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In Hamburg hat Olaf Scholz die Richtung
gleich nach den jüngsten Wahlen noch
einmal bekräftigt, und die Grünen als sein
neuer Koalitionspartner sind dem Ersten
Bürgermeister dabei gefolgt: In der Hansestadt
soll im Laufe der nächsten Jahre
und Jahrzehnte eine lange U-Bahn-Linie
gebaut, attraktiver öffentlicher Nahverkehr
auf den Straßen ausschließlich mit Bussen
angeboten werden. Die Tram kommt ganz
bestimmt nicht an die Alster zurück.
Das ist Verkehrspolitik aus den sechziger
Jahren, die aber in einer Hinsicht von
einer Entwicklung der jüngsten Zeit herrührt:
dem erfreulichen Trend zur direkten
Demokratie, der endlich auch in Deutschland
eingesetzt hat. Scholz und seine
SPD-Genossen lehnen die Straßenbahn
nicht zuletzt deshalb so vehement ab,
weil
sie Angst haben vor einem erfolgreichen
Volksbegehren gegen die Wiedereinführung
der Straßenbahn. Als wichtiges Argument
für die U-Bahn-Baupläne wird denn
auch genannt, diese könnten ohne große
oberirdische Störungen umgesetzt werden:
Kilometerweit möchte man sich im
Schildvortriebsverfahren durch Hamburgs
Untergrund bohren, kostspielig und zeitraubend,
aber bürgerberuhigend.
Leider ist Hamburg kein Einzelfall. Auch
in anderen Städten sorgen sich Politiker
um den Widerstand, den Pläne zum Neubau
von Straßenbahnstrecken oft auslösen.
Dabei sollte es eigentlich genau
umgekehrt sein: Das Land müsste vor
Bürgerinitiativen wimmeln, die die Errichtung
konkret benannter Tramtrassen
fordern und zur Not per Volksentscheid
durchsetzen. Politiker müssten fürchten,
als Zauderer, unfähige Planer und Anhänger
völlig überholter Verkehrskonzepte
dazustehen, wenn sie sich benehmen wie
Olaf Scholz. Oder wenn sie es schaffen,
den Ausbau des Straßenbahnnetzes so zu
verschleppen und auf Schneckentempo
zu reduzieren, wie es in Berlin seit Jahren
geschieht.
Stattdessen können sie nicht nur auf
die mittlerweile übliche Gleichgültigkeit
entpolitisierter, eingeschläferter Bürger
zählen. Sondern auch auf die Abneigung,
welche der Straßenbahn stärker entgegenzuschlagen
scheint als irgendeinem
anderen Verkehrsmittel. Mag sie in anderen
Ländern seit langem eine Renaissance
erleben – in Deutschland gibt es nur hier
und da hoffnungsvolle Ansätze.
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Berlin Alexanderplatz. Die Straßenbahn ist gefährlich: Sie überfährt hinterrücks unschuldige Fußgänger, während die Anwohner vor Räderquietschen und Scheppern nicht schlafen können. Außerdem nimmt sie mitten auf dem Alex ganz viele Pkw-Parkplätze weg. Auf der Straße verwirrt sie Autofahrer, und Radfahrer stürzen in ihre Rillenschienen. Foto: Florian Müller |
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Vielleicht liegt dies an der großen Liebe
der Deutschen zum Auto. Aus dessen Perspektive
wurde die Straßenbahn ja schon
in der Zeit zwischen den Weltkriegen als
Hauptfeind ausgemacht. Als die Massenmotorisierung
noch eine Fiktion war und
die Behauptung, Berlin habe Straßenverkehrsprobleme,
lächerliche Angeberei,
wurde die Tram nicht nur zum Verkehrshindernis
erklärt, sondern für schlichtweg
veraltet. Dem Bus, der damals nur einen
geringen Teil des Fahrgastaufkommens
im hauptstädtischen ÖPNV bewältigte,
verlieh man das Image, viel moderner
zu sein. Auch die BVG begann seinerzeit,
statt vom Omnibus immer häufiger vom
„Autobus“ zu sprechen: So erschien er als
Verkehrsmittel, das dem zum Maß aller
Dinge auserkorenen Privat-Pkw schon
recht nahe kommt.
Als man bald nach 1945 nicht nur in Berlin
mit der Reduzierung oder völligen Zerstörung
der Tramnetze begann, zeigte sich
oft: Es ging nicht nur darum, einen Konkurrenten
um den trotz aller großflächigen
Kahlschläge und großzügigen Straßenverbreiterungen
begrenzten Verkehrsraum
zu beseitigen. Auch in West-Berlin fuhr
die Straßenbahn nicht selten auf eigenem
Gleiskörper, und wo dieser verlaufen war,
legte man anschließend nicht immer neue
Fahrspuren oder Parkplätze an. Mancherorts
werden die früheren Tramflächen bis
heute kaum genutzt, es sei denn als Erholungsangebot
für Menschen, die gern auf
dem Mittelstreifen einer Hauptverkehrsstraße
ein wenig ausspannen und mal richtig
durchatmen möchten.
Natürlich ist der Egoismus von Anwohnern,
die sich wegen einer neuen Tramstrecke
um den Fortfall von Parkplätzen sorgen,
nachvollziehbar. Allerdings handelt es sich
dabei auch schon um so ziemlich den einzigen
rationalen Einwand, der vorgebracht
wird.
Mal quietscht die Straßenbahn angeblich
– was natürlich nicht hinzunehmen
wäre angesichts des leisen, lieblichen
Wohlklangs, mit dem sich der Kfz-Verkehr
allen voran auf Hauptstraßen bewegt. Dann
wieder ist sie zu leise – und damit verantwortlich
für schockierende Unfälle. Schließlich
lässt sich gerade bei einer Bahn nie so
genau erkennen, wo diese auftauchen und
entlangfahren könnte. Ferner verschandelt
die Tram die Straßen, bedroht die Bäume,
könnte Häuser zum Einsturz bringen – kein
Argument gegen die Straßenbahn scheint
zu dumm zu sein. Offenbar reagieren auf
deren bloßen Anblick manche Menschen
allergisch. Und veranstalten dann auch
mehr Lärm als jene, die sich eine Verbesserung
des öffentlichen Verkehrsangebots
wünschen.
Dabei steht die Abneigung gegen die
Tram nicht nur in krassem Gegensatz zu
ihrem Wert und Nutzen: In der Regel übertrifft
der Fahrgastzuspruch, den eine neue
Strecke genießt, auch die Erwartungen.
Doch mit solch guten Argumenten scheint
man eingefleischten Straßenbahnhassern
kaum beikommen zu können. Sollte man
es angesichts dessen überhaupt noch versuchen?
Jan Gympel
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