Stellen Sie sich vor, ein weiteres Familienmitglied
kommt zur Welt oder Sie oder Ihr
Partner verlieren den Job. Oder aber durch
einen Umzug zahlen Sie mehr Miete. In all
diesen Fällen kann es passieren, dass Sie nun
Anrecht auf Wohngeld, Kinderzuschlag oder
Hartz IV haben, da sich der Bedarf erhöht
oder das Einkommen verringert hat. In all
diesen Fällen erhalten Sie theoretisch die
Möglichkeit, für Ihr Kind statt des normalen
Schülertickets (im Abo für monatlich 22,08
Euro) das ermäßigte Schülerticket (im Abo
für monatlich 12,08 Euro) zu erwerben. Theoretisch.
Praktisch läuft das aber wie folgt
ab, hier am Beispiel eines Beziehers von Kinderzuschlag.
Kinderzuschlag erhalten zum
Beispiel Familien, die zwar werktätig sind,
deren Einkommen jedoch knapp unter dem
Hartz-IV-Bedarf liegt.
1. Antrag bei der Familienkasse
Sei der Januar der Monat, in dem erstmals
Anspruch besteht. Sie können dann frühestens
im Dezember den Antrag bei der Familienkasse
stellen. Wenn das schnell geht,
haben Sie Ende Januar bereits den Bescheid
im Briefkasten. Im Bescheid für den
Kinderzuschlag ist das erste Puzzleteil: Ein
Bescheid zur Vorlage beim Wohngeldamt
zur Beantragung des „Bildung-und-Teilhabe-Pakets”.
2. Antrag beim Wohngeldamt
Angenommen, Sie lassen den nicht so lange
zu Hause liegen und beantragen Anfang Februar
beim Wohngeldamt das Bildungs- und
Teilhabe-Paket. Dann haben Sie, falls das
auch wieder schnell geht, ungefähr Anfang
März den Brief vom Wohngeldamt und damit
das nächste Puzzlestück im Briefkasten:
Eine Bescheinigung, dass Sie berechtigt sind,
vom Bürgeramt einen Berlinpass ausgestellt
zu bekommen.
3. Besuch beim Bürgeramt
Mit diesem neuen Brief wird es dann gerade
für Werktätige schwierig: Sie müssen nun
bei einem Bürgeramt persönlich erscheinen,
denn das können Sie nicht mehr schriftlich
erledigen. Nachdem Sie am Tresen der
Dame erklärt haben, dass dies auch ohne
Termin möglich ist und Sie zur Bearbeiterin
vorgelassen wurden und Sie selbstverständlich
daran gedacht haben, ein Passfoto
und Ihren Personalausweis mitzunehmen,
haben Sie nun das nächste Puzzlestück in
der Tasche: Eine kleine Pappkarte mit Hologramm
– den sogenannten „Berlinpass“.
4. Besuch beim Fahrkartenschalter
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Was ein Berliner Schulkind dabei haben muss: Monatsabschnitt, Kundenkarte, Berlinpass. Foto: IGEB |
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Nun müssen sie als nächstes das Abo des
Schülertickets von „normal“ auf „ermäßigt“
umstellen. Leider ist nun aber bereits der 11.
März. Sie können also frühestens zum Mai
das Abo umstellen, da Aboanträge nur bis
zum 10. des Vormonats geändert werden
können. Bei nächster Gelegenheit begeben
Sie sich nun zu einem Fahrkartenschalter,
doch da geht nicht irgendeine Agentur, es
muss schon ein „echter“ sein, der Aboantragsänderungen
durchführen kann.
Nicht vergessen, hier mitzubringen:
- ausgefüllten Abontrag,
- EC-Karte (für die Kontoverbindung),
- Personalausweis,
- Schülerausweis,
- Berlinpass,
- Passbild (für die neue Kundenkarte),
- alle noch übrigen Wertabschnitte des Abos
des normalen Schülertickets.
5. Rückforderung beim Wohngeldamt
Da Sie ja für die Monate Januar bis April je 10
Euro zu viel gezahlt haben, können Sie nun
nochmals einen Antrag beim Wohngeldamt
stellen, um sich die insgesamt 40 Euro erstatten
zu lassen. Nicht aufgeben, das funktioniert!
Darauf haben Sie Anrecht.
Am Ziel, jetzt nochmal von vorne
Herzlichen Glückwunsch. Gegen Ende April
werden Sie nun neue Wertabschnitte im
Briefkasten finden und es wird im Mai ein
um 10 Euro geringerer Betrag pro Monat
abgebucht.
Doch Achtung, der Bescheid aus Schritt
1. gilt nur für 6 Monate, das heißt in unserem
Beispiel vom Januar bis Juni. Das heißt,
auch der Berlinpass wurde Ihnen nur bis einschließlich
Juni ausgestellt. Der Berlinpass
ist jedoch Vorraussetzung für die Gültigkeit
des ermäßigten Schülertickets.
Wenn Sie also vermeiden wollen, dass ihr
Kind ab Juli schwarzfährt, müssen Sie nun
also spätestens am 10. Juni wieder zu einer
Fahrkartenausgabe und Schritt 4 durchführen.
Dieses Mal stellen Sie das Abo um vom
ermäßigten Schülerticket auf das normale
Schülerticket.
Und vergessen Sie nicht, alle im April zugesandten
neuen Wertabschnitte wieder
mitzubringen, um sie wieder abzugeben.
Anschließend führen Sie nun die Schritte 1
bis 3 durch. Haben Sie damit Erfolg, können
Sie anschließend wieder im Schritt 4 den
Aboantrag ändern und mit Schritt 5 zu viel
gezahltes Geld zurückfordern!
Die Schritte 1 bis 3 sowie 5 müssen sie
zweimal jährlich ausführen. Den Aboantrag
ändern, also Schritt 4, müssen sie dagegen
viermal im Jahr durchführen. Außerdem
erhalten Sie nur dann das Recht, das ermäßigte
Schülerticket zu kaufen, wenn die
Entfernung zwischen Wohnort und Schule
bei Grundschülern mehr als 1 km und bei
Oberschülern mehr als 2 km beträgt.
Ihr Kind besucht zweimal wöchentlich Verein
oder Musikschule, aber die Schule liegt
dicht am Wohnort? Trotzdem Pech gehabt.
Kinder werden unfreiwillig zu Schwarzfahrern
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Genug Beschäftigung für Bürger, Amt und Verkehrsunternehmen fürs ganze Jahr: Alle Teilschritte der Beantragung. Grafik: IGEB |
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Ein Austausch mit Betroffenen ergab, dass
viele Eltern den immensen Aufwand zumindest
teilweise reduzieren und statt des viermaligen
Änderns des Abovertrages nebst
Rückforderung zu viel gezahlter Gelder
den ermäßigten Abovertrag einfach laufen
lassen. Dies bedeutet allerdings, dass die
Kinder in der Zeit, in der sie mit abgelaufenem
Berlinpass herumfahren, ohne gültigen
Fahrschein fahren! Eine unangenehme Situation
für Kind und Kontrolleur.
Familienpass
Mit dem Familienpass können Eltern, die
eine gültige Fahrkarte haben, im Bereich
Berlin AB ein Kind zusätzlich mitnehmen.
Vorraussetzung ist, dass das Kind einen BerlinPass
hat.
Um diesen zu erhalten, verweisen wir auf
die Schritte 1 bis 3 weiter oben in diesem Artikel.
Der Familienpass gilt wochentags erst
ab 9 Uhr. Er muss einmal jährlich für 6 Euro
gekauft werden sowie zusätzlich ein monatlicher
Wertabschnitt für 6,50 Euro. Der
Familienpass gilt nur bei BVG und S-Bahn.
Eine Kombination mit dem Anschlussfahrausweis
C ist nicht möglich.
Fraglich ist, welche Zielgruppe hiermit
überhaupt erreicht wird. Es gibt, sofern die
Eltern nicht ohnehin eine Umweltkarte haben,
nur am Wochenende eine sinnvolle Anwendung.
Ein echtes Nischenprodukt.
Fazit und Forderung
Für einkommensschwache Familien bietet
das ermäßigte Schülerticket ein attraktives
Angebot für die Nutzung von Bus und Bahn
in Berlin. Die bürokratischen Hürden, um es
zu erwerben, sind jedoch viel zu hoch und
mit zu viel Schriftverkehr und Behördengängen
verbunden.
Eine zumindest etwas einfachere Lösung
wäre es, analog zur Praxis mit den Zuschüssen
zum Vereinbesuch, dass den Eltern die
Ersparnis von 10 Euro je Monat direkt ausgezahlt
wird – bzw. dem Verein bzw. dem
Verkehrsunternehmen.
Doch das allein reicht nicht. Offensichtlich
um Missbrauch auszuschließen, sind die jetzigen
Regelungen so kompliziert, dass gerade
viele der besonders bedürftigen Menschen
damit Schwierigkeiten haben. Hier
besteht dringender Reformbedarf.
Berliner Fahrgastverband IGEB
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