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Als angebliche technische wie politische Großtat werden die Autobahnen noch
immer einer positiven Seite der NS-Bilanz zugerechnet Und bis heute zeigt
das Verkehrszeichen für „Autobahn" jene zwei hellen Bänder, von einem dünnen
dunklen Streifen getrennt, als die sich die Reichsautobahnen anfangs darboten
(noch vor Kriegsbeginn wurden die weißen Straßen freilich aus Gründen des
Luftschutzes geschwärzt). Die gesamte Vorgeschichte, Entstehung, Zerstörung
und das weitere Schicksal der Reichsautobahn inklusive des historischen
Umfeldes darzustellen, würde es wohl eines Werkes von Telefonbuchdimensionen
bedürfen. Erhard Schütz und Eckhard Gruber widmen sich daher in ihrem Buch
vor allem eben diesem Mythos der „Straßen Adolf Hitlers". Trotz dieser
notwendigen Beschränkung gelingt ihnen eine recht instruktive Darstellung
der Geschichte dieser nach NS-Lesart„Weltwunder des 20.Jahrhunderts"
samt der wesentlichsten Fakten.
So kommt leider die Auseinandersetzung zu kurz, welcher Baustil der
Reichsautobahn insbesondere bei deren großen Brücken angemessen sei, deren
Gestaltung wesentlich von Friedrich Tamms und Paul Bonatz, dem Architekten
des Stuttgarter Hauptbahnhofes, beeinflußt wurde: Die Tradition beschwörende
und jahrhundertelange Existenz verheißende Steinviadukte („Diese Bauwerke
sollen nicht gedacht sein für das Jahr 1940, auch nicht für das Jahr 2000,
sondern sie sollen hineinragen gleich den Domen unserer Vergangenheit in die
Jahrtausende der Zukunft", gab ihnen Fritz Todt 1937 auf). Oder Stahl- und
Betonkonstruktionen von kühner Modernität, die man auf den ersten Blick eher
der Ästhetik der fünfziger Jahre zuschreiben würde. Vermieden werden
sollten im Ringen um eine „deutsche Technik" hochaufragende Bögen oder
Stabwerk - all dies erinnerte zu sehr an die Eisenbahn und die
angeblich seelenlosen Ingenieursbauten der Vor-NS-Zeit.
Doch womit sich das Buch ausführlicher beschäftigt, ist interessant genug:
Etwa, wie es die Nazis verstanden, die Autobahnen nach und nach als
höchstpersönliche Erfindung
Hitlers auszugeben; in Wahrheit konnte dessen erster Spatenstich nur deshalb
schon am 23.September 1933 erfolgen, weil bereits zu Weimarer Zeiten
detaillierte Baupläne ausgearbeitet worden waren, die sich jedoch nicht
gegen Widerstände von Reichsbahn, Industrie und auch der NSDAP durchsetzen
ließen. Gründlich räumen die Autoren auch mit der Legende auf, mit dem
Autobahnbau seien „die Arbeitslosen von der Straße geholt" worden: Sechs
Millionen Erwerbslose gab es bei Machtübernahme der Nazis, der Höchststand
der Beschäftigten im Autobahnbau war erst dreieinhalb Jahre später erreicht -
mit nicht einmal 125.000 Personen und nochmal etwa ebensovielen in der
Zulieferindustrie. Auf den Baustellen wurde Knochenarbeit für einen Hungerlohn
geleistet, der unter dem Wohlfahrtssatz lag, die Unterkünfte waren erbärmlich,
Arbeitstempo und -bedingungen mörderisch, Unfälle an der Tagesordnung; nach
fünf Jahren kam auf jeden sechsten fertiggestellten Kilometer ein tödlich
verunglückter Arbeiter. Letztlich konnte auch dieses „grandiose Werk"
der Nazis nur durch massive Einschüchterung bis hin zum offenen
Terror von Gestapo und SA verwirklicht werden.
Wichtig war das propagandistische Potential, das die Autobahnen boten:
Ein nationales Werk, das - zumindest potentiell - das ganze Reich erfaßte
und mit dessen Bau an vielen Stellen gleichzeitig begonnen werden konnte
(anfangs folgte jeder Landnahme denn auch prompt der umgehende
Autobahnbaubeginn, ob in Österreich, Böhmen oder Danzig). Und ein Werk
das, anders als bei Gebäuden, nicht nur zu Grundsteinlegung, Richtfest
und Einweihung Anlaß zu pompösen Feiern bot. Die 187 Kilometer lange
Strecke zwischen Frankfurt am Main und Kassel wurde beispielsweise im
Laufe von 26 Monaten in zehn (!) Teilstücken dem Verkehr übergeben,
jeweils mit großem Tamtam.
Mehr als Propaganda war hingegen die Vorstellung von der Autobahn als
einem Vehikel zur Einigung des Reiches. Und in kaum einem anderen Projekt
schlagen sich Wahn wie Widersprüchlichkeit der real existierenden
Nazi-Ideologie deutlicher nieder: Zum einen waren die Autobahnen Ausweis
der eigenartigen Modernität, die das doch eigentlich militant reaktionäre
„Dritte Reich" in eher Hinsicht besaß. Wie den Massentourismus oder den
Ausbau des Fernsehens zum alles beherrschenden Medium leiteten die Nazis
auch die Massenmotorisierung ein; die Autobahnen wurden dabei auf Vorrat
gebaut. Zum anderen sollten sie als Paradebeispiel für den von den
Nationalsozialisten gewiesenen Ausweg aus dem modernen Zeitalter dienen,
„als ins Werk gesetzte Versöhnung von Technik, Kultur und Natur", wie
Schütz und Gruber schreiben: „Autowandern (man dachte bei den Autobahnen
mehr an die Wochenenderholung denn an den Berufsverkehr oder Gütertransporte,
J.G.) war folglich die motorisierte Fortsetzung des 'Wandervogel'". Fast
alle der an der Konzeption und Realisierung der Streckenführung und
Infrastruktur Beteiligten seien aus der völkischen oder der
naturschwärmerischen Jugendbewegung gekommen, die seit der
Jahrhundertwende von
der „Gesundung" des modernen Menschen durch die Natur geträumt hatte. Immens
wichtig war bei den neuen Straßen folglich der ästhetische Aspekt, der im
Selbstverständnis der Nazis ja stets eine große Rolle spielte: Die Autobahnen
sollten sich als „schwingende Bahnen" harmonisch in die Landschaft
einfügen und diese verschönen, Kunstwerke und geistig-moralische
Kraftwerke für die „Volksgenossen" sein, die von ihnen aus schon bald
im Volkswagen das „Kunstwerk" des „neuen", nationalsozialistischen
Deutschland betrachten sollten. „Die Autobahn war eine,
wenn nicht DIE Kultstätte des 'Dritten Reiches'."
In zunehmendem Maße wurden die Autobahnen weniger nach verkehrlichen als
nach ästhetischen Gesichtspunkten geplant, nach Kriterien der klassischen
englischen Gartenarchitektur Durchblicke und Rahmenschauen in die tief
gestaffelte Landschaft eingebaut, auf malerische Blickführungen und
wechselnde Panoramen geachtet (Schütz und Gruber erinnern daran, wie stark
generell Aspekte des Gartenbaus die NS-Vorstellungen von einer „gesunden"
Gesellschaft und „Rassenpflege" bestimmten und wie symptomatisch es ist,
daß man diejenigen, die dabei angeblich
störten, vornehmlich mit einem Schädlingsbekämpfungsmittel ermordete).
Rasen war verpönt und verboten: Hitler persönlich legte die
Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h fest, im Krieg wurde sie gar auf 80 km/h
reduziert. Der immer wieder behauptete militärische Wert der Autobahnen
war dagegen fast null: Erst im März 1939 begann man überhastet zu prüfen,
ob die Brücken überhaupt schwere Fahrzeuge aushalten würden, an den -
aus ästhetischen Gründen eingebauten - starken Steigungen wären Panzer
wohl ohnehin gescheitert. Schon damals wußte man auch, daß ein
Gütertransport via Straße mehr Energie erfordert als über die Schiene,
außerdem wäre das noch kleine Autobahnnetz für
Angriffe viel anfälliger gewesen wäre als das riesige Eisenbahnsystem.
Schließlich war es nicht zuletzt die Wehrmachtsspitze, die im
Spätsommer 1941 - als längst Autobahnen für das ganze besetzte Europa
geplant wurden - den Baustopp bewirkte. Sehr wohl eine strategische Rolle
spielte dagegen die Schaffung eines großes Reservoirs an Baumaschinen,
Erfahrungen mit dem Masseneinsatz von Arbeitern und der Organisation
weiträumiger Bauaufgaben - wichtig für die Errichtung und Ausbesserung von
Nachschubstraßen, den Bau von Bunkern und militärischer Anlagen. Nicht
zufällig hatte der legendenumwobene „Ingenieurminister" Fritz Todt bevor
er den Bau des Westwalls leitete und schließlich zu Hitlers Rüstungsminister
aufstieg, als „Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen" über
die Autobahnen gewacht - über ihre Entstehung wie ihren Betrieb und
ihre Darstellung in der Öffentlichkeit.
Schütz und Gruber, die eine wissenschaftlich exakte Arbeitsweise mit einem
flüssigen Schreibstil zu verbinden wissen, können es sich nicht verkneifen,
in ihrem Resume eine enge Verbindung vorzunehmen zwischen dem Rausch, in
den man bei Benutzung der Autobahnen verfallen konnte und dem Wahn des
Nationalsozialismus, der in wie besinnungslos verübten Verbrechensorgien
endete und in einem fast wollüstig inszenierten Untergang. Aber war dies
denn der einzige verheerende Kollektivwahn dieses Jahrhunderts? Haben
denn auch andere autobahnbauende Staaten und Systeme im schaurigschönen
Untergang geendet? Sind die Deutschen, die in ihrer Mehrheit wohl kaum
etwas so sehr lieben wie die Autos und die „freie Fahrt für freie Bürger",
deshalb noch immer potentielle Nazis? Und wenn auch die vielgelobte
Landschaftsqualität der Reichsautobahn „nicht ideologiefrei" gewesen
ist - ist deshalb eine gradlinig durch die Natur geschlagene
Straße „antifaschistisch"?
Statt sich am Ende noch einmal zu einer etwas gewaltsamen Generaldenunzierung
der Reichsautobahn zu versteigen, hätten die Autoren einen einfacheren und
sinnfälligeren Abgesang auf die „Straßen des Führers" vornehmen sollen: Die
von der Wehrmacht gesprengten Brücken - für Schütz/Gruber nicht zu unrecht
Symbole des Debakels, in dem der Nationalsozialismus endete - wurden nämlich
wieder aufgebaut, das Netz an Hand der Streckenpläne aus der NS-Zeit
vergrößert. Doch längst hat die von den Nazis herbeigesehnte
Massenmobilisierung (von deren Folgen man sich offenbar nicht die geringsten
Vorstellungen machte) die „Pyramiden des Dritten Reiches" aufgefressen:
Begradigte und abgeflachte Strecken, sechsspurig und von Leitplanken
umschlossen, endlose Blechlawinen, Lärm und Gestank, schließlich gigantische
Staus und ein permanenter Krieg unter den Fahrern (der übrigens schon in
den dreißiger Jahren begann, wie man in dem Buch erfährt) - der
Mobilitätsrausch hat längst zu immer häufigerem Stillstand geführt,
die Autobahnen von heute sind Fremdkörper in der Landschaft, Alpträume
für viele Benutzer wie Anwohner und kein ästhetisches Erlebnis mehr.
Schade, daß das Buch diese Brücke in die Gegenwart nicht schlägt.
Erhard Schütz, Eckhard Gruber: Mythos Reichsautobahn.
Ch. Links Verlag, Berlin 1997. 180 Seiten mit zahlr. Abbildungen, 68 DM.
Jan Gympel
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