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Eröffnung der Berliner Stadtbahn: Fahrgäste blieben auf der Strecke

Der Fahrplanwechsel ging in Berlin und Brandenburg gründlich in die Hose. Das Chaos war grenzenlos und übertraf alles bisher dagewesene - in der Tat ein “historischer Tag”. Allerdings in anderem Sinne, als von der DB AG angekündigt. Nicht nur vom Ostbahnhof bis zum Zoo standen die Züge vor roten Signalen, fast den ganzen ersten Tag über dauerte eine Fahrt über die Stadtbahn länger als eine Stunde. Die Befürchtung der Fahrgastverbände, daß die Wiederinbetriebnahme der Stadtbahn nicht so reibungslos verläuft, wie im Fahrplan vorgesehen, wurde weit übertroffen.

"Da hätte ich ja die S-Bahn nehmen können", lautete die vielgehörte Erkenntnis verärgerter Fahrgäste. Hat man aber nicht, denn weder im Ostbahnhof noch am Alexanderplatz oder am Zoo gab es Hinweise, daß eine Fahrt über die Stadtbahn mit Regional- oder Fernzügen deutlich länger dauert als mit der S-Bahn.

Nicht nur die Kundeninformation fiel komplett aus, sondern auch die bahninterne. Die Mitarbeiter in den Zügen und auf den Bahnhöfen wurden alleingelassen und wußten meist nur, was sie selbst sehen konnten. Das war nicht viel, denn die Richtungsanzeiger auf den Bahnsteigen funktionierten nicht. Eine Anzeige des Fahrtzieles an den Zügen war die Ausnahme. Es gab offensichtlich niemanden, der den Überblick hatte! Bei Fahrgästen und Mitarbeitern herrschte Rat- und Hilflosigkeit, die auch in Zorn und Wut mündete.

Das Bahnmanagement hat sich vor dem Fahrplanwechsel strahlend in den Medien präsentiert und hohe Erwartungen geweckt. Doch erst am 26. Mai (zwei Tage nach Fahrplanwechsel) konnten diese ansatzweise erfüllt werden. Am 24. und 25. Mai zeigte sich, daß sich die Bahn AG überschätzt und mit der Vorbereitung verkalkuliert hatte.

Abfahrtstafel mit Verspätungen bis zu 70 Minuten
Abfahrtstafel in der Fernbahnhalle Zoologischer Garten am 25. Mai 1998. Foto: Marc Heller

Anzeichen dafür, daß der Fahrplanwechsel nicht gutgehen konnte, gab es schon Tage vorher, sie wurden jedoch ganz offensichtlich von den Verantwortlichen ignoriert. In der Woche vor dem Fahrplanwechsel sind beim Testbetrieb mit wenigen Zügen Schwierigkeiten bei der Signalsteuerung aufgetreten. Es war absehbar, daß viele Züge nicht zu beherrschen sind. Die Zugzielanzeiger auf den Bahnsteigen waren zum Beispiel am Bahnhof Zoo ganz ausgebaut worden, so daß eine Fahrgastinformation auf diesem Weg gar nicht möglich war. Zuglaufschilder für die neuen Zugverbindungen gab es fast nicht, an den neuen RE160-Wagen blieben die elektronischen Anzeigen meist dunkel. Bei den vielen Zügen mit planmäßig kurzen Aufenthaltszeiten und der bekannt schlechten Akustik für Lautsprecherdurchsagen in den Bahnhofshallen gehörte nicht viel dazu, um vorherzusehen, daß es drunter und drüberzugehen wird.

Zudem war bei der Wiederinbetriebnahme erkennbar, daß es auch große Defizite bei der Vorbereitung des Personals gegeben hat. Von Koordination keine Spur. Es reicht eben nicht, wenn jeder einzelne für sich geschult wird. Der Betrieb funktioniert nur, wenn alle Zusammenarbeiten. Das muß bei einem störungsanfälligen Betriebsprogramm wie zwischen Charlottenburg und Rummelsburg sorgfältiger vorbereitet werden. Sogar auf selbstverständliche Dinge, wie die Ausstattung eines jeden Zugbegleiters mit einem Kursbuch, hatte die Bahnführung verzichtet.

Es ist bemerkenswert, daß sich der DB-Konzernbeauftragtefür Brandenburg bei den Fahrgästen entschuldigte, nachdem er das Ausmaß des von ihm mitzuverantwortenden Chaos erkannt hat; doch es fehlen nach wie vor schlüssige Erklärungen für die ungenügende Vorbereitung aller Beteiligten. Und anzulasten bleibt dem neuen Vorstandsmitglied der DB AG und bis vor wenigen Tagen Konzernbeauftragten für Berlin, Axel Nawrocki, daß er sich nach der Eröffnungsfeier am Ostbahnhof ins Unerreichbare verdrückte.

Es bleibt zu wünschen, daß sich der Betrieb auf der Stadtbahn in den kommenden Wochen einspielt und stabilisiert. Für die Fahrgäste ist es ein wichtiges Angebot, mit Regional- und Fernzügen direkt durch Berlin fahren zu können und mehrere Möglichkeiten zum Ein- und Aussteigen zu haben. Eine Reduzierung des Angebotes aus betrieblichen Gründen wäre nur zu akzeptieren, wenn sich die dichte Gleisbelegung als ständiges Risiko erweist. Aber das sollte dann mit Augenmaß erfolgen. Anbieten würde sich da erstmals nur der RE 1-Verstärker, der auf die Strecke Fürstenwalde - Ostbahnhof zurückgezogen werden könnte.

Außerdem darf davon ausgegangen werden, daß die DB gelernt hat, wie anfällig der Verkehr auf der Stadtbahn ist. Eine Wiederholung dieses Fiaskos wird durch Vorbereitung mit einem koordinierten Vorgehen bei einer erneuten Panne hoffentlich vermieden.

Deutscher Bahnkunden-Verband
Landesverband Brandenburg

aus SIGNAL 4-05/1998 (Juni 1998), Seite 5

 

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