Die sechsköpfige Jury, welche jedes Jahr
die Bahnhöfe prüft und bewertet, besteht
aus Vertretern der Allianz pro Schiene,
des Deutschen Bahnkunden-Verbands
(DBV), von Pro Bahn, des Auto Club Europas
(ACE), des Verkehrsclubs Deutschland
(VCD) und des Allgemeinen Deutschen
Fahrrad-Clubs (ADFC). Bei der Auswahl
des Tourismusbahnhofs sind an der Entscheidung
auch Experten vom Deutschen
Tourismusverband (DTV) und der Kooperation
Fahrtziel Natur beteiligt.
Ausgezeichnet werden von der Jury
nach einer festen Kriterienliste grundsätzlich
nur Bahnhöfe, bei denen die Bedürfnisse
von Bürgern bzw. Bahnkunden
gut berücksichtigt sind und die zugleich
Vorbildfunktion für eine (allzu oft überfällige)
Revitalisierung anderer Bahnhöfe
haben. Objektive Erfordernisse wie Kundeninformation,
Sauberkeit, Integration
in die Stadt und die Verknüpfung mit anderen
Verkehrsmitteln sind dabei ebenso
entscheidend wie ein eher subjektiver
Wohlfühlfaktor. K.-O.-Kriterien sind zum
Beispiel fehlendes Service-Personal an
Ort und Stelle, fehlende Barrierefreiheit,
Sicherheitsmängel – beispielsweise an
Bahnsteigbelägen – oder schmutzige bzw.
defekte Toiletten.
Die Jury-Entscheidung für die Auszeichnung
der 2015 prämierten Bahnhöfe ist
nachfolgend zusammengefasst.
Bahnhof Marburg
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Foto: Christian Schultz |
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Das heute denkmalgeschützte neobarocke
Empfangsgebäude entstand in den Jahren
1907–1909 und ersetzte seinerzeit einen
klassizistischen Vorgängerbau aus den Jahren
1848–1850. Im Dezember 2009 begannen
die Arbeiten für eine umfassende Sanierung
bzw. den barrierefreien Umbau des
Bahnhofsgebäudes, der erste Spatenstich
für die Arbeiten am Bahnhofsvorplatz folgte
im Oktober 2010. Das Gesamtprojekt wurde
schließlich im Frühjahr 2015 abgeschlossen.
Im Ergebnis sind die Wandlung des Bahnhofs
und seines Umfelds beeindruckend
und in Deutschland in dieser Form leider
viel zu selten. Der ehemals vom Autoverkehr
eingeschnürte Bahnhof, eine Folge der
Bausünden aus den 1970er Jahren, ist zu
einer attraktiven Mobilitätsdrehscheibe geworden.
Alle Verkehrsteilnehmer sind nunmehr
gleichberechtigt: Fußgänger, Radfahrer,
Busreisende, aber auch Autofahrer, die
z.B. jemanden vom Bahnhof abholen wollen.
Die geschmackvoll erneuerte Empfangshalle
verfügt heute über acht Ladengeschäfte
mit rund 1200 m² Gesamtfläche. Im
Obergeschoss befinden sich ein Hostel und
Studentenwohnungen.
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Oberweißbacher Bergbahn: Zwischen der Talstation Obstfelderschmiede und der Bergstation Lichtenhain verkehrt u. a. die Güterbühne mit Aufsatzwagen. Foto: Christian Schultz |
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Hervorzuheben ist die vorbildlich gestaltete
Barrierefreiheit des Bahnhofs, so dass
auch mobilitätseingeschränkten Reisenden
der Zugang zum System Bahn ermöglicht
wird. So finden sich beispielsweise für
Seheingeschränkte nicht nur taktile Leitsysteme,
sondern an Schildern, Treppengeländern
und nicht zuletzt auf dem Übersichtsplan
des Empfangsgebäudes auch Hinweise
in Brailleschrift. Und nicht zu vergessen: Für
weitere Hilfestellungen sorgt aufmerksames,
gut geschultes Personal.
Fazit: Der Bahnhof Marburg hat heute
bundesweit Vorbildcharakter bzw. ist wegweisend
für den öffentlichen Verkehr.
Tourismusbahnhof: Oberweißbacher
Bergbahn mit Obstfelderschmiede (Talstation)
und Lichtenhain (Bergstation)
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Auch der neu gestaltete bzw. großzügige Bahnhofsvorplatz trägt wesentlich dazu bei, dass der Bahnhof Marburg nach dem Umbau zu einer attraktiven Mobilitätsdrehscheibe geworden ist. Foto: Christian Schultz |
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Der Haltepunkt Obstfelderschmiede liegt an
der Schwarzatalbahn Rottenbach–Katzhütte
und wurde am 15. Februar 1922 eröffnet. Am
15. März 1923 erfolgte die offizielle Eröffnung
der Bergbahn Obstfelderschmiede—Lichtenhain.
Die Strecke der denkmalgeschützten
eingleisigen Standseilbahn ist 1387,8 m lang
und überwindet einen Höhenunterschied von
323 m (Spurweite 1800 mm). Im Oktober 2001
wurde der Betrieb auf der Steilstrecke für die
Sanierung eingestellt, die Wiedereröffnung
erfolgte am 14. Dezember 2002 (zeitgleich mit
der sanierten Schwarzatalbahn).
Die Strecke ist ein historisches Kleinod
und hat bis heute große Bedeutung für
den Tourismus der Region. Die Talstation
mit dem historischen Fachwerkgebäude
wurde 2002 umfassend saniert und für mobilitätseingeschränkte
Fahrgäste umgebaut.
Auf der Hochebene im Oberweißbacher
Ortsteil Lichtenhain bieten sich Ausflüglern
vielfältige Möglichkeiten. Rundgänge im
benachbarten Fröbelwald, ein Besuch im
Feldbahnmuseum oder die Weiterfahrt auf
der 2,54 km langen, mit 600 V Gleichstrom
elektrifizierten Flachstrecke der Oberweißbacher
Bergbahn Lichtenhain—Cursdorf
(Spurweite 1435 mm, Eröffnung 1921).
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Bahnhof Marburg: Mobilitätseingeschränkten Reisenden wird der Zugang zum System Bahn so leicht wie möglich gemacht. So bietet z.B. auch der Übersichtsplan des Bahnhofs Informationen in Brailleschrift. Foto: Christian Schultz |
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Aber auch für das leibliche Wohl der Besucher
bzw. Touristen ist sowohl an der Talstation
als auch im Bereich der Bergstation (hier
wurde ein ehemaliger Reisezugwagen als
„Bistropa“ entsprechend umgebaut) gesorgt.
Eine Smartphone-Tour, bei der detaillierte
technische Infos zur Berg- und Talstation
online abrufbar sind, rundet das Angebot ab.
Aber auch bei der Oberweißbacher Bergbahn
gilt: Zu dem sehr positiven Gesamteindruck
hat ganz wesentlich das engagierte
Personal vor Ort beigetragen. So wurden die
Kunden nach Ankunft des Triebwagens der
Schwarzatalbahn in Obstfelderschmiede
von einer freundlichen Bahnmitarbeiterin
empfangen, die Standseilbahn wurde während
der Fahrt vorgestellt und die zahlreichen
Fragen auch noch nach Fahrtende ausführlich
beantwortet. Selbst in touristisch
bedeutsamen Regionen mit vielen Ortsfremden/Gästen
ist dies in der heutigen Zeit
leider keine Selbstverständlichkeit mehr.
Bahnhöfe des Jahres 2004 bis 2015 –
eine Bilanz
Als Siegerbahnhöfe wurden in den vergangenen
Jahren gekürt:
2004 – Hannover Hbf und Lübben
2005 – Mannheim Hbf und Weimar
2006 – Hamburg-Dammtor und Oberstdorf
2007 – Berlin Hbf und Landsberg am Lech
2008 – Karlsruhe Hbf und Schwerin Hbf
2009 – Erfurt Hbf und Uelzen („Hundertwasserbahnhof“)
2010 – Darmstadt Hbf und Baden-Baden
2011 – Leipzig Hbf und Halberstadt
2012 – Bremen Hbf und Aschaffenburg Hbf;
Sonderpreis „Tourismus“ für den Bahnhof
Bad Schandau
2013 – Göttingen und Oberursel
2014 – Dresden Hbf und Hünfeld
Eine gute Zusammenarbeit vor Ort ist dabei
letztlich entscheidend für den Sieg. Im Fall
von Marburg ist diese Gemeinschaftsaufgabe
u. a. durch das Engagement der Stadt
Marburg, der GeWoBau, der Deutschen
Bahn sowie von Bund und Land vorbildlich
gelungen.
Bei den Tests 2015 zeigte sich aber leider
auch, das etliche der für die Prämierung vorgeschlagenen
Stationen die Qualitätsmerkmale
nur teilweise erfüllten. Die vielfach hohen
Investitionen für die Modernisierung der
Bahnhöfe bleiben aber letztlich Stückwerk,
wenn in der Folgezeit bei der Pflege (hierzu
gehört auch das direkte Bahnhofsumfeld)
und beim Erhalt gespart wird. Letzteres ist
zweifellos eine Herausforderung und Daueraufgabe.
Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV)
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