. Aber
bei der U-Bahn sehnt man sich nach einem
Zukunftsprojekt. Auf unabsehbare Zeit nur
den Bestand zu pflegen, während Straßenbahn
und Bus ihr Netz erweitern, ist perspektivlos.
Da ist es verlockend, mit einer nur
1,5 km langen oberirdischen Neubaustrecke
zu Berlins wichtigstem Bahnhof Ostkreuz zu
fahren, dessen Bedeutung mit dem Halt der
Regionalzüge noch steigen wird.
U-Bahn-Fahrzeugmangel
Außerdem muss die U-Bahn etwas für ihr
Image tun, denn sie ist wegen ihrer Probleme
beim Fahrzeugpark zu Recht in die
Kritik geraten. Immer wieder wurde und
wird befürchtet, dass der Berliner U-Bahn
eine ähnliche Fahrzeugknappheit wie der
S-Bahn nach dem Zusammenbruch 2009
drohen könnte. Immer wieder musste die
U-Bahn es ablehnen, bei S-Bahn-Bauarbeiten
auf den Umfahrungstrecken zusätzliche
U-Bahn-Züge zu fahren.
Jahrelang wurde der IGEB-Forderung
nach Anschaffung neuer Fahrzeuge für das
Großprofilnetz von Finanzsenator, Verkehrssenator
und BVG widersprochen. So ging
wertvolle Zeit verloren. Regelmäßig muss
die BVG nun zu kurze Züge einsetzen, weil
ihr Großprofil-Fahrzeuge fehlen.
Einen Hoffnungsschimmer gibt es nun
durch die guten Steuereinnahmen des
Landes Berlin 2014. Davon bekommt die
BVG 58 Millionen Euro für neue U-Bahn-Fahrzeuge
im Großprofilnetz. Geplant waren
sieben Züge mit sechs Wagen. Weil es
aber zur Behebung der aktuellen Probleme
zu lange dauern würde, bis die unvermeidbare
Entwicklung einer neuen Baureihe für
das Großprofil abgeschlossen ist, hatte die
BVG die Idee, eine Option zur Bestellung
weiterer IK-Züge (siehe auch Seite 10) zu
ziehen und diese Kleinprofilzüge dann
(mit „Blumenbrettern“ versehen) im Großprofilnetz
einzusetzen. Nach derzeitigem
Stand reicht das Geld für elf Vier-Wagen-Einheiten.
Beim Fahrzeugpark und bei der Sanierung
und Modernisierung der vorhandenen Strecken
und Bahnhöfe, gibt es so viel zu tun,
dass der BVG eigentlich keine Zeit bleiben
dürfte, sich Phantom-Projekten wie der U1-Verlängerung zum Ostkreuz zu widmen.
Fragwürdige Verwendung von
Fahrgeldeinnahmen
Das heißt natürlich nicht, dass Berlin sich
für die fernere Zukunft nicht auch Gedanken
machen muss, ob und wo zumindest
langfristig das U-Bahn-Netz sinnvoll zu ergänzen
ist. Aber das ist Aufgabe des Landes
Berlin. Das muss im Rahmen des nächsten
Stadtentwicklungsplans Verkehr passieren –
durch den Berliner Senat und nicht durch
die BVG.
Die BVG hat mit dem U1-Projekt nicht
nur die Zuständigkeit des Verkehrssenators
missachtet, sie hat auch viel Geld
(Fahrgeldeinnahmen!) für Untersuchungen
ausgegeben, für die sie gar nicht zuständig
ist – will aber zum 1. Januar 2016 schon
wieder die Fahrpreise erhöhen. Infrastrukturplanungen
wie eine U1-Verlängerung
zum Ostkreuz gehören in die Hand des
Verkehrssenators und sind aus seinem Etat,
also aus Steuergeldern statt Fahrgeldern,
zu bezahlen.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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