Planung und Bauten

Wiederaufbau der Stammbahn (II)

Die Stammbahn als Verbindung von Griebnitzsee nach Zehlendorf wird aufgebaut. Schon im kommenden Jahr sollen die ersten Züge fahren. So lautet jedenfalls die politische Entscheidung des Koordinierungsrates der Länder Brandenburg und Berlin, der Mitte Mai tagte.

Unklar ist die Finanzierung, denn beide Länder erwarten vom Bund eine Beteiligung in "erheblichem Maße". Immerhin soll allein der erste Bauabschnitt ca. 86 Millionen DM kosten - diese Summe erscheint gering angesetzt, wenn man die notwendigen Brückenbauten berücksichtigt. Es muß nicht nur die Ausfädelung in Griebnitzsee mit Überquerung der Wetzlarer Bahn gemeistert werden, auch die Autobahn A115 am ehemaligen Grenzübergang Dreilinden und der Teltowkanal liegen auf dem 12 km langen Weg.

Der Wiederaufbau der Stammbahn ist im Grunde zu begrüßen. Es ist jedoch erstaunlich, welch hohe Priorität ihm plötzlich eingeräumt wird, gerade weil der Aufwand doch recht groß im Vergleich zum Nutzen ist. Schließlich gibt es schon eine Schienenverbindung von Postdam nach Zehlendorf, durch die Stammbahn wären lediglich Düppel und der Thyssen-Europarc-Dreilinden zusätzlich angebunden. So entsteht der Eindruck, daß nur den Europarc-Vermarktern mit dem Wiederaufbau ein Gefallen getan wird. Viel Phantasie ist nötig, um sich dort auch nur mittelfristig ein akzeptables Fahrgastaufkommen vorzustellen: der Gewerbepark ist heute lediglich zu etwa 15 % belegt, die ursprünglichen Erwartungen weit zurückgeschraubt und der Aufbau eines Freizeitcenters mit Multiplexkino vorerst gerichtlich gestoppt.

Von der vor Jahren in der ersten Euphorie durch den Parkentwickler zugesagten privaten Finanzierung der Bahnsteig-Neubauten ist nichts mehr zu hören. Der zum Park nächstgelegenste Standort der Bahnsteige ist immer noch 400m zum Kernbereich entfernt.

Die Anbindung des Europarcs kann also keine hinreichende Begründung für den Wiederaufbau sein. Ein deutlicher Nutzenzuwachs für die Fahrgäste entsteht erst, wenn die Züge aus Richtung Potsdam über Zehlendorf in Richtung Innenstadt fahren. Die Führung durch den Tiergartentunnel - dessen Stammbahneinmündung baulich vorbereitet ist - ist bekanntlich frühestens 2003 möglich. Einzige sinnvolle Interimslösung sind Regionalbahnsteige in Steglitz und Schöneberg, um einen nennenswerten Fahrzeitvorsprung zur S 1 zu gewinnen und das Umsteigen auf die Ringbahn zu gewährleisten.

Vom Berliner Senat muß also vor Beginn der Bauarbeiten gesichert sein, daß es zur Bestellung dieser zusätzlichen Regionalverkehrsleistung kommt.

An anderer Stelle fehlt das Geld

So wichtig die bestimmt gut genutzte neue Relation ist, gibt es doch im direkten Verkehr zwischen Berlin und Brandenburg noch dringendere Schienen-Lückenschlüsse, die vor allem aus Landesmitteln finanziert werden müssen. Allen voran ist die bislang nicht vollzogene Wiederinbetriebnahme der Heidekrautbahn zwischen Berlin-Wilhelmsruh und Basdorf zu nennen, wo viele berlinnahe und mittlerweile bevölkerungsstarke Gemeinden auf ihren Bahnanschluß warten.

Zweierlei Maß ist bei der Investitionspolitik des Landes Brandenburg erkennbar: gerade zu einem Zeitpunkt, wo Bahnstrecken in den ländlichen Räumen mit echter Netzfunktion eingestellt werden, weil nur Bruchteile einer Million an Investitionen gespart werden sollen, wird an anderer Stelle das Geld mit vollen Händen ausgegeben. Die Bahnverbindung zwischen Wittstock und Mirow wurde zum Fahrplanwechsel eingestellt, weil geringfügige Baumaßnahmen bevor standen. Auch über eine Einstellung der Bahnverbindung Neustadt (Dosse) - Neuruppin - Herzberg (Mark) denkt der Verkehrsminister weiterhin nach, nur weil die DB AG hier gerne im Zuge der Baumaßnahmen für den Prignitz-Expreß auf den Einbau von drei (!!) Weichen samt einfacher Sicherungstechnik verzichten möchte.

Auch in Berlin sind andere Investitionen mit großem Nutzen durchaus denkbar. Nicht nur während der Sperrung der Stadtbahn sondern auch bei deren Wiedereröffnung am 24. Mai hat man gesehen, wie nützlich es gewesen wäre, hätte eine Ausweichstrecke über den nördlichen oder südlichen Berliner Innenring zur Verfügung gestanden.

Deutscher Bahnkunden-Verband
Landesverband Brandenburg

aus SIGNAL 4-05/1998 (Juni 1998), Seite 21-22

 

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