Ein guter Tag für Berlin und seinen Verkehr
ist dieser 15. August 2030: Noch vor dem
Ende des Sommers (und vier Wochen vor
der Abgeordnetenhauswahl) wird heute
durch die Regierende Bürgermeisterin der
erste Fahrradschnellweg der Hauptstadt
eröffnet. Er verbindet, ohne niveaugleiche
Kreuzung mit anderen Verkehrswegen, die
Benschallee in Düppel mit der Yorckstraße
in Schöneberg und verläuft zwischen den
S-Bahn-Stationen Zehlendorf und Yorckstraße
(Großgörschenstraße) direkt neben den
Gleisen der S 1.
Entwickelt wurde das Projekt im Jahre
2015, als sich eine zunächst kleine Gruppe
der – wie damals betont wurde – seit langem
ungenutzten und verwilderten Trasse
der Stammbahn annahm. Nach mehrjährigem
Vorlauf, der unter anderem benötigt
wurde, um den Güterverkehr, der auf der
Stammbahn noch zwischen Zehlendorf
und Lichterfelde West stattfand, auf die
Straße zu verlagern, begannen 2020 die Rodungs- und
Abbrucharbeiten sowie die Demontage
der Gleise. Im selben Jahr konnte
das zweite Planfeststellungsverfahren abgeschlossen
werden, nachdem das erste
wegen schwerwiegender Mängel hatte
abgebrochen werden müssen. Neben dem
Bau einiger Fahrradbrücken erwies sich die
Errichtung des mehr als zehn Kilometer
langen Zauns zu den S-Bahn-Gleisen als
besonders aufwendig: Nach einer neuen
EU-Richtlinie, die die Bürgerinnen und
Bürger besser vor dem versehentlichen
Überklettern der Absperrung schützen soll,
musste der Zaun durchgängig drei Meter
hoch ausgeführt werden.
Anschlussstrecken mit Kopfsteinpflaster
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Blick von der Friedenauer Brücke auf den S-Bahnhof Friedenau. Zwischen Steglitz und Schöneberg, wo heute zwischen den S-Bahn-Gleisen und der Stadtautobahn der Fahrradschnellweg verläuft, war dessen Trasse 2015 noch überwuchert. Foto: Jan Gympel |
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Der „Berlin.bikeHIGHway“, wie der Radschnellweg
offiziell heißt, ist faktisch vierspurig
– wenn sich die Radfahrer entsprechend
weit an den Rändern der jeweiligen
Richtungsfahrbahn halten. Bei der Eröffnung
zeigte sich der Stadtentwicklungssenator
aber zuversichtlich, dass es diesbezüglich
keine Probleme geben werde, ebensowenig
wie etwa zwischen sportlich ambitionierten
Hochgeschwindigkeitsradlern und eher gemächlichen
Pedaltretern: „Gerade die Berliner
Radfahrer zeichnen sich bekanntlich aus
durch ein hohes Maß an Verkehrsdisziplin
und rücksichtsvollem Verhalten.“
So werde es auch kaum zu Konflikten
kommen an den diversen Straßenüber- und
-unterführungen, wo die ursprünglich für
ein Gleis vorgesehenen Durchlässe oder
Brücken nur einen einspurigen Verkehr zulassen.
Gleiches gelte für viele Verbindungen
zwischen dem Radschnellweg und den
Hauptverkehrsstraßen, die ihn kreuzen: Um
die Kosten zu begrenzen, wurde – wo immer
möglich – darauf verzichtet, mit viel Aufwand
an den Kreuzungen Rampen zu bauen.
Statt dessen stellte man den Anschluss
an den Radschnellweg über Nebenstraßen
her, die zu Stellen führen, an denen sich das
Bahngelände auf dem gleichen Niveau wie
seine Umgebung befindet. Zwar sind viele
dieser Straßen nicht asphaltiert, doch der
Senator sieht auch hierin kein Problem: „Die
Radler werden in diesen Straßen einfach
dort fahren, wo sie es auch in asphaltierten
Nebenstraßen ohne nennenswerten Autoverkehr
in der Regel tun: auf dem Gehweg.“
Wie aus den bezirklichen Ordnungsämtern
verlautet, will man ein wachsames
Auge haben auf störende Fußgänger, wann
immer die Bediensteten mal kurz Pause machen
von ihrer Hauptaufgabe: dem kostenpflichtigen
Erfassen von Parksündern.
Citytoiletten und Metropolisduschen
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Rund um den Bahnhof Lichterfelde West fand 2015 noch Güterverkehr statt. Von hier aus wurde regelmäßig das Ford-Werk in Köln beliefert. Foto: Jan Gympel |
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Um das Projekt nach vielen Verzögerungen
endlich zum Abschluss zu bringen, musste
ferner auf die Überquerung der Yorckstraße,
die sich ebenfalls als komplizierter
erwiesen hatte denn ursprünglich erwartet,
verzichtet werden. Der Radschnellweg
endet daher bereits hier. „Aber mit nur einem
kleinen Umweg über die Yorck-, Möckern-
und Stresemannstraße oder über
die Bülow-, Dennewitz- und Flottwellstraße
erreicht man auch jetzt den Potsdamer
Platz“, erklärte der Senator. Der Potsdamer
Platz war eigentlich als Endpunkt des Berlin.
bikeHIGHways vorgesehen gewesen.
Ebenfalls nicht wie geplant ließen sich die
Servicestationen realisieren, die von privater
Seite errichtet und in die Toiletten, Umkleidekabinen
und Duschen integriert werden sollten.
Bei zwei europaweiten Ausschreibungen
blieb am Ende die Firma WallDecauxUrbanis
als einziger Bewerber übrig, der nun an den
S-Bahnhöfen Zehlendorf, Rathaus Steglitz
und Schöneberg je einen Kiosk, eine seiner
bekannten Citytoiletten und eine der neuentwickelten
Metropolisduschen errichtet
hat. Im Gegenzug für dieses Engagement
wurde dem Unternehmen erlaubt, entlang
des Fahrradschnellwegs Reklametafeln zu errichten,
wobei jedoch zwischen zwei Werbeflächen
ein Mindestabstand von drei Metern
gewahrt bleiben muss.
Außerdem entstanden zwei Ladestationen
für Elektrofahrräder, die sich seit vielen
Jahren wachsender Beliebtheit erfreuen. Experten
nennen als einen Grund dafür, dass
E-Bike-Batterien deutlich zuverlässiger sind
als die Akkus jener Fahrzeuge, mit denen die
BVG jüngst ihren seit 2015 fünften Elektrobusversuch
durchführte.
Dass die Ladestationen von der öffentlichen
Hand betrieben werden, verbuchen
die Grünen als ihren Erfolg, wie ein Vertreter
der Partei erklärte: „Grün wirkt! Die Errichtung
dieser zwei öffentlich betriebenen
Ladestationen zeigt ebenso wie die in den
vergangenen fünf Jahren fertiggestellten
700 Meter neue Straßenbahnstrecke, dass es
richtig war, mit der CDU eine Koalition einzugehen,
auch wenn wir dafür dem Weiterbau
der Stadtautobahn A 100 bis zur Bornholmer
Straße zustimmen mussten.“
Gegenüber der Kalkulation zu Baubeginn
vervierfachten sich die Kosten für den Fahrradschnellweg
zwar, derweil sich die Bauzeit
lediglich verdreifachte. CDU wie Grüne
betonen jedoch einmütig, durch derartige
„Erbsenzählerei“ dürfe die Bedeutung des
Fahrradschnellwegs als Pilotprojekt nicht
kleingeredet werden. Der Senator: „Mit dem
Berlin.bikeHIGHway wird unsere Metropole
noch mehr zu einem Verkehrskompetenzzentrum
mit echtem Weltniveau.“ Dementsprechend
sei es auch vollkommen richtig
gewesen, in dieses Vorhaben fast die gesamten
Mittel zu stecken, die in den letzten
Jahren für Sanierung, Verbesserung und
Ausbau des Radwegenetzes zur Verfügung
standen.
Zweiter Radschnellweg kommt bald –
eventuell
Im November soll der Radschnellweg
übrigens
kurz wieder geschlossen werden:
Kleine Nacharbeiten und dringend notwendige
Reparaturen, die nicht zuletzt durch
die jüngste, zehnwöchige Hitzewelle verursacht
wurden, müssen dringend ausgeführt
werden. Doch bereits im März oder April
2031 soll die Strecke wieder zur Verfügung
stehen: „Spätestens im Mai!“ versprach der
Senator mit Verweis auf das gerade bei Verkehrsbauten
seit langem bekannte Berliner
Tempo.
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Die Rubensstraße im Jahr 2015. Um sie überqueren zu können, wurde für den Radschnellweg neben der S-Bahn-Brücke eine Radfahrer-Brücke gebaut – eine von vielen. Foto: Jan Gympel |
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Der Betrieb des „Berlin.bikeHIGHways“
ist für die kommenden fünf Jahre gesichert:
Die Deutsche Bahn AG hat zugesagt,
ihre Pläne für den seit geraumer Zeit als
notwendig erkannten Wiederaufbau der
Stammbahn so lange zurückzustellen. Ein
Bahnsprecher: „Angesichts des Wachstums
von Potsdam auf inzwischen über 200 000
Einwohner und des Bevölkerungsanstiegs
gerade im südwestlichen Speckgürtel ist
eine zweite Regionalbahnverbindung ins
Berliner Zentrum dringend erforderlich.
Vor 2035 können wir den Wiederaufbau der
Stammbahn aber ohnehin nicht angehen,
da dafür die Planungskapazitäten der DB
nicht ausreichen.“
Fragen von Journalisten, ob die im Jahre
2015 getroffene Entscheidung für den Bau
eines Radweges auf einer Bahnstrecke ein
Fehler gewesen sei, beantwortete der DB-Sprecher
ausweichend: „Da müssen Sie den
damaligen Regierenden Bürgermeister Müller
fragen.“ Heute jedenfalls würde die Bahn
nirgends mehr auf Trassen verzichten: „Die
Trassen unserer Urväter sind das wichtigste
Kapital der Bahn“.
Für Berlins zweiten Radschnellweg auf
bisherigen Fahrspuren der Bundestraße 5
soll demnächst mit der Planung begonnen
werden. Angestrebt wird, ihn schon in fünf
Jahren eröffnen zu können. Die Regierende
Bürgermeisterin zeigte sich zuversichtlich,
dass dies in jedem Falle noch vor der
Inbetriebnahme des Großflughafens BER
gelingt.
Jan Gympel
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