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Das ist KEIN Park, sondern der attraktiv gestaltete Mittelstreifen einer vierspurigen Straße im französischen Dijon. Solche Straßenbahn-Strecken rufen auch keine Proteste von Bürgern bei der Planung hervor Foto: Artur Frenzel |
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Immer, wenn der Senat begründen wollte,
warum in Berlin neue Straßenbahnstrecken
nicht möglich sind, wurde mit einer angeblichen
Sonderstellung dieser Stadt argumentiert.
Gute Beispiele aus anderen Städten
wurden dadurch abgewertet, dass die betreffenden
Vorbilder als mit Berlin nicht vergleichbar
dargestellt wurden, meist mit dem
Satz garniert, dass eine so kleine Stadt wie
Karlsruhe, Bremen, Kassel usw. nicht mit der
Metropole dieses Landes in einen Topf geworfen
werden könne. Zu Ende gedacht bedeutete
das aber, dass die Berliner alles neu
erfinden müssten: Straßen, Wasserleitungen,
Ämter und eben auch Straßenbahnen,
denn keine andere Stadt in Deutschland ist
mit Berlin vergleichbar. Jeder sieht sofort ein,
dass diese Argumentation unhaltbar ist, und
auch der Senat weiß das. Darum sollen an
dieser Stelle Anregungen aus anderen Orten
dazu dienen, einige Fehler der hiesigen
Verkehrspolitik in Zukunft zu vermeiden
oder für neue Probleme schon erfolgreich
erprobte Lösungen parat zu haben.
Beispiel 1: Überfahrbare
Haltestellenkaps
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Das Grundprinzip eines überfahrbaren Haltestellenkaps ist hier schön zu sehen: Eine auf Wagenbodenniveau angehobene Fahrbahn, die für Autos weiter benutzbar bleibt (kein Platzverbrauch für Bahnsteige). Leider ist diese erste Ausführung in Berlin-Friedrichshagen durch den trotzdem vorhandenen Bordstein und das Kopfsteinpflaster für die Zielgruppe (Gehbehinderte, Rollstuhl- und Rollatorennutzer) nicht optimal. Foto: Artur Frenzel |
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Obwohl gerade in Berlin genug Platz für
eigene Bahnkörper der Straßenbahn vorhanden
ist, werden selbst Neubaustrecken
wie in der Bernauer oder Invalidenstraße
so geplant, dass sich die Straßenbahn im
Stau hinten anstellen muss. Dabei ist seit
den 1970er Jahren bekannt, dass eines der
Hauptprobleme des Autoverkehrs der überproportionale
Platzbedarf ist, der gerade bei
Straßenumbauten für neue Straßenbahnen
etwas eingedämmt werden könnte.
Wenn aber dieses Manko hier schon nicht
angegangen wird, dann sollte wenigstens
die Anlage der Haltestellen den neuesten
Erkenntnissen der barrierefreien Zugänglichkeit
entsprechen. Dazu gehören zum
Beispiel erhöhte Zugangsbereiche (also
Bahnsteige) für einen niveaugleichen Einstieg
auf Wagenbodenhöhe. Wenn im Falle
der angesprochenen Beispiele die Anlage
der Trassen keine klassischen Bahnsteige
zulässt, dann müssen wenigstens die
Fahrbahnen, die den Platz des Bahnsteigs
einnehmen, entsprechend angepasst werden.
In vielen anderen Städten haben diese
erhöhten Fahrspuren – überfahrbare Haltestellenkaps
genannt – ihre Bewährungsprobe
längst bestanden und die Autofahrer
dort kommen damit auch gut klar, selbst bei
zwei Fahrstreifen.
Beispiel 2: Integration von Gleistrassen
in Parkanlagen
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Finden Sie die Schienen? Ein schönes Beispiel für eine naturnahe Trasse in Leipzig. Dazu gehört auch, dass die Oberleitungsmasten nicht das Bild verstellen, sondern trotz Mehrkosten so platziert sind, dass der freie Blick über die Wiese erhalten bleibt. Foto: Michael Dittrich |
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In vielen Debatten der jüngeren Zeit wird
von Straßenbahngegnern behauptet, neue
Trassen verschandeln das Stadtbild. Bezeichnend
daran ist, dass das von neuen Autobahnen
nicht behauptet wird, obwohl es
bei denen wirklich so ist – im Gegensatz zu
Tramstrecken, die sich geradezu organisch
in bestehende Strukturen einbinden lassen.
Ein schönes Beispiel dafür sind Rasengleise
in Parkanlagen, die man nahezu unsichtbar
ausführen kann. Und als weiterer positiver
Effekt wird bei dieser Ausführung im Gegensatz
zu neuen Straßen auch nicht der Boden
versiegelt. Das trifft natürlich nur auf die
Bauarten mit Oberleitung zu, denn die neuen
Techniken mit der Stromzuführung von
unten benötigen einen massiven Unterbau.
Im Gegensatz zu neuen Straßen gelingt bei
Gleisen nicht nur die bauliche Integration,
sondern auch die betriebliche. Schließlich
kommt auch bei den sehr dicht befahrenen
Strecken wesentlich seltener ein Zug als
ein Auto auf der Straße – also ist das oft beschworene
Gefahrenpotenzial für querende
Fußgänger bei Straßenbahnen gering.
Beispiel 3: Bei Bauarbeiten
unnötiges Umsteigen vermeiden
Gerade in Berlin, wo es wohl die breitesten
Stadtstraßen Deutschlands gibt, wird bei
Baustellen oft am Platz für den öffentlichen
Verkehr gespart. So werden regelmäßig
Straßenbahnlinien eingestellt, und durch
Schienenersatzverkehr (SEV) entstehen für
die Fahrgäste Umsteigezwänge.
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Leipzig. Die Straßenbahn fährt eingleisig an der Baustelle vorbei, während der Autoverkehr umgeleitet wird. Offenbar funktioniert sogar im autofreundlichen Sachsen, was der Berliner Senat scheut. Foto: Michael Dittrich |
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In anderen Städten wird weiter gedacht
und bei länger dauernden Baustellen werden
provisorische Gleistrassen eingerichtet oder immer nur
eines der beiden Streckengleise
saniert und auf dem anderen gefahren.
Dafür müssen die warm und trocken
sitzenden Autofahrer eventuell auch mal in
einer Richtung eine Umleitung fahren, aber
angesichts der mit dem Umsteigen verbundenen
viel größeren Härten für die Fahrgäste
(Wetter, Anschlussverlust, geringerer
Komfort im Bus, zu wenig Plätze gegenüber
der Bahn usw) ist das eine vertretbare Lösung.
Eine andere Spielart dieses Problems sind
Umleitungen. Wenn wirklich einmal eine
Strecke voll gesperrt werden muss, dann
bietet sich in einem so engmaschigen Netz
wie in Berlin eine Umfahrung der Baustelle
oft an. Dadurch müssen nur die unmittelbaren
Anlieger der gesperrten Strecke in den
Bus umsteigen und alle „Transitreisenden“
können in der Bahn sitzen bleiben.
Leider gibt es im hiesigen Straßenbahnnetz
nicht genug Gleisverbindungen an den
Kreuzungen, um alle Potenziale dieser Betriebsform
ausnutzen zu können. Aber selbst
wenn die BVG eine Linie wegen Umleitung
einmal teilen muss, ist das immer noch eine
Erleichterung für die durchfahrenden Fahrgäste,
denn einmal Umsteigen ist besser als
zweimal Umsteigen wegen SEV. Die IGEB
fordert daher schon seit Jahren eine bessere
Ausstattung des Netzes mit Gleisverbindungen
für den Störungsfall.
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Wenn mal was dazwischen kommt, dann kann die Leitstelle in Karlsruhe sofort Umleitungen anordnen, während die Berliner Straßenbahnen in einem langen Stau auflaufen, weil keine Weichen zum Abbiegen oder Wenden vorhanden sind. Foto: Artur Frenzel |
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Oft wurde dann entgegnet, dass das wegen
der Umstellung des Betriebes auf Zweirichtungswagen
nicht nötig sei, mithilfe von
Kletterweichen könne man dann von beiden
Seiten bis an die Baustelle heranfahren, und
bei kurzen gesperrten Abschnitten (wie aktuell
in Rummelsburg praktiziert) wäre ein
Ersatzverkehr dann ganz entbehrlich. Dem
ist zu widersprechen, weil es ja leider nicht
nur langfristig geplante Baumaßnahmen
gibt, sondern auch kurzfristige Sperrungen
wegen Unfällen, Sportereignissen usw. Für
diese Fälle sind fest eingebaute Gleisverbindungen
unverzichtbar. Außerdem hat die
BVG gerade bei den fassungsstarken neuen
Flexity-Bahnen Bedenken, über Kletterweichen
zu fahren, so dass die ganze Argumentation
gegen eine Verbesserung der Infrastruktur
haltlos wird.
Beispiel 4: Fahrgastinformation bei
veränderter Betriebsführung
Gute Fahrgastinformation erleichtert die
Orientierung bei veränderter Betriebsführung.
Alle Anstrengungen aus Beispiel 3 nützen
nichts, wenn die Fahrgäste wegen falscher
Information trotz guter Umfahrungsmöglichkeiten
zum SEV mit mehrmaligem Umsteigen
geschickt werden. Das hat sicher
auch mit dem Geld des Verkehrsbetriebes
zu tun, denn auch bei allen Baustellen-Unterbrechungen
immer unverändert zu schildern,
ist billiger, als jede Abweichung neu
bebildern zu müssen.
Auch dafür gibt es gute Beispiele aus anderen
Städten. So werden in Karlsruhe im
Zusammenhang mit der großen Tunnelbaustelle
in der Innenstadt auch extra Netzpläne
mit Hervorhebung der gesperrten
Abschnitte gedruckt. Und die veränderten
Linienführungen sowohl in diesen Plänen
als auch an und in allen Zügen erleichtern
den Fahrgästen das Finden umsteigearmer
Fahrtvarianten.
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Die Baustelle dauert nur zweieinhalb Wochen, aber die Karlsruher Fahrgäste sind ihrem Verkehrsbetrieb ein extra Flugblatt wert, dass über das veränderte Liniennetz einfach und effektiv informiert. Quelle: VBK |
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Das beste Beispiel in dieser Kategorie
gaben aber die Dresdner Verkehrsbetriebe
beim Elbehochwasser im Jahr 2002. Dort
wurden entsprechend den freigegebenen
Strecken teilweise täglich aktuelle Linien-Netzpläne
gedruckt und direkt an den wichtigen
Umsteigehaltestellen an die Kunden
verteilt. Bei einer solchen Vielzahl von Linienänderungen
ist diese Lösung auch besser,
als einen Text durch die Haltestellenanzeiger
laufen zu lassen, bei dem der Fahrgast
Minuten zum Lesen braucht – abgesehen
davon, dass bei dem Hochwasser auch die
Haltestellentechnik nicht mehr zur Verfügung
stand.
Aber im Regelfall reicht es, die befahrene
Strecke korrekt an den Zügen und Haltestellen
anzuzeigen, um den erfahreneren
Kunden damit Hinweise auf bessere Umsteige-
und Fahrtmöglichkeiten zu geben und
ihnen die Falle Ersatzverkehr zu ersparen.
Die hier aufgezeigten Möglichkeiten
sind längst nicht vollständig, aber sie zeigen,
dass die Straßenbahn kein unflexibles
oder störendes, aber notwendiges Übel ist,
sondern eine zeitgemäße Lösung für die
verschiedensten Verkehrsfragen der modernen
Stadt. Hoffentlich können die Berliner in
Zukunft mehr davon profitieren! (af)
IGEB Stadtverkehr
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