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Was war passiert?
Zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Lehrter Stadtbahnhof kollabierte
die Elektronik eines Richtung Westen fahrenden Zuges der neuen Baureihe
481. Der Bordrechner meldete einen allgemeinen Systemausfall und stellte
danach den Betrieb ein. Ohne funktionierenden Computer aber sind Züge
dieses Typs aus eigener Kraft nicht einen Meter zu bewegen. Der
Triebfahrzeugführer versuchte verzweifelt, die Störung zu beheben,
mußte dann aber die Betriebsleitstelle informieren und Hilfe anfordern.
So weit, so schlecht. Inzwischen stauten sich hinter dem Havaristen
immer mehr der im 3-Minutentakt verkehrenden Züge auf. Erst als die
Ausfahrt aus dem Bahnhof Friedrichstraße aufgrund der „zugeparkten"
Blockabschnitte nicht mehr möglich war, reagierten die Aufsichten und
kündigten „betriebliche Probleme" an. Gleichzeitig wurde begonnen, Züge
in Warschauer Straße und Ostbahnhof enden zu lassen. Eine Information
der verdutzten Fahrgäste Richtung Innenstadt, die plötzlich die
Züge verlassen sollten - z.B. über Ausweich-
und Umfahrungsmöglichkeiten - erfolgte nicht, es hieß lediglich:
"Zug endet hier und fährt zurück nach ...!"
Das Krisenmanagement läuft an
Während das Krisenmanagement östlich des Bahnhofs Friedrichstraße langsam -
wenn auch unzureichend - anlief, hielt es niemand für nötig, sich um die
in den Zügen zwischen Friedrichstraße und Lehrter Stadtbahnhof
eingeschlossenen Fahrgäste zu kümmern. Die Passagiere im ersten Zug wußten
zwar, warum es nicht weitergeht, die Züge dahinter konnten aber wegen
angeblicher Funklöcher auf der Stadtbahnstrecke (!!) keine Verbindung
zur Zentrale aufnehmen.
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Tatort Humboldthafen-Brücke. Hier saßen Fahrgäste 80 Minuten fest. Foto: M. Heller |
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Die Minuten addierten sich letztlich zu fast anderthalb Stunden, in
denen diese Fahrgäste weder in irgendeiner Form informiert, noch versorgt
oder aus den Zügen befreit wurden. Besonders quälend für die Eingeschlossenen
war aber, daß der Verkehr auf den anderen Gleisen scheinbar reibungslos
lief: auf den Fernbahngleisen herrschte reger Zugverkehr, auch auf dem
Gegengleis kamen - anfangs noch in
dichter Folge, später alle zehn Minuten - S-Bahnen aus Richtung Zoologischer
Garten. Völlig absurd gestaltete sich die Situation, als die
liegengebliebenen Züge auf dem Nachbargleis von Zügen der S7 Richtung
Zoologischer Garten überholt wurden ! Nach wie vor hielten es weder die
Triebfahrzeugführer noch der inzwischen reichlich vertretene BGS für nötig,
sich um die Fahrgäste zu kümmern. Im Gegenteil: während sich unter den
Eingeschlossenen langsam Nervosität bis hin zu Panik breitmachte, waren
alle Bemühungen des Betriebspersonals einzig darauf gerichtet, die
Passagiere am Verlassen der Züge zu hindern.
Erst 80 Minuten nach Beginn der Störung waren alle Züge geleert bzw.
aus dem betroffenen Abschnitt zurück nach Friedrichstraße gefahren worden.
Auch die S-Bahn GmbH räumt ein, daß "hier einiges unglücklich gelaufen"
sei und sich Personale fehlerhaft verhalten hätten.
Unter dem Eindruck dieser Ereignisse sicherte die S-Bahn GmbH folgendes zu:
- Liegengebliebene Züge werden nach allerspätestens 20 Minuten
geräumt, bzw. in den nächstgelegenen Bahnhof gefahren (statt "um
sie herum" einen Betrieb zu installieren).
- Fahrgastbetreuer und S-Bahner kümmern sich um "gestrandete" Fahrgäste:
Nennung alternativer Fahrtrouten, Ausstellung von
Verspätungsnachweisen etc.
- Personale, die diese Regeln mißachten (insbesondere ihrer
Informationspflicht nicht nachkommen), werden dienstrechtlich
zur Verantwortung gezogen.
Der Berliner Fahrgastverband wies erneut darauf hin, der Information
und Betreuung der Fahrgäste mehr Aufmerksamkeit zu widmen:
- Bei unvorhergesehenem Halt auf freier Strecke hat der Triebfahrzeugführer
die Fahrgäste nach spätestens einer Minute über die Bordsprechanlage
anzusprechen. Das dient im Einzelfall weniger der Informationsweitergabe,
sondern hat vielmehr einen nicht zu unterschätzenden psychologischen
Effekt: "Da vorne ist jemand, der sich um uns kümmert, wir werden nicht
vergessen."
- Gleichzeitig hat er sich bei der Betriebszentrale oder dem Stellwerk
über Ursache und voraussichtliche Dauer der Störung zu informieren
und diese Angaben an die Fahrgäste weiterzugeben. Beim Einsatz auf
Strecken, auf denen es der S-Bahn GmbH noch immer nicht möglich war,
Funklöcher zu beseitigen, ist den Personalen ein Handy mitzugeben,
damit sie ggf. in ihrer Zentrale anrufen können. (Mobilfunkbetreiber
kennen im Gegensatz zu BVG und S-Bahn das Phänomen dauerhafter
Funklöcher in Ballungsräumen nicht).
IGEB, Abteilung S-Bahn und Regionalverkehr
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