Reise & Bericht

Die S-Bahn Berlin GmbH auf dem Weg zum Schienen-Verkehrs-Öko-Audit

Eines der größten deutschen und auch europäischen schienengebundenen Nahverkehrsunternehmen bereitet seine Zertifizierung nach DIN ISO 14001 und Validierung nach EG-Öko-Audit-Verordnung vermutlich noch im Jahr 1998 vor.

Für die S-Bahn ein langer und nicht ganz problemloser Weg, was unter anderem auf die umfangreiche dezentrale Infrastruktur und die komplizierte Verflechtung mit dem Mutterunternehmen DB AG zurückzuführen ist. Die Größenordnung des Systemunternehmens S-Bahn läßt sich mit den Eckdaten - ca. 235 km Streckennetz, 165 Bahnhöfe, 750 Viertelzüge, ca. 920.000 Fahrgäste werktäglich - am anschaulichsten beschreiben. Übrigens emittiert die S-Bahn pro Personenkilometer verglichen mit einem durchschnittlichen PKW nur ein Viertel Stickstoff und 0,5 % der Kohlenwasserstoffe.

Mit ca. 4.700 Mitarbeitern ist die S-Bahn Berlin GmbH ein wichtiger Arbeitgeber und ein bedeutendes Wirtschaftsunternehmen der Hauptstadt Berlin. So ist sie auch einer der größten Ausbildungsbetriebe der Stadt. Darüber hinaus möchte die ohnehin aus ihrer Tätigkeit heraus umweltfreundliche S-Bahn auch im Umweltschutz eine Pionierrolle einnehmen. Doch vor den Ehrgeiz eines der ersten, wenn nicht sogar das erste Schienen-Verkehrs-Öko-Audit in Europa durchzuführen, stellte die Geschäftsführung das Ziel, das Umweltmanagementsystem vornehmlich durch die Mitarbeiter der S-Bahn selbst zu entwickeln und damit Umweltschutz in allen Betriebsteilen der S-Bahn systematisch zu verankern und zu realisieren; für ein wirtschaftlich arbeitendes und wirklich "gelebtes" Umweltmanagementsystem fast unabdingbar. Alle Mitarbeiter der S-Bahn Berlin GmbH sollen sich der Aufgaben des Umweltschutzes verbunden und verpflichtet fühlen.

Unterstützt wurde die S-Bahn in ihren ehrgeizigen Zielen durch unabhängige Berater der GUT Gesellschaft für Umwelttechnik und Unternehmensberatung mbH, Berlin.

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Abbildung 1: Ablaufplan der Umweltprüfung. Zeichnung: GUT

Seit Herbst 1996 verfolgt die S-Bahn diesen Weg. Damals war an eine Erweiterungsverordnung zum Umweltauditgesetz, wie am 13. Januar 1998 vom Bundeskabinett beschlossen und am 10. Februar 1998 in Kraft getreten, noch gar nicht zu denken. Seither sind 1,5 Millionen Dienstleistungsunternehmen zusätzlich zum gewerblichen Bereich zur Teilnahme am Umwelt-Audit berechtigt. Das versetzt auch die S-Bahn bzw. Teile der S-Bahn in die Lage, sich validieren und in die Standortliste eintragen zu lassen. So hat sich die akribische Arbeit der Beteiligten sowohl für die Umwelt im allgemeinen als auch für die S-Bahn hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit und Werbewirksamkeit gelohnt.

Ausgangssituation

Am Anfang - vor fast eineinhalb Jahren - stand das Bekenntnis der S-Bahn Berlin GmbH, ein Pionier im Umweltschutz werden zu wollen. Ein offensives Umweltmanagement mit einer Beteiligung am EG-Öko-Audit-System sollte ihre Umweltfreundlichkeit und ihr Image, aber auch ihre Wirtschaftlichkeit weiter verbessern. Vor diesem Hintergrund wurde von September '96 bis Januar '97 eine erste Umweltprüfung (Abb. 1) durchgeführt. Das Ziel der Untersuchung war eine umfassende Prüfung der Unternehmenstätigkeit auf Umweltauswirkungen, abschließend mit der Erstellung einer ersten Umweltbilanz der S-Bahn Berlin GmbH.

Der 2. Schwerpunkt der Prüfung lag in der Identifikation von Kostensenkungspotentialen im Umweltbereich. Erfahrungsgemäß werden hier erhebliche Einsparungsmöglichkeiten entdeckt, da Energie, Abfall, Wasser- und Abwasser mit großen Kostenblöcken zu Buche schlagen. Desgleichen kann eine verbesserte Umweltorganisation zur Kostensenkung beitragen.

Methodisch war eine Abgrenzung des "Umweltsystems S-Bahn" (Abb. 2) notwendig. Nach Ortsbegehungen, Datenerhebung bzw. Auswertung vorhandener Daten wurde mit Hilfe einer Input-Output-Analyse die Stoff- und Energieflüsse des Unternehmens ermittelt. Dabei wurde festgestellt, daß das Umweltsystem Bahn" aus Fahrweg, Zügen, Bahnsteigen, vier Werkstätten zur Instandhaltung und der Verwaltung besteht. Da Fahrwege und Bahnsteige der DB AG gehören und mit der S-Bahn ein Benutzervertrag besteht, differieren das "Umweltsystem S-Bahn" und die tatsächlichen "Besitzverhältnisse". Diese Verflechtungen erschwerten die Analyse besonders.

Schwerpunkt der Umweltbeurteilung war die Genehmigungssituation, die Abfallentsorgung in den Betriebsbereichen und der Zustand umweltrelevanter Anlagen der S-Bahn.

Die Betriebsbegehung und Bestandsaufnahme der umweltrelevanten Anlagen ergab, daß sich die betriebenen Anlagen in der Regel auf dem Stand der Technik befinden und korrekt betrieben bzw. gewartet werden. Aus dem Betriebsgeschehen der Standorte der S-Bahn Berlin GmbH resultieren keine erheblichen Umweltbelastungen, wobei der Lärm älterer S-Bahnzüge in Nähe der Wohnbebauungen ein Problem darstellt.

Die Analyse der bestehenden Umweltorganisation verdeutlichte, daß die S-Bahn Berlin GmbH in Eigeninitiative bereits fundierte Ansätze für eine Umweltorganisation entwickelt hatte, aber eine in sich geschlossene Umweltorganisation noch nicht existierte, ein gewisses Risiko des Organisationsverschuldens bei auftretenden Umweltproblemen also durchaus gefunden war.

Erkannte Abfall- und Abwasserprobleme

Für die Abfallentsorgung stand die Frage der Verantwortlichkeit im Betriebsbereich zur Klärung an. Betrachtet wurden dabei:

  • Abfälle aus der Zugreinigung,
  • Abfälle aus dem Bereich des Schienennetzes,
  • Abfälle im Bereich der Bahnhöfe.

Im gesamten Unternehmen fielen 1995 ca. 14.000 t Abfall an. Die größte Fraktion bildete der hausmüllähnliche Gewerbeabfall mit ca. 11.000 t. Es folgten Metallabfälle und Bauschutt. Die Betriebsbereiche mit den Bahnhöfen trugen hierzu nach einer Hochrechnung mit fast 4.000 t bei. Obwohl die Abfalldaten der Werkstätten in ausreichender Genauigkeit Vorlagen, wurde festgestellt, daß für ca. 6% des Gesamtabfallgewichtes die Angabe des Entsorgungsweges nicht möglich war. Unter anderem existierte keine zentrale Organisation der Abfallentsorgung für die einzelnen Werkstätten.

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Abbildung 2: Systemdarstellung S-Bahn mit Abgrenzung zur DB AG. Zeichnung: GUT

Zwei wichtige Erhebungsergebnisse kristallisierten sich im Abwasserbereich heraus. Handlungsbedarf resultierte insbesondere aus dem altersbedingten, vermutlich nicht mehr ordnungsgemäßen Zustand von Kanälen und Abscheidern (Alter zum Teil über 60 Jahre!). Im Rahmen der ersten Umweltprüfung wurde außerdem festgestellt, daß die S-Bahn Berlin GmbH entgegen der anfänglichen Auffassung Besitzer und Betreiber der gesamten Abwasserkanalisation in den Werkstätten ist und nicht die DB AG. Damit ist sie für den ordnungsgemäßen Zustand verantwortlich.

Was wurde bis heute umgesetzt?

Durch Energieeinsparung, Abfallvermeidung, -trennung sowie durch sparsamen Umgang mit Wasser kann die S-Bahn schon heute jährlich bis zu 10,8 Mio. DM sparen. Außerdem konnten in der Hauptwerkstatt Schöneweide im Bereich der industriellen Metallwaschmaschinen mit Hilfe einer neuen Waschanlage und Abwasseranlage Wassereinsparungen bis zu 85 % erreicht werden. In der Hauptwerkstatt wurde der Wasserverbrauch durch verschiedene Maßnahmen um 30 % gesenkt. Die ersten praktischen Erfahrungen lassen darauf schließen, daß weitere Einsparungen als realistisch angesehen werden können.

Eine weitere unabdingbare Errungenschaft aus dem Umweltprüfprozeß ist ein neues Hallendach in der Hauptwerkstatt, das 1927 errichtet worden war und nach dieser langen Nutzungsdauer erhebliche bauliche Mängel hinsichtlich Dichtheit, Lichtdurchlässigkeit und Sicherheit aufwies. Ein Kriterium für die Dacherneuerung war, bei Berücksichtigung des Denkmalschutzes, eine bessere Wärmedämmung zu erreichen. Die projektierten Daten gehen von einer Senkung der Abstrahlverluste von ca. 17% aus. Damit wird, bezogen auf den Witterungsverlauf des Jahres 1997, eine Einsparung von 146,37 t Heizöl bzw. 1538 TkWh möglich. Die durch die Öko-Audit-Aktivitäten angestoßenen, gegenwärtig noch laufenden Maßnahmen zur Kosteneinsparung sorgen für eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit der S-Bahn. Durch mehr Ökologie kommt die S-Bahn auch zu mehr Ökonomie und damit zu einer Steigerung ihrer Wirtschaftlichkeit. Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen sind deshalb sofort eingeleitet worden.

Auch der Aufbau der Umweltschutzorganisation ist bereits wesentlich schlagkräftiger und systematischer, so daß ein denkbares Organisationsverschulden an Umweltunfällen deutlich vermindert, wenn nicht ausgeschlossen werden kann.

Zur Zeit schließt die S-Bahn Berlin GmbH die Einführung des erarbeiteten Umweltmanagementsystems ab. Das Umweltmanagementhandbuch liegt vor. 56 interne Richtlinien regeln Lagerung und Umgang mit Gefahrstoffen, Emission und Lärmbekämpfung, Gewässerschutz, Abfallwirtschaft und Entsorgung, Umweltkostenrechnung etc.; geben also konkrete Handlungsanweisungen in allen Bereichen der S-Bahn Berlin GmbH. Interne Audits schließen sich in den nächsten Monaten als Voraussetzung für eine Zertifizierung nach DIN ISO 14001an. Die Umweltpolitik und die Umweltverbesserungsziele wurden bereits den Mitarbeitern vorgestellt und auch die Umwelterklärung wird rechtzeitig zur Validierung noch im Jahr 1998 vorliegen.

Dr.-Ing. Jan Uwe Lieback, Geschäftsführer der GUT,
Gesellschaft für Umwelttechnik und Unternehmensberatung mbH, Berlin Dipl.-Ing. Günther Ruppert, Technischer Geschäftsführer der S-Bahn Berlin GmbH Prof. Dr. Lutz Wicke, Direktor Institut für Umweltmanagement (IfUM) Berlin

aus SIGNAL 7/1998 (September 1998), Seite 16-17

 

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