Während ich dies schreibe, sitze ich in genau
solch einem Kleinod der BVG. Nur leider
gleicht dieses mehr der Dresdner Frauenkirche
vor dem Wiederaufbau. Es regnet, ich
rutsche von einem mit kryptischen Zeichen
beschmierten Sitz zum nächsten, da mich
die Wartehalle der Firma Wall buchstäblich
im Regen sitzen lässt. Von oben tropft es, an
Stützen und Scheiben der Rückwand läuft das
Regenwasser hinab – im Innern versteht sich.
Aber trotz allem habe ich Glück. Müll liegt
nur in geringem Umfang auf dem Boden,
und auch die Zigarettenkippen im nahen
Umfeld beschränken sich auf etwa 40 Stück.
Dafür zündet sich zwei Meter links von mir
eine Dame gerade einen neuen Lungentorpedo
an. Unter diesen Umständen kann ich
mich fast zu der Aussage hinreißen lassen,
dass ich mich hier so richtig wohl fühle.
Und dann plötzlich macht´s flup! Flup die
Fluppe in die Ecke. Der orangefarbene Müllbehälter
ist schließlich gut eineinhalb Meter
entfernt. Zu weit und zu beschwerlich dieser
Weg, um diese Strapazen auf sich nehmen
zu können.
Ein bedauerlicher Einzelfall, denke ich und
begebe mich in die Obhut einer anderen
Wartehalle bereits genannter Firma. Neuer
Stadtbezirk, neues Glück. Es kann ja nicht
überall so aussehen.
Mit der Überlegung sollte ich Recht behalten.
Kein Müll, die Zigarettenkippen nur
durch aktives Suchen zu finden. Doch halt.
Eine Kleinigkeit stört die fast
makellose Idylle – zunächst
nicht gleich von anderen
Schmierereien zu unterscheiden.
Aber einmal entdeckt lässt
mich der Anblick nicht mehr
los. Sitzflächen, Glasscheiben,
Fahrplanaushänge: Überall
Hakenkreuze, SS-Runen, Hassschriften
gegen Ausländer und
Religionen. Für einen Moment
lang bin ich sprachlos über so
viel Kleingeistigkeit. Doch nicht nur das. Neben
spontan eingetretener Sprachstörung
scheint sich ein Ausdruck von Fassungslosigkeit
in meinem Gesicht breit gemacht zu haben,
denn eine Dame neben mir erkundigt
sich nach meinem Befinden. Es gibt sie also
doch noch, die aufmerksamen Menschen.
Während ich die gefühlt drei Liter Galle
wieder hinunter schlucke, die mir beim Betrachten
dieser Schmiererei reflexartig hoch
gekommen sind, verständige ich die Polizei
und erstattete Anzeige. Zum Glück dauert es
nicht lange, bis dieser literarische Erguss inklusive
Putzmittel wieder dort verschwindet,
woher er kam. Nämlich im braunen Sumpf
der Kanalisation.
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Eine Wartehalle – wie sie sein sollte. Foto: Florian Müller |
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In den folgenden Wochen mache ich leider
immer wieder ähnliche Entdeckungen.
Je nach Ausmaß werden wieder Polizei oder,
sofern es sich um „legalen Rassismus“ handelt,
das Callcenter der BVG bemüht. Bemüht
deswegen, da es scheinbar nur wenige
Mitarbeiter gibt, die in der Lage sind, das
richtige Formular aufzurufen, dies richtig
auszufüllen und dann anschließend an die
richtige Stelle zur Bearbeitung weiterzuleiten.
Teilweise bis zu fünf Tage muss ich mit
ansehen, wie „No Asylanten“ die Umgebung
vergiften. Nebenbei sei bemerkt, dass wohl
jeder vor dem Tod fliehende Syrer ohne
deutsche Sprachkenntnisse eine sprachlich
elegantere Aufschrift hinbekommen hätte.
Nicht nur die BVG hat mit Beschmierungen
solcher und allgemeiner Art zu kämpfen.
Auch die S-Bahn leidet unter der fortschreitenden
Kultur des „gehört ja nicht mir, ist
mir doch egal“. Nur werden dort die dem
Kundentelefon gemeldeten Vorkommnisse
meist schneller bearbeitet. Ausnahmen gibt
es, wenn sich im Kompetenzgerangel der
DB-Konzerntöchter wieder einmal niemand
zuständig fühlt.
Eines fällt aber auf, sowohl bei der BVG als
auch bei der S-Bahn. Egal zu welcher Tagesoder
Nachtzeit ich knietief im Dreck stehe:
Die Werbeflächen sehen aus wie neu geboren.
Und von diesen lächelt dann eine Dame
mit grünen Gummihandschuhen, werbend
für eine Putzhelfervermittlung, auf einen
bereits getrockneten Haufen Erbrochenes
und ich denke so bei mir: Merkste was?!
Nein, ich möchte nicht meckern um des
Meckerns willen. Ich möchte wachrütteln.
Ich möchte sensibilisieren. Ich möchte, dass
sich noch mehr als bisher tut. Ich möchte
ein gesundes Miteinander. Nur so können
wir uns wohlfühlen, und nur so funktioniert
Gemeinschaft.
Luigi Cotani
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